Personal Trainerin Anne-Marie Flammersfeld weiß, wie man den
inneren Schweinehund besiegt – und so die Lockdown-Kilos wieder los wird.
Anne-Marie Flammersfeld ist Personal Trainerin und Ultra-Trail-Läuferin. Die Diplom-Sportwissenschaftlerin mit Zusatzstudium Psychologie ist Jahrgang 1978 und stammt aus Rumeln bei Duisburg. Seit 2006 lebt sie in St. Moritz, Schweiz. Als erste Frau gewann Flammersfeld 2012 die „Racing The Planet“-Challenge. Dazu durchquerte sie in einem Jahr vier Wüsten jeweils auf einer Strecke von 250 Kilometern: darunter die trockenste (Atacama), windigste (Gobi), heißeste (Sahara) und kälteste Wüste (Antarktis) der Erde. Zudem ist sie Weltrekordhalterin im Schnelllauf auf den Kilimandscharo – eine Extremsportlerin, die ihr komplexes Wissen heute als Personal Trainerin fein dosiert an Profis oder Hobbysportler weitergibt, ob letztere nun bei Null anfangen oder als Best-Ager ihre Kondition verbessern wollen. Gerade jetzt in Zeiten von Corona hat die versierte Sport-Expertin wertvolle Tipps, wie man die Lockdown-Kilos in Lauf-Energie verwandelt.
Frau Flammersfeld, eine aktuelle Studie* zum „Lockdown- Speck“ liefert Zahlen: In der Schweiz haben 21 Prozent der Menschen an Gewicht zugelegt, in Deutschland sind es sogar 27 Prozent. Verantwortlich dafür sind kurze Wege zum Kühlschrank, häufiges Essen und mangelnde Bewegung. Außerdem: Gerade „Comfort Eater“ neigen dazu, Krisen oder Stress mit Essen zu kompensieren – als Seelentröster also. Wie sind Ihre Beobachtungen hierzu? Wie gelingt es, diese Einstellung zu durchbrechen?
Anne-Marie Flammersfeld: Ich beobachte eigentlich schon seit Jahren, dass jede Person ihre eigenen und ganz individuellen Kompensationsstrategien fährt. Manche brauchen Essen, um sich zu beruhigen und um sich zu vergewissern, dass alles „normal“ ist, wiederum andere geraten in eine Schockstarre und essen gar nichts mehr. Meine Empfehlungen sind immer, einen Gang zurückzuschalten und sich selbst zu bremsen. Gerade in Stresssituationen, wenn der Körper nicht normal funktioniert, neigen wir dazu, zu überreagieren. Mit ein wenig Ruhe kommt auch die Übersicht zurück und die Muster können erkannt werden. Was nicht heißt, dass sie dann auch geändert werden. Dazu bedarf es dann schon ein inneres Handlungsmotiv und die Freude, dieses auch erreichen zu wollen.
Wie haben Sie sich persönlich während des Corona-Lockdowns verhalten: Haben Sie Ihre Sportroutinen beibehalten?
Haben Sie Ihre üblichen Aktivitäten zurückgeschraubt oder
eher verstärkt?
Bei uns in St. Moritz war es von heute auf morgen erstaunlich ruhig. Ein Lockdown bedeutet für einen Tourismusort die absolute Katastrophe. Allerdings haben wir hier auch viele Zweitheimische, die dann einfach beschlossen haben, hier zu bleiben. Und das bedeutete für mich viel mehr Arbeit als sonst in einem Monat April oder Mai. Meine Klienten waren geradezu höchstmotiviert, jeden Tag Sport zu machen und am liebsten mit meiner Beglei- tung. Ich habe mit allen Klienten outdoor im 1:1-Modus trainiert und wir haben viele neue Wanderwege entdeckt.
Eine witzige wie hilfreiche Idee: Während des Lockdowns in St. Moritz waren Sie als Laufbotin für Einheimische
unterwegs. Wie ist diese Aktion angekommen?
Als es hieß, dass die Schweiz möglicherweise auch eine Ausgangssperre verhängen würde, bekam ich kurz Atemnot. Wie sollte ich es 24 Stunden in meiner Wohnung aushalten? Somit kam ich auf die Idee, mich ehrenamtlich als Botin zu engagieren und Menschen, die wirklich auf Hilfe angewiesen waren, mit Einkäufen und Ähnlichem zu unterstützen. Es war also teils aus egoistischen Gründen und zum anderen Teil aus mitfühlenden Gründen. Ich habe dann für zwei, drei Damen einkaufen dürfen, was immer sehr spannend war.
Wie hat die fortschreitende Krise psychisch auf Sie gewirkt?
Konnten Sie die antrainierte mentale Stärke vom Langstreckenlauf in den Lockdown-Modus übertragen?
Es war die reinste Achterbahnfahrt. Von Verwirrung zu Unverständnis zu Mitleid zur Resignation. Aber wie das mit allen Dingen so ist, gewöhnt man sich irgendwann an den Zustand. Irgendwann fand ich es dann auch mal ganz entspannend, einfach zu Hause zu bleiben und andere Dinge zu tun. Ich habe mich mehr mit Meditation auseinandergesetzt und erfahren, dass ich nicht immer lange Strecken laufen muss, um ein „Runner’s High“ zu bekommen. Man sollte generell mehr Neues tun. So bleiben Geist und Körper wachsam!
Das Wichtigste bei regelmäßigem Sport ist die Movitation. Wie gehen Sie mit dem eigenen inneren Schweinehund um? Was empfehlen Sie Ihren Kunden? Wie bringen Sie anderen bei, sich selbst zu motivieren?
Sich zum Sport zu überwinden, kostet manchmal enorme Kraft. Ich mache mit meinen Klienten oft eine kleine Visualisierungsübung: Sie sollen sich vorstellen, wie gut sie sich nach dem Training fühlen. Sofort zeichnet sich ein Lächeln auf den Gesichtern ab und jeder hat es verstanden. Sport ist einfach eine unerschöpliche Quelle der Erfahrung der eigenen Handlungskompetenz. Wenn man eine Runde um den See gejoggt ist oder auch nur 20 Minuten walken war, spürt man das genau. Man hat etwas aus eigener Kraft geschafft. Und dieses Gefühl kann für andere alltägliche Situationen hilfreich sein.
Angenommen, ich habe drei, fünf oder acht Kilo zugelegt. Wie
gesund ist Joggen dann wirklich – belastet es nicht eher die
Gelenke? Wäre Walken nicht sinnvoller?
Generell gilt: Wer noch nie gejoggt ist, sollte mit einem
Intervalltraining anfangen. Das kann am Anfang aus ei-
ner Minute Jogging und zwei Minuten Walking bestehen
und wird dann allmählich gesteigert. Der Körper braucht
Zeit, damit sich die Strukturen wie Knochen, Bänder,
Muskeln und Sehnen anpassen können. Ist die Trainingseinheit zu intensiv oder ist die Pause zwischen den
Einheiten zu kurz, dann fehlt dem Körper die Zeit, um
aufbauende Prozesse in Bewegung zu setzen. Es kommt
zu Schmerzen. Da keiner gerne mit Schmerzen läuft, wird
das Projekt „Laufen“ schnell verworfen. Es gilt die Devise,
regelmäßig mit kleinen Trainingseinheiten zu beginnen.
Wie setzt sich Ihre Klientel als Personal Trainerin zusammen? Was sind die häufigsten Ziele dabei – abnehmen, fit werden, Kondition aufbauen? Wie gehen Sie methodisch vor? Und in welchem Rhythmus oder Intervall sollten Anfänger loslegen?
Meine Trainingskundschaft ist ein bunt gemischtes Potpourri jeglichen Alters und Fitnesslevels. Die meisten wohnen vor Ort oder verbringen regelmäßig ihre Ferien hier. Manche möchten Kraft aufbauen, andere möchten zehn Kilometer am Stück joggen können. Ich schreibe individuelle Trainingspläne und coache auch über das Telefon und Videotelefonie. Beim mentalen Training bereite ich Spitzenathleten auf knifflige Wettkampfsituationen vor oder coache die Hobbyathleten in achtsamen Übungen und Entspannungseinheiten. Mit den Anfängern ist es immer besonders spannend, weil Fortschritte besonders gut zu beobachten sind. Generell sollte die Bewegung Spaß machen und zu einem passen. Es macht keinen Sinn, wenn ich jemanden mit einer Wasserphobie zum Schwimmen überreden will. Wer einmal die Freude an der eigenen Bewegungsfähigkeit und dem körpereigenen Glückshormonsystem kennengelernt hat, der hört nie wieder auf mit dem Sport. Und genau das versuche ich zu vermitteln.
Welche Vorteile bietet ein Personal Trainer im Gegensatz zu
Studios oder digitalen Fitness-Programmen?
Als Personal Trainerin habe ich viel Zeit für die Bedürfnisse und Wehwehchen meiner Klienten. Ich nehme mir
sorgsam die Zeit, alles zu erfragen, um so einen bestmöglichen Trainingsplan und abwechslungsreiche Einheiten zu
gestalten. Im Fitnesstudio macht man in der Regel immer
die gleichen Übungen. Das ist ok, aber der Körper braucht
auch Abwechslung, um besser zu werden. Ich überlege
mir für jede Stunde neue Übungen und kombiniere sie
dann mit altbekannten Aufgaben. So wird es nie monoton
und langweilig! Digitale Fitnessprogramme oder Videos
sind sicherlich auch eine gute Abwechslung. Aber dann
besteht einfach die Gefahr, dass man die Trainingseinheit
auf den nächsten Tag verlegt. Wenn ich dagegen morgens
um acht Uhr an der Türe läute, dann wird trainiert. Dann
gibt es keine Ausreden! Und das ist ein großer Vorteil für
alle, die sich zum Training nur schwer aufraffen können.
Als Läuferin waren Sie in allen Klimazonen der Erde un- terwegs: In der Atacama und in der Sahara, in der Antarktis und in der Wüste Gobi. Welche Rolle spielt der Faktor Natur beim Training für Sie? Das Wetter? Was empfehlen Sie Ihren Kunden?
Die Natur spielt eine große Rolle in meinen Trainings. Wenn immer möglich, gehe ich mit meinen Klienten nach draußen, egal, welches Wetter ist. Man erlebt outdoor einfach viel mehr und das Gefühl, wenn man sich trotz schlechtem Wetter überwunden hat, ist einfach sensationell!
Was empfehlen Sie denjenigen, die in der Stadt wohnen und
nicht wie ein Hamster im Laufrad im Fitnesscenter rotieren
oder in geschlossenen Räumen trainieren wollen?
In jeder Stadt gibt es auch kleinere Parkanlagen, in denen
man wunderbar laufen kann. Vielleicht nimmt man sich
auch einmal pro Woche die Zeit, und fährt etwas raus aus
der Stadt in einen nahegelegenen Wald.
Noch ein ganz persönlicher Tipp?
Der erste Schritt zu regelmäßiger Bewegung ist meistens der größte! Man sollte gerade am Anfang etwas Durchhaltewillen zeigen und nicht gleich aufgeben, wenn man es mal ein paar Tage nicht zum Training geschafft hat. Die Gewohnheit stellt sich normalerweise nach vier bis sechs Wochen mit zwei bis drei Trainingseinheiten pro Woche ein. Wer diese Hürde einmal überwunden hat, dem fehlt die Bewegung spätestens nach ein paar Tagen der Inakti- vität. Man sollte sich auch immer belohnen und stolz sein, etwas aus eigenem Antrieb geschafft zu haben. Eine heiße Dusche oder eine entspannende Massage können hier als Anreize dienen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Franziska Horn
Info: annemarie ammersfeld.blogspot.com *www.nu3.de/pages/corona-studie#gref
Foto: Filip Zuan