„Die Erde ist rund!“ – diesen Beweis lieferte der Seefahrer Ferdinand Magellan im Jahr 1520 mit der ersten Weltumseglung. Die er selbst nicht überlebte. Von seiner Flotte kehrte nur die „Victoria“ zurück. Ein Quantensprung für die Menschheit. Wenn auch unbeabsichtigt. 500 Jahren ist das her. Wer heute auf einer Expeditionskreuzfahrt mit der „Stella Australis“ der Magellanstraße folgt, bekommt eine Ahnung von der Leistung des Seefahrers.
„Die Erde ist eine Scheibe!“, glaubte man im späten Mittelalter. Und schon Homer und Thales von Milet vertraten diese buchstäblich platte Ansicht. „Manche denken das noch heute“, sagt César Vargas, Kapitän der „Stella Australis“, nicht ohne Ironie. Damit spielt er auf das begrenzte Weltbild mancher heutiger Zeitgenossen an. Seit 2012 befährt der Chilene José Vargas die bis heute isolierten Gewässer der Magellanstraße, zwischen dem agentinischen Ort Ushuaia und Punta Arenas in Chile. Dazwischen liegt das Naturwunder Feuerland mit stillen Fjorden, urzeitlichen Naturparks, bizarren Bergen und zahlreichen Gletschern, die sich bis ans Wasser ergießen. Am südlichsten Ende Feuerlands – und von Südamerika! – liegt die Isla Hornos mit dem berüchtigten Kap Horn.
Vargas beugt sich über den Kartentisch in der Kommandozentrale des Minikreuzers „Stella Australis“, die mit zwölf Knoten Durchschnittsgeschwindigkeit einsame Buchten und Fjorde ansteuert. Gerade duchlaufen wir den Garibaldi-Fjord mit nur 250 Meter Breite, der zum gewaltigen Garibaldi-Gletscher führt. „Diese schmale Zufahrt zählt für mich zu den heikelsten Passagen, schwieriger noch als Kap Horn“, sagt Vargas über den engen Kanal, der an den berühmten norwegischen Trollfjord erinnert. Mit 89 Meter Länge bei 15 Metern Breite und maximaler Belegung von 210 Passagieren gilt die „Stella“, wie auch ihr Schwesterschiff „Ventus“, als Minikreuzer – der den Balanceakt zwischen Kreuzfahrt und Expedition gut schafft. Und sich vor allem als Botschafter dieser so bedeutsamen Seefahrtsdestination versteht: Statt WLAN gibt es auf dem 2010 gebauten Schiff nur ein Intranet mit einem reichen Programm und Infos zu Vorträgen und Filmdokumentationen über die Region. Über Ernest Shackleton, der von Ushuaia aus Richtung Antarktis startete, über heimische Tiere wie Seeelefanten, Wale und natürlich über den drolligen Magellan-Pinguine, der auf Inseln wie der Isla Magdalena seine Bruthöhlen in die weiche Erde buddelt und dazwischen laut wie eine Vuvuzela nach dem Ehepartner ruft.
Auch Knotenkunde, Besuche in der Steuerbrücke oder im Maschinenraum stehen auf dem Programm. Zum Besten aber zählen die zwei täglichen Ausflüge mit dem Schlauchboot an Land, zum Beispiel in die weite Wulaia-Bucht, wo einst die heimischen Stämme der Yaghan siedelten. Nach ihren Feuern wurde das Land benannt. Um sich vor den einfallenden Seefahrern zu tarnen, bemalten sie ihre Körper plakativ mit farbigen Streifen. Genützt hat ihnen das auf Dauer wenig: Vor über 30 Jahren starb die letzte Ureinwohnerin der vier bekannten Stämme (Yaghan, Onas, Haush, Kawesquar) in Punta Arenas. Die vier Ethnien lebten als Wassernomaden, ein Modell ihrer Kanus aus der Rinde des Lenga-Baums kann man im „Museo Maritimo“ in Ushuaia sehen. Andere Ausflüge der „Stella“ bringenuns im Zodiac vor die 35 Meter hohen Eiswände des wilden Condor-Gletschers im Agostini-Fjord, in die ruhige Lagune des Àguila-Gletschers oder zu den Granitbänken vor dem Pia-Gletscher. Ein sumpfiger Pfad durch den Bergurwald führt dann zu einem Aussichtspunkt, von dem man in malerischer Manier à la Caspar David Friedrich auf das breite Eismeer schauen kann.
„Zwei bis drei Meter beträgt der Unterschied der Gezeiten hier“, sagt José Vargas und zeigt auf die Seekarten. „In den kommerziellen Karten sind nicht alle Wassertiefen verzeichnet. Über die vollständigen Karten verfügt nur die Marine. Wir navigieren hier zu 100 Prozent ,old school' und in diese Gewässer dürfen nur chilenische Schiffe oder Boote mit einem Lotsen aus Chile.“ Auch wenn die Reederei Australis heute im Befahren der Magellanstraße ein – vielleicht exklusives – Business sehen mag, so tut sie das nicht ohne Sendungsbewusstsein. Denn sie sorgt auf vielerlei Wegen dafür, dass der Gedanke an den berühmten Portugiesen, der diese Passage entdeckte, auf jeder zurück gelegten Seemeile präsent ist. „32 Tage hat Magellan gebraucht für diese verwinkelte Route mit ihren 310 Seemeilen (558 km), wir fahren das heute in 40 Stunden. Damals mussten sie gegen den Wind kreuzen, die Tiefen checken, den Geschmack des Wassers, die Kräuselung der Wellen und was diese über den Grund verraten. Sie mussten die Tiere beobachten, im Wasser und an Land, eben alles, sie konnten die Zeichen genau lesen.“ Trotzdem denkt José Vargas über das Grundkonzept dieser Wahnsinnstour: „Nein, sie wussten nicht was sie taten!“.
Was er damit meint? Man stelle sich ein Welt vor, nach deren Vorstellung ein Schiff früher oder später von der Erdscheibe kippt. Eine Welt, die keine Vorstellung von ihrer Größe hat – oder von ihrer Form. Und eine Welt, die von starken machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen geprägt ist. Zwar entwickelte schon Pithagoras eine Idee von der Kugelform, auch Aristoteles lieferte 350 v. Chr. erste Vermutungen über selbige, die Schiffe am Horizont beobachtend. Doch der portugiesische Kriegsheld Fernão de Magalhães lieferte den Beweis. Unbeabsichtigt. Die wagemutige Schiffstour begleitete der italienische Chronist Antonio Pigafetta, ein Adeliger aus Vicenza, der in Venedig Seewissenschaften und Kartografie studiert hatte, sein Logbuch der dreijährigen Weltreise gilt als wichtige historische Quelle, die das Verlagshaus Römerweg auf Deutsch herausgibt. Magellan, geboren 1480 im Norden Portugals, betrieb Sklavenhandel auf eigene Rechnung, daher wurde er von seiner Krone entlassen und arbeitete daher für den spanischen König, trotz großer Konflikte zwischen Portugal und Spanien. Europa lechzte zu dieser Zeit nach Gewürzen, wollte zugleich das Monopol der islamischen Händler brechen. Pfeffer, Muskat, Nelken, Zimt – Gewürze gelten als Zahlungsmittel, Medikament, Prestige und Würze. Gewürznelken werden mit Gold aufgewogen. Ein neuer Seeweg musste her!
Mit einer Flotte von fünf Schiffen bricht er am 20.09.1519 in Sanlucar de Barrameda auf. Er befehligt die Schiffe als Generalkapitän, das Holz der Spanten ist teils morsch. Sein eigenes Schiff ist die „Trinidad“, eine Karacke von 30 Meter Länge (ü.A.). Die Matrosen, die er anheuert, wissen nichts über das Ziel der Reise, noch über die Strapazen. Eine Tour ins Ungewisse. Der starke spanisch-portugiesische Konflikt reist mit, das mündet in ständigen Rivalitäten, Meutereien, Misstrauen gegen den Anführer. Diesen treibt nicht der Entdeckergeist voran, sondern rein machtpolitische und wirtschaftliche Interessen: Magellan sucht den Weg zu den Molukken, den Gewürzinseln, irgendwo im Westen.
Er entdeckt eine Meerenge, die er erforscht. Mit Glasperlen, Schellen, Spiegeln besticht Magellen die heimischen Stämme. Chronist Pigafetta beschreibt mit großer Arroganz die „lächerliche Kleidung“ der Einheimischen und stellt sie auf eine Stufe mit den dortigen Tieren, er betrachtet die Seenomaden als Zigeuner und Wilde, die Pinguine sieht er als eine Art „schwarze Gänse“. Nach dem rauhen Atlantik erreicht Magellan den eher ruhigen Pazifik im November 1520. Er ist es, der dem „friedfertigen“ Ozean seinen Namen verleiht. Im März 2021 erreicht er die Marianeninseln, später will er das Inselvolk von Mactan mit Feuerwaffen missionieren. Er stirbt bei dem Versuch. Nur die „Victoria“, vom Schiffstyp eine Nao, und die „Trinidad“ haben es bis hierher geschafft. Und nur die „Victoria“ erreicht am Ende unter dem baskischen Kapitän Elcano am 06.09.1522 den Heimathafen Sanlucar bei Sevilla, das Holz von Würmern zerfressen. Von 256 Offizieren und Matrosen kehren nur 18 zurück, mit einer einzigen Tonne Gewürze als Ladung. Doch die Begeisterung ist grenzenlos, zum ersten Mal hat ein Schiff die Erde umkreist. Ein altes Weltbild wird zu Grabe getragen. Und die Ladung reicht aus, die ganze Unternehmung zu bezahlen – und noch Gewinn zu machen. Unterwegs litt die Mannschaft an Hunger, aß Sägespäne, rohe Ratten und Mäuse, eingeweichte Lederriemen, zu Staub zerfallenen Zwieback mit Maden, so schreibt Pigafetta. Wegen einer Ratte, die Aussicht auf Nahrung bedeutet, erschlug man sich sogar gegenseitig. Doch jetzt wissen die Zeitgenossen, dass Columbus nicht Indien, sondern einen selbstständigen Kontinent entdeckt hat.
Ganze 50 Jahre nach Magellan gelingt es keiner nachfolgenden spanischen Expedition, das Kunststück zu wiederholen. Auch Elcano findet den Weg und die Passage nicht mehr, viele Schiffe zerschellen an den Riffen am Eingang der Magellanstraße. „Ich bin überzeugt, dass so eine Fahrt nie wieder unternommen wird“, schreibt Pigafetta. Weit gefehlt. Ende der 1570er Jahre gelingt Francis Drake die zweite Weltumseglung mit der „Golden Hind“, er erkennt den wahren Wert der Magellanstraße, die Feuerland von Südamerika trennt. Er entdeckt die Isla Hornos mit Kap Horn, rund 50 Jahre später – ebenfalls eher zufällig. Magellan selbst hatte die Reise über Südamerika in den Pazifik unterschätzt, da man noch keine Vorstellung von der Größe des Globus hatte. Erst im Nachhinein wird er zu einem Entdecker.
Nach und nach entstehen in Feuerland Orte wie Punta Arenas, als Folge von Magellans Entdeckung. Mit Eröffnung des Panamakanal 1913 verliert die Magellanstraße an Bedeutung. Heute hat Punta Arenas 116.000 Einwohner. Und viele bunte Häuser, als Gegenmittel für die Depression aufgrund der langen währenden Sommertage. Hier in Punta Arenas hat die Magellanstraße mit 46 km ihre breiteste Stelle – an den engsten Stellen misst sie nur 3,5 km. Tourguide Vivian Torres-Gleim erzählt von der Vergangenheit der Stadt. Und woher der Name Patagonien stammt: „Das bedeutet „große Füße“. Diesen Namen gab man den Einheimischen. Doch ihre Füße waren gar nicht so groß, denn sie trugen ja Winterschuhe aus Fell“, sagt Vivian. Etwas außerhalb des Ortes liegt das Freilichtmuseum „Museo Nao Victoria“ mit einer 2004 gebauten Replik des legendären Schiffes in Originalgröße.
Das Schiff der Schiffe zu sehen, als Replik, ist wirklich beeindruckend, doch anders als vermutet: Die berühmte stolze „Victoria“, die Siegerin – ist eine Nussschale, bauchig wie ein Kugelfisch und noch viel kleiner als gedacht. Nur 27 Meter lang, sieben Meter breit, vom Typ her eine Nao, eine Art Karavelle also. Damit über alle sieben Meere schippern, auf einer Fahrt ins Ungewisse? Scheint unmöglich. Innen rohe Holzplanken, niedrige Decken bis ca. 175 cm hoch – gut, die Menschen waren früher kleiner. Dazu steile, schmale Treppen zu den diversen Decks, in verschiedenen Hölzern gezimmert. Steine beschwerten das Unterschiff, vorne und hinten, zum Stabilisieren. Was für ein Himmelfahrtskommando. Aufgewogen mit Wissen. Denn Pigafetta schreibt: „Zu seiner Zeit besaß Magellan eine genauere Kenntnis der Seekarten und der Schiffahrtskunst als jeder Mensch auf der Erde.“
Neben der „Victoria“ steht die Replik der „HMS Beagle“, die von 1820 stammt. Sie ging also 300 Jahre später auf Reisen. Nach ihr wurde der breite Kanal bei Ushuia benannt. Auch sie ist nur gut 27 Meter lang. Auf der „Beagle“ erkundete Darwin Feuerland. Aufgrund des fatalen Urteils des Anthropologen wurden die Einheimischen wie Tiere angesehen und ausgerottet, das darf man an dieser Stelle nicht vergessen. Der Triumph europäischer Größen fußt auch auf ihrem Versagen in geopolitischer und menschlicher Hinsicht.
An dieses stürmische Kapitel der Seefahrt denken wir, als die „Stella Australis“ am Morgen des 29. November 2019 die östliche Küste der Isla Hornos erreicht. Hier ist es also – das berüchtigte Kap Horn! Nur eines von 50 Schiffen fand die Route um das Kap, heißt es. In diesen Gewässern hier liegen 800 Schiffswracks unter Wasser, rund 10.000 Menschen haben dabei ihr Leben gelassen. Auch für uns Passagiere der „Stella“ gibt es keine Garantie, dort den Fuß auf den Boden zu setzen. Wenn der Anlegepunkt unter Wasser liegt, gibt es keine Chance. Doch früh um 06:10 dringt die Borddurchsage des Expedition Leaders Felipe Arruda durch alle Kabinen: „Trotz aufkommenden Winds hat sich Kapitän José Vargas für das Anlanden entschieden“. Auf nach Kap Hoooooorn! Jetzt geht alles ganz schnell. Schwimmwesten anlegen, runter ins Heck. Im Nu werden die sechs Zodiacs zu Wasser gelassen, genau 13 Menschen plus Guide passen in eines hinein. Leichter Regen fällt bei 35 Knoten Wind (ca. 65 kmh) aus Südwest, bei sechs Grad Celsius und bewegtem Wellengang. Portionsweise werden wir übersetzen.
Auch heute schmeißen sich Wind und Wetter ins Zeug, vermitteln ein authentisches Kap Horn-Feeling – zumindest andeutungsweise. Was für eine Waschküche. Am Anlegesteg stehen zwei Helfer in Neopren bis zur Schulter im Wasser, bereit, das Zodiac zu stabilisieren. Oder falls ein Passagier ins Wasser fällt? Dann geht es über hölzerne Treppen und Planken hinauf zum Albatros-Denkmal für umgekommene Seeleute. Noch zum Leuchtturm, zur Stella-Maris-Kapelle beim Stützpunkt des chilenischen Marineadmirals, der hier für sein Land die Wacht hält: Ein ganzes Jahr bleibt Adán Otaiza Caro mit Frau und zwei Töchtern auf der winzigen Insel. Für zehn US-Dollar kann jeder ein Kap Horn-Diplom erstehen. Auch in politischer Hinsicht ist Kap Horn ein Stützpunkt. „Ich bin aber auch wegen der Verkehrskontrolle hier, alle drei Stunden muss ich einen Bericht senden“, sagt Caro. Und immer noch, um Notfälle zu koordinieren. Den letzten erlebte er Ende 2017, er war zuvor schon hier. „Einem französischer Katamaran brach der Mast im Sturm, der Notruf ging über Frankreich und diverse andere Länder zu meinem Posten auf Kap Horn und ich musste den Einsatz koodinieren. Ein Hubschrauber holte den Mann raus. Unverletzt!“. Was würde diese südlichste Felseninsel Südamerikas alles erzählen, könnte sie reden? Noch ein Eintrag ins Insel-Buch. „Von Horn zu Horn!“, schreibe ich, und: „Was für eine einmalige Lebenserfahrung!“.