Eine Kreuzfahrt entlang der Magellanstraße mit Abstecher zum Kap Hoorn steht für erfüllte Kindheitsträume. Oder aber für eine Übung in Meilenfressen und WLAN-Verzicht.
Da fliegt man also exakt ein halbes Mal um die Welt, um in einem Zodiac im Zickzackkurs zwischen bizarren Eisklumpen herumzukurven. Mit Kurs direkt auf hörbar knallende und kalbende Gletscher zu, die den engen Fjord verschließen. In breiten Kaskaden stürzen die Eisfelder talwärts, tiefblau leuchten die messerscharfen Gletscherspalten.
Die historisch bedeutsame Route der Magellanstraße, 1520 erstmals von Ferdinand Magellan durchfahren, lieferte einst den Beweis, dass die Erde rund ist. Bis heute führt sie durch die reiche Natur Feuerlands mit ihren Naturparks, der Cordillera Darwin, der Allee der Gletscher. Dazu das unberechenbare Spiel von Licht und Wetter, heimische Tiere wie Albatros, Sturmvogel oder der Magellan-Pinguin, der anrührend schräg und laut wie eine Vuvuzela trötet. Eine Natur wie diese ist der letzte Luxus der Welt.
Startpunkt der Expeditionskeuzfahrt ist Ushuaia am Beagle-Kanal in Argentinien. Der 57.000-Einwohner-Ort wirbt mit dem Beinamen "Ende der Welt" und es ist kein besonders schönes. Die Straßen sind flankiert von Shops voller Kitsch und Nippes aus billigem Plastik, gekauft von Passagieren der Ozeanriesen, die hier stundenweise einfallen.
Dabei ist Ushuaia Geburtsort von Legenden, historische Antarktisentdecker wie Ernest Shackleton starteten hier ihre Expeditionen. Ein Besuch im sehenswerten Museo Marítimo y del Presidio im früheren Gefängnis des Ortes bietet sich noch an - dann nix wie weg hier, das kleine Expeditionskreuzfahrtschiff "Stella Australis" wartet am Pier auf seine Passagiere.
Ab jetzt gibt es fünf Tage lang nur Wasser, Berge, Eis. Ein fast unwirklicher Dreiklang der Natur, die hinter bodentiefen Kabinenfenstern vorbeizieht. Die 89 Meter lange "Stella Australis" hat Platz für maximal 210 Passagiere, auf dieser Tour sind gerade mal 131 an Bord, aus 18 Nationen von allen Kontinenten.
Von September bis April dauert die Saison, in der das Schiff die abgelegenen Fjorde zwischen Ushuaia und Punta Arenas ansteuert. An Bord gibt es statt WLAN nur ein Intranet mit Infos zur Region - und keinen Kontakt nach außen für die neun Tage der Fahrt. Für manche der Gäste eine Herausforderung.
Helfer in Neopren bei der Zodiac-Fahrt
Gleich am ersten Morgen ertönt um 6.10 Uhr die Borddurchsage in den Kabinen: "Trotz aufkommenden Winds hat sich Kapitän José Vargas für das Anlanden entschieden". Auf nach Kap Hoooooorn! Jetzt geht alles ganz schnell. Schwimmwesten anlegen, runter ins Heck. Im Nu werden die sechs Zodiacs zu Wasser gelassen, genau 13 Menschen plus Guide passen in eines hinein.
Leichter Regen fällt bei 35 Knoten Wind - etwa 65 km/h - aus Südwest, bei sechs Grad Celsius und bewegtem Wellengang. Gruppenweise werden wir übersetzen. Statt mit Handschlag hieven zwei Guides den Gast per Unterarmgriff ins Schlauchboot, im Cha-cha-cha-Schritt, so wurde es am Vorabend erklärt: In drei Sätzen geht es über Treppe und Schlauch zum Boden des Zodiacs, "... and then slide to the side!" Und noch etwas wurde erklärt: Abfälle müssen wieder mitgenommen, Abstand zu den Tieren gehalten und Wege nicht verlassen werden.
Schnurstracks prescht das Zodiac mit Außenborder auf das Felsendreieck der Isla Hornos zu. Der Regen klatscht jetzt von allen Seiten. Eine Amerikanerin kauert im Boot und klagt: "Letzte Woche hatten sie Sonne hier!" Alle wollen zurück zur Natur. Doch wenn sie zu rau wird, will ihr kaum einer wirklich begegnen
Bis heute zählt die südlichste Ecke Südamerikas, wo zwei Ozeane aufeinander treffen, zu den gefürchtetsten Segelrevieren der Welt. Rund 800 Wracks liegen vor Kap Hoorn unter Wasser, 10.000 Menschen starben bei den Unglücken. Auch heute schmeißen sich Wind und Wetter ins Zeug, vermitteln ein authentisches Kap-Hoorn-Feeling - andeutungsweise. Am Anlegesteg stehen zwei Helfer in Neopren bis zu den Schultern im Wasser bereit, das Zodiac zu stabilisieren. Oder falls ein Passagier ins Wasser fällt?
Hölzerne Treppen und Planken führen hinauf zum Albatros-Denkmal für umgekommene Seeleute. Noch zum Leuchtturm, und zur Stella-Maris-Kapelle beim Stützpunkt des chilenischen Marineadmirals, der hier für sein Land die Wacht hält. Adán Otaiza Caro bleibt ein ganzes Jahr mit Frau und zwei Töchtern auf der winzigen Insel. Für zehn Dollar kann jeder hier ein Kap-Hoorn-Diplom erstehen.
Selfie vor Gletschereis
Um 8.40 Uhr sind alle zurück an Bord - und die Aktion scheint nun gefühlt die größte seit Landung der Alliierten in der Normandie zu sein. Expeditionsleiter Felipe Arruda gratuliert allen per Durchsage - trotz der schwierigen Verhältnisse bei immer stärkeren Sturmböen. "Für uns wäre es manchmal leichter, das Anlanden auf Kap Hoorn abzusagen", sagt der Brasilianer aus Recife später. Doch seine Freude, dass alle den Fuß auf das sagenhafte Eiland setzen konnten, ist echt.
Dann gibt es Frühstück mit neun Sorten frischem Obst. Die Krankheit Skorbut aus Magellans Zeiten? Längst ein Gespenst der Geschichte. Die gut einstudierte Choreografie rund um das Entern der Zodiacs wird sich nun täglich zweimal wiederholen. Die Ausfahrten zu imposanten, blau leuchtenden Gletschern und stillen Buchten gehören zum Besten, das diese Reise zu bieten hat.
Auf kurzen Wanderungen geht es an Land, in die einst von Ureinwohnern bewohnte Wulaia-Bucht der Insel Navarino oder auf sumpfigen Pfaden durch Bergurwald hinauf zum Ausguck über den prächtigen Pía-Gletscher. Nur 250 Meter breit ist der Fjord, der am gewaltigen Garibaldi-Gletscher endet. Und da es ja kein WLAN zum Chatten gibt, scheint manchen nur zu bleiben, sich fortlaufend selbst zu fotografieren. Auch wenn für Eismassen und den dunkel schimmernden Ozean kein Blick mehr übrig ist. "Das zu sehen, vor dem Garibaldi, das bricht mir das Herz", sagt Felipe Arruda.
Aber nicht alle begreifen die Naturwunder Feuerlands als Bühne der Selbstinszenierung. Die abendlichen Kurse und Vorträge zu Knotenkunde, über Ernest Shackleton oder über den Magellan-Pinguin sind gut besucht. Stets dabei ist Michèle A., 50, aus der West-Schweiz. Sie reiste schon monatelang alleine durch Südamerika, tauchte dabei in die Kultur ein. Was sie hierher nach Feuerland verschlagen hat? "Die Leere", sagt sie. "Du bist hier am Arsch der Welt."
Es gibt Leute, die reisen. Da gehört Michèle sicher dazu. Und es gibt Leute, denen geht's eher um das Meilenfressen. "Leere? Um die geht es nicht! Es geht ums Wegfahren!", widerspricht ihr eine Italienerin vehement. "Das muss man halt mal gemacht haben!", findet sie. Kap Hoorn - nur eine Trophäe, so wie der Eiffelturm oder das Oktoberfest?
Später läuft sie unter einem grauen Schirm über die Felsbänke zum Pia-Gletscher hinüber. "Dass hier jemand mit Regenschirm in der absoluten Wildnis herumläuft, hab ich in sieben Jahren nicht gesehen", staunt Felipe Arruda.
Keine Jubelschreie über Kormorane und Kondore
Zu Zeiten Magellans zeichnete man die Gewässer um Kap Hoorn als vielköpfiges menschenfressendes Monster, zu sehen im Museum in Ushuaia. Die Schiffsreisenden von heute finden den Feind - in sich selbst. Nicht jeder kommt gut ohne WLAN klar, ohne Ablenkung, ohne digitale Nabelschnur zur Außenwelt. "Das bin ich nicht gewohnt", sagt ein Passagier. "Ist nicht immer schön, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Was dann so alles so hochkommt."
Überhaupt zeigt sich das Publikum eher verhalten. Kaum "Aahs!" und "Oohs!", keine Jubelschreie über türkis schimmernde Gletscher, wilde Kormorane und Kondore. Ob das am gesetzten Durchschnittsalter der Passagiere liegt? Mit an Bord ist der deutsch-chilenische Reiseleiter Felipe Voigt, der eine deutsche Gruppe begleitet. Mit der "Stella" oder der "Ventus" war Felipe schon 20 Mal in Feuerland unterwegs - und kann sich noch immer für die menschenleere Weite begeistern.
"Diese Schiffsstour ist ein Balanceakt zwischen Kreuzfahrt und Expedition, und ja, auch eine Art Luxus, aber in Grenzen", meint er. "Die meisten Gäste an Bord sind verwöhnt, sie haben zuvor alles gesehen. Es ist schwer, sie zu überraschen. Aber sie genießen es!", sagt er am Schluss der Reise.
"Doch ein Gast meiner Truppe, ein Endsechziger in Rente, hat sich heute mit Tränen in den Augen verabschiedet. Er sagte, dass sein alter Kindheitstraum in Erfüllung gegangen sei". Für manche ist die weite Reise wirklich eine einmalige Lebenserfahrung - wie schön.
Franziska Horn ist freie Autorin bei SPIEGEL ONLINE. Die Reise wurde vom Veranstalter Australis unterstützt.
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