Franziska Horn

Autorin. Freie Journalistin, München

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Artikel

Strenge Kammer

„Studiolo“ nennt sich dieser Raum im Raum, der auch als multifunktionales Möbel funktioniert.

Ist das noch Design oder schon Architektur? Beim Münchner Jörg Schellmann verfließen die Grenzen. Seine Möbel sind so mönchisch klar gestaltet, dass sie nicht zufällig auf die DNA des Bauhauses verweisen. Trotz vieler Ecken eine runde Sache.

Ein Hinterhof in der gutbürgerlichen Amalienstraße in München-Schwabing. Hier liegt Schellmanns Design-Galerie, ein meterhohes Loft. Die Exponate im Showroom zeigen ad hoc: Hier "wohnt" der Geist puristisch gedachten Industrie-Designs. Doch "Wohnen" heißt bei Schellmann etwas anderes, als uns manch rosabebrillte Niedlichkeitspostille aus der Flotte der Frauen-Wohnzeitschriften weismachen will: Schellmann schwelgt viel lieber in "Kriegsschiffsgrau" statt in "Mille-fleurs". Wer hinschaut, merkt, wie viel Gehalt, wie viele Nuancen, Spielarten oder Facetten so ein Grau bei Schellmann haben kann.


Es fing so an: Ein Freund führte einen Laden mit Vintage-Möbeln von Mies van der Rohe und Le Corbusier, "das lief so einigermaßen", beobachtete der Galerist. "Diesen Entwürfen müsste man etwas Neues entgegensetzen". Experimentell begann er, Modelle von Künstlern wie Donald Judd oder Andy Warhol nachzubauen oder nahm Stücke der Arbeitswelt unter die Lupe, zum Beispiel den amerikanischen "Banker's chair" von 1900 in seinem altherrenhaften Holzbraun. In edles Wolkengrau gewandet mutet der Stuhl plötzlich sophisticated und nobel an. Nur ein neuer Anstrich? Damit sollte es nicht getan sein. Seit 2006 entwirft Schellmann Möbel von Grund auf. "Das funktionierte gut. Und war eine Überraschung, denn dass man was will, heißt nicht, das man es hinkriegt." Entwurf war die eine, das Business aus Produktion und Vertrieb die andere Sache: "Das ist ein circulus vitiosus: Man kriegt erst ab einer bestimmten Menge vernünftige Stückpreise. Und kann erst größere Menge abnehmen, wenn gut verkauft wurde. Ein langer Prozess". Dann lieber nur Design, so die Folgerung.


Aktuell sind die Schellmann-Modelle bei besten Adressen zu haben: e15 führt den sogenannten Refektoriums-Tisch "TA21", die Holzbank "BE05" und das Alu-Profilregal "SH06" im Programm. Alle drei verbindet pure Funktion, ästhetisch umgesetzt – und dass kein Millimeter Material verschwendet wurde. Die Kunst des Weglassens, also. Damit Raum für etwas anderes entsteht? Nutzen gar? "Ich hab den "TA21"als Familientisch konzipiert, einer isst, einer macht Hausaufgaben, alle finden Platz", sagt Schellmann. Dass seine Entwürfe nicht dem Massengeschmack entsprechen, weiß der Designer. Manche scheinen sogar Angst vor Schlicht-Geradlinigem oder em leeren Raum zu haben: "Manche bekämpfen den ,horror vacui', indem sie sechs verschiedene Muster in einem einzigen Raum kombinieren, bunte Sofas, Tapeten, etc. Das ist eine Fantasy-Welt, das bring ich nicht fertig."


"Der aktuelle Markt ist ein Disneyland der Formen, da herrscht Freistil, wie in der Kunst", sagt er. Viele bevorzugen schlankere, leichtere Modelle. "Meine Entwürfe sind ihnen zu eckig, zu kantig, sie mögen lieber weiches, rundes, braunes Holz. Meine gedanklichen Vorbilder kommen aber aus dem gewerblichen Arbeitsbereich, nicht aus dem deutschen Wohnzimmer." Einer, der ihn verstanden hat, ist der Mailänder Möbelhersteller Moroso. Ausgerechnet – "Ja, auch Moroso mixt fünf verschiedene Materialien für einen Sessel und setzt Muster drauf. Aber Patrizia Moroso hat einen Blick für beides: Für das Blumige und das Strenge." Das Strenge folgt in diesem Fall einem roten Faden, oder besser: einer orangen Linie oder Leitung, nach dieser ist Schellmanns Möbel-Serie "Conduit" aus Sofa, Sessel, Beistelltisch benannt. Der zweifarbige "Double table" komplettiert die Linie.


Wie Schellmann persönlich wohnt? "So!", sagt er und zeigt in den Showroom. "Ich lebe wie ich arbeite!". Häufige Begriffe bei ihm sind Geometrie, Nutzen, Funktion und Gebrauchswert. Für die gewerbliche Firma Kind, bekannt für Blätterschränke, hat er eine Edel-Version aus Stahl entworfen. Seine Sessel-Modelle "Frame A" und "Frame B" zeigen sich als durchdachte Konzept-Möbel mit Sitzflächen. Wer seine Kunden sind, kennt er sie? "Architekten, Künstler oder Designer." Dann entspinnt sich ein Gespräch über Materialgerechtigkeit: "Damit argumentierten Designer noch vor zehn Jahren, auch mit Einsichtigkeit und Logik. Das interessiert heute nicht mehr". Was steht dann im Zentrum, heute? Den guten Geschmack, sprich Bauhaus, zu überwinden? "Man kann 2016 kein Bauhaus machen, obwohl dessen Grundgedanken noch immer gelten. Was dann? "Ironisch gesagt: Neoklassizismus, denn die Vorgaben der Klassik gehören bis heute zum Grundvokabular."


Auch die ,Minimal Art' beruft sich darauf und spielt in seinen Modellen eine Rolle. "Und, bewusst oder nicht: die Symmetrie ist mir wichtig. Sie ist ja eine ganz alte Harmonie-Vorstellung. In den 50er Jahren gab es diesen Satz: Symmetrie ist der Schönheits-Sinn der Blöden. SIe war verpönt. Damals hat man einen Pfad verlassen, zu dem man später zurück kehrte." Heißt: Schellmann arbeitet am Grundvokabular. Warum er nicht Architekt wurde wie der Vater? "Ich konnte gut reden, daher meinte die Berufsberatung, ich solle Jurist werden. Das hab ich dann durchgezogen." Sein Hauptstandbein ist nach wie vor die Kunst. Daneben sind rund 40 weitere Möbelentwürfe reif für die industrielle Fertigung, "Möbel, keine Objekte!". Der Unterschied ist ihm wichtig. Seine Möbel sollen an den Archetypus erinnern, nicht an eine Rakete oder einen Toaster. Spannend ist sein Entwurf für den Arbeitsplatz "Studiolus", ein Zitat aus der Renaissance, ein Raum im Raum-System mit linearen Abgrenzungen. "Für ein Großraumbüro könnte man eine ganze Stadt bauen, mit Räumen, Straßen und Gassen". Wir sehen: Design und Architektur sind manchmal doch nicht ganz zu trennen.



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