Vor dem Handyladen in Traiskirchen, nah am Bahnhof, steht eine Gruppe von Jungs aus Somalia. "Anrufe & SMS in und aus der Ukraine kostenfrei" steht auf einem Banner. Einer fragt trotzdem noch mal nach. Drinnen beugt sich Sam Yare* über die neuen Telefone am Schalter. Er braucht eine SIM-Karte mit Datenvolumen, damit er seine Familie in der Heimat anrufen kann. Gestern erst ist der 17-Jährige angekommen. In dem Erstaufnahmezentrum für Asylbewerberinnen und -bewerber hier im Ort, etwa 30 Kilometer südlich von , gebe es kein WLAN. Draußen ist es mittlerweile stockdunkel, der Graupelregen wird stärker. Yare nimmt die neue Karte, übersetzt noch für ein paar andere aus der Gruppe - sein gutes Englisch hat er noch in der Schule gelernt. Dann machen sie sich auf den Weg zurück.
"Viele Menschen machen trotz der Kälte lieber lange Spaziergänge draußen, als drinnen zu sein", sagt Yares Freund, der in dünnen Jogginghosen am Eingang steht - "um frische Luft zu bekommen." Die Betten, sagt auch Yare, stehen dicht an dicht. Aus dem Weg gehen könne man sich nicht in der Unterkunft. Mit den vergitterten Fenstern sieht das große Gebäude wie eine Justizanstalt aus. Es hat eine lange Geschichte, schon Mitte der Fünfzigerjahre kamen in der ehemaligen Kadettenschule erstmals Schutzsuchende aus Ungarn unter, die vor den Straßenkämpfen während des Volksaufstands in Budapest geflohen waren.
Heute ist die Erstaufnahmestelle von Traiskirchen vierfach überbelegt. Statt der 500 Menschen, für die eigentlich Platz wäre, leben hier momentan 1.800. Das hat viele Gründe. Die Zahl der Asylanträge in Österreich bricht mit rund 100.000 einen Rekord - es sind mehr als im Fluchtjahr 2015. Damals allerdings stellten die wenigsten hier einen Antrag, und auch in diesen Tagen ist offensichtlich, dass die meisten nicht in Österreich bleiben wollen und weiterziehen werden. Zudem wurden in den vergangenen Jahren viele Plätze in der Landesgrundversorgung abgebaut. Sieben von neun Bundesländern haben ihre Aufnahmequoten nicht erfüllt. Dabei bräuchte es aktuell noch immer geschätzte 4.000 bis 5.000 Plätze.
"Eklatante Verantwortungsverweigerung""Es ist eine Versorgungskrise mit sehr viel Anlauf, die sich sehr deutlich abgezeichnet hat", sagt die Fluchtforscherin Judith Kohlenberger von der Wirtschaftsuniversität in Wien. Seit dem Frühsommer habe man gewusst: Würden die Bundesländer es nicht schaffen, mehr Plätze für die Versorgung von Geflüchteten bereitzustellen, käme es in Unterkünften wie der in Traiskirchen zu Engpässen. Während die Zivilgesellschaft ihren Beitrag leiste, zeigten Bund und Ländern eine "eklatante Verantwortungsverweigerung", sagt Kohlenberger.
Die meisten Menschen, über die in Österreich zum Teil heftig debattiert wird, kommen derzeit über die ungarische Grenze und laufen in kleinen Gemeinden im Burgenland auf. So auch in Deutsch Jahrndorf im Dreiländereck mit der Slowakei, wo Gerhard Bachmann Bürgermeister ist. Schon am Telefon war sein Frust gewaltig. Eine Woche später steht er im nebligen Dunst der eiskalten Felder und zeigt auf ein Paar Turnschuhe und einen leeren Rucksack.
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Polizei und Bundesheer seien im Dauereinsatz - jeden Tag werden Menschen aus Afghanistan, Pakistan, Syrien, Tunesien oder Indien im Burgenland aufgegriffen und ihre Asylgesuche registriert. Vor ein paar Wochen waren es noch bis zu 600 Personen am Tag, mittlerweile hat sich die Zahl halbiert. Das liege wahrscheinlich an der Kälte, genau könne man das nie sagen, meint Bachmann. Trotzdem, die Frauen hier würden sich schon länger nicht mehr trauen, an den Feldern walken zu gehen und ihre Runden jetzt im Dorf drehen.