Laura Meschede schrieb hier, ihr Onkel denke, die Islamisierung Europas sei eine ernstzunehmende Gefahr für die deutsche Zukunft. Und er vergesse dabei, dass die Jungen die Folgen des demografischen Wandels ausbaden müssten. Auch mein Onkel in denkt so. Er glaubt, dass der Staat die Zuwanderung begrenzen müsste. Unterwegs treffe man zu viele Rumänen und Marokkaner, er mag so was nicht. Er fühlt sich unsicher, er fühlt sich sogar bedroht in seiner eigenen Heimat - was für eine Schande. Deshalb hat er lange die rechte Partei Lega Nord gewählt, doch geändert hat sich bisher nichts.
Mein Onkel ist Ende 50, ich bin 28. In fünf bis sieben Jahren wird er in Rente gehen. Er braucht Leute wie mich, die seine Rente bezahlen werden. Das werde ich aber nicht tun. Denn ich bin nach Deutschland ausgewandert, und es besteht die Möglichkeit, dass meine eigenen Kinder hier auf die Welt kommen und aufwachsen werden. Ich bin also eine von denen, die Laura Meschede beistehen werden, ohne dass der deutsche Staat je Geld für mich ausgegeben hat. Mutterschutz, Kita, Schule, Ausbildung und alles das, was das Erwachsenwerden voraussetzt, hat Italien übernommen. Und Italien lässt nun Tausende Jugendliche auswandern. Aber das ist eine andere Geschichte.
Ich bin also nach Deutschland eingewandert - und ich freue mich, dass ich die Rente eines Deutschen bezahlen werde. Aber bitte nicht missverstehen: Wäre der Rentner Spanier oder Russe, würde ich mich genauso freuen, denn was auf dem Pass steht, ist mir ziemlich egal. Was mich hingegen stört, ist, dass ich nur wegen meines Beitrags zur deutschen Wirtschaft akzeptiert werden soll. Ich habe diese These zwar selber manchmal aufgestellt, zum Beispiel vor meinem Onkel. Ich verstehe auch die Besorgnis der jungen Deutschen wie Laura Meschede hinsichtlich des demografischen Wandels ziemlich gut. Aber mir reicht es nicht, auf meine Steuernummer reduziert zu werden. Was ist, wenn Deutschlands Politiker in zehn Jahren glauben, Migranten doch nicht mehr zu brauchen?
Es reicht genauso wenig zu fordern, Migranten sollten allein deshalb aufgenommen werden, weil sie eine Bereicherung für die deutsche Kultur sind. Das sind sie zwar wirklich, meiner Ansicht nach, aber in der Realpolitik werden deshalb die Einwanderungsgesetze nicht reformiert.
Aber ist Geschichte, nicht nur die der Nachkriegszeit: Der Mensch bewegt sich seit jeher, schon viel länger als es Grenzen gibt. Gesetze können kaum etwas gegen so ein uraltes Phänomen ausrichten. Und Migration prägt den einzelnen Menschen und mit ihm die Gesellschaft.
Ich fahre Fahrrad, gehe ins TheaterSeit meiner Ankunft habe ich viele Deutsche kennengelernt und sie haben mich beeinflusst: Ich fühle mich vollkommener, ich habe zum Teil ihre Gewohnheiten übernommen und es hat mir gut getan. Ich bin ökologischer geworden, fahre mehr mit dem Fahrrad, gehe deutlich öfter ins Theater (was für schöne Theater es hier gibt!) und ich genieße oft die im Ausland gefürchtete deutsche Effizienz. Wenn ich mit meinen italienischen Bekannten über europäische Politik rede, versuche ich immer die deutsche Perspektive zu erklären: Seit der Eurokrise ist das eine ziemlich anspruchsvolle Aufgabe.
Andererseits habe ich meine Freunde hier beeinflusst: Einige haben meine Sprache gelernt, italienische Bücher gelesen und sogar in Italien gelebt. Ich weiß nicht, ob sie nun besser sind, aber anders bestimmt. Jedenfalls haben sie montagnachmittags anderes zu tun, als mit spazieren zu gehen.