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Reportage

Taizé: Von Spiritualität und Instant-Tee

Ab Ostern pilgern wieder Jugendliche nach Taize. Über die Faszination von Spiritualität und Instant-Tee

Von Theresa Leisgang

Jakob, leuchtend grüne Augen, kariertes Hemd, Retrojacke, sitzt im Heidelberger Marstallcafé und erinnert sich an den letzten Sommer. Während seine Kommilitonen die Semesterferien auf Technofestivals abfeierten, verbrachte Jakob einige Tage in einem christlichen Männerorden. Er kehrte an den Ort zurück, an dem er nach dem Abitur ein Jahr lang gebetet, gesungen, nachgedacht, gelebt hat. Taizé ist für ihn vor allem eines: Gemeinschaft. Als Freiwilliger hat er hier seinen Alltag mit den Brüdern, Ordensschwestern und Besuchern geteilt. "Das macht Taizé zu einem unheimlich reichen Ort", findet Jakob.

Spanien, Polen, Schweden, Deutschland: aus ganz Europa kommen Jugendliche im Sommer auf den kleinen Hügel im französischen Burgund. Mit über 100.000 Besuchern im Jahr ist Taizé die wichtigste religiöse Pilgerstätte für junge Europäer. Am Ostersonntag singen Protestanten und Katholiken, Anglikaner und Orthodoxe gemeinsam ihr Halleluja. Die Brudergemeinschaft hat sich einen Namen für die Versöhnung der christlichen Kirchen gemacht. Der ökumenische Friede als Hit unter Jugendlichen? Unwahrscheinlich. Was fasziniert eine Generation, die der Kirche sonst fernbleibt, dann an diesem Ort?

Violette Malvenblüten heben sich von den verwitterten Steinmauern im Dorf ab. Unweit der Häuseransammlung rauscht ein TGV auf seinem Weg von Paris nach Marseille vorbei, dann kehrt wieder Stille ein. Die alten Bewohner des Bauerndorfs haben scheinbar nichts mit den Horden von Jugendlichen gemein, die die Einwohnerzahl im Sommer verzehnfachen. Doch auch die jungen Leute suchen hier die Stille. In Taizé leben sie für eine Weile das einfache Leben der Brüder. Die Nachtruhe wird strikt kontrolliert, eigener Alkohol ist verboten. Es gibt selten Partys, die aus dem Ruder laufen, obwohl bis zu 4000 junge Pilger pro Woche ihre Zelte aufschlagen oder in die Baracken einziehen, die an ein riesiges Schullandheim erinnern.

Damit alles rund läuft, muss sich jeder am gemeinsamen Leben beteiligen. Am Empfang werden die Dienste verteilt: Die Jüngsten müssen Klos putzen, die Stärksten rühren die riesigen Töpfe in der Großküche um. Das Gebet gibt den Tagen in Taizé Struktur. Drei Mal täglich versammeln sich alle in der Kirche. Es wird wenig gesprochen, dafür viel gesungen. Die Brüder stimmen in weißen Kutten Lieder an, die Jesus in den höchsten Tönen loben. Anders als auf Technofestivals ist die Gemeinde nicht auf Drogen, aber trotzdem wirken viele wie in Trance.

"Die Gesänge in Taizé öffnen dir das Herz", schwärmt Mirjam. Die 22-Jährige ist zum zweiten Mal hier, um ein paar Tage in Stille zu verbringen. Das Schweigen mache die Erfahrung noch intensiver, so Mirjam: "Mir wird hier so vieles klarer. Daheim habe ich nie die nötige Ruhe, um darüber nachzudenken, was mir wirklich wichtig ist im Leben." Während ihrer Schweigewoche vor zwei Jahren wurde Jesus für Mirjam von einem Fremden zum persönlichen Begleiter. "Als ich in Taizé ankam, stand da dieser Typ mit seinem ‚Jesus loves you‘-Shirt. Ich habe nur gedacht: Was für ein Quatsch. Jesus war so eine historische Figur aus der Bibel, aber ich hatte noch keine Beziehung zu ihm." Das sollte sich beim Abendgebet unter dem Kreuz schlagartig ändern. "Auf einmal habe ich gespürt, wie eine Welle von Liebe auf mich zukam", erinnert sich Mirjam mit Tränen in den Augen. "Gottes Liebe ist bedingungslos. Dieses Gefühl trage ich seitdem in mir. Ich kann es nicht immer gleich stark spüren, aber das wäre vielleicht auch zu heftig."

Ist das vielleicht der Schlüssel zum Erfolg der Jugendtreffen in Taizé? Christentum und Spiritualität sind vielerorts nicht gemeinsam denkbar. Aber Spiritualität ist wieder gefragt. Was sonst in der Yoga-Stunde gepredigt wird, erfahren junge Christen in Taizé: Es gibt sie, die bedingungslose Liebe. Ob am Ende der Meditation ein "Om" oder ein "Amen" erklingt, ist dabei egal. Mirjam hat sich für die christliche Meditation entschieden, die sie nun auch in der Katholischen Hochschulgemeinde in Karlsruhe einführt. Dass sie eigentlich evangelisch ist, stört sie nicht: "Wir sind doch alle Christen!"

In Taizé geht es nicht nur um einen "Herzenszugang" zu Gott, wie es Mirjam nennt. Die Kraft des Glaubens findet sich auch im Alltäglichen, im Profanen. Singend zieht nach dem Frühstück eine Kloputzkolonne durch die Gemeinschaftsbäder des Zeltplatzes. ‚Ora et Labora‘: Die gemeinsame Arbeit ist hier genauso eine essenzielle Erfahrung wie das Beten. Um in Frankreich ohne Eltern Urlaub machen zu dürfen, nehmen die Jugendlichen jede Putzschicht gerne in Kauf. Auf dem Frauenklo steht in Teenie-Schrift geschrieben: "Eat glitter for breakfast, shine all day." Das Frühstück ist allerdings mehr trockene Eintönigkeit als glitzernder Tagesauftakt: Jeden Morgen gibt es Weißbrot und zwei Stück Schokolade, nur sonntags Marmelade, dazu immer Kakao oder zuckersüßen Instant-Tee.

"Wenn man hier länger als eine Woche isst, fallen einem alle Fingernägel aus", witzelt der Heidelberger Student Jakob, um hinterherzuschieben, dass er das Essen "gar nicht so schlecht" finde. Ihm imponiert die logistische Meisterleistung, 4000 Menüs gleichzeitig zu servieren. Das Wichtigste am Essen ist auch nicht der Geschmack, es sind die Gespräche. Bei seinem ersten Besuch mit 16 war Jakob überrascht, wie schnell er hier Freunde fand. Dieses Gefühl, zu einer echten Gemeinschaft zu gehören, hat auch mit dem Glauben zu tun: "Auf dem Schulhof haben wir nie darüber geredet, was wir glauben - oder was wir eben nicht glauben."

Genau diesen Austausch sieht Bruder Alois, der der ökumenischen Gemeinschaft seit dem Tod von Gründervater Frère Roger vorsteht, als zentrales Element: "Das Alleinsein im Glauben ist schwer für Jugendliche. Sie suchen hier ganz stark Gemeinschaft und das öffnet die Ohren und die Herzen für das Evangelium."

Montagmorgen in der "Kirche der Versöhnung", die mitten auf dem Gelände von Taizé steht. Nur die bunten Glasfenster im vorderen Teil erinnern an eine Kirche. Während der Bibelarbeit herrscht fast Wohnzimmeratmosphäre: Eine Gruppe 18- bis 24-Jähriger sitzt auf dem Teppichboden und liest die Bibelstelle, an der Gott aus dem brennenden Dornbusch zu Moses spricht. Nach dem kurzen Impulsvortrag eines Bruders gehen die Jugendlichen in Kleingruppen der Frage nach, was es mit dem Busch auf dem Berg Horeb auf sich hat. Wie durch ein Wunder verbrennt er nicht, obwohl er in Flammen steht. Vier Leitfragen sollen den Einstieg in eine Diskussion erleichtern: "Kannst du folgenden Aussagen zustimmen? Ich bin Gott schon einmal begegnet. Es gibt keine Engel. Ich begegne Gott in der Natur. Man sieht Gott nicht nur in außergewöhnlichen Erscheinungen."

Theologisch gesehen kann Taizé bei Jakob nicht punkten: "Im Prinzip ist die einzige Aussage in Taizé: ‚Gott ist Liebe‘. Das ist sehr niederschwellig, damit kann jeder sofort etwas anfangen." Damit erreichen die Brüder viele Leute, aber schwierigere Bibelstellen werden in Taizé nie gelesen, kritisiert Jakob. "Was ist zum Beispiel hiermit: ‚Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt‘?" Ein problematisches Gleichnis für verhältnismäßig reiche junge Europäer, so Jakob.

Bei Mirjam kommt gerade die Botschaft "Gott ist Liebe" gut an. Sie vermisst die persönliche Dimension des Glaubens im Studium: Die Theologie-Seminare an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe sind ihr "zu verkopft". Ihr kommt es darauf an, Gott zu spüren. Jeden Morgen entzündet Mirjam deshalb nun ein paar Lichter und hört sich Taizé-Lieder an, die sie wieder in diese besondere Stimmung bringen. Die Stimmung, die ihr die Augen geöffnet hat für die Liebe Gottes.

erschienen im Magazin der RNZ vom 15./16. April 2017