Die Gesundheitsexperten Karl Lauterbach und Andrew Ullmann fordern politische Maßnahmen gegen Einsamkeit. Doch wie fühlt sich Einsamkeit eigentlich an und was kann ich dagegen tun?
Elisabeth Raffauf: Ich dreh das mal um: Was ist denn das Gegenteil von einsam? Wenn man Freunde hat und eingebunden ist. Und was bedeutet es, Freunde zu haben? Das bedeutet: Glück wird verdoppelt, Schmerz wird geteilt. Und das bedeutet auch: Ich bin wichtig, ich bin auch für andere wichtig, ich werde gesehen und es gibt einen Sinn in meinem Leben. Wenn ich das alles nicht habe, dann frage ich mich: Was will ich hier? Was macht mein Leben sinnvoll und wer interessiert sich für mich? Und natürlich kann ich mir diese Fragen zum Teil selbst beantworten und mich pflegen, in dem ich sage: Ich bin gut, wichtig und sinnvoll - aber ich glaube, komplett reicht das nicht aus. Jeder Mensch braucht Freunde oder Menschen, die sich für ihn interessieren und für die man wichtig ist.
Raffauf: Manche merken das erst sehr spät, weil es schleichend kommt und man oft denkt: So wie ich lebe, das ist eben so, das ist selbstverständlich. Und das zu identifizieren und zu merken: Ich brauche jemanden - das ist für manche gar nicht leicht festzustellen. Manche merken, dass sie traurig werden, einsilbiger, vielleicht auch komischer. Denn es gibt ja auch niemanden, der sie kritisiert, der einen auch mal auf etwas hinweist. Vielleicht merkt man es daran, dass man Entscheidungen nicht mehr alleine treffen will und sich mitteilen möchte - und dann feststellt, dass man leider niemanden hat. Einsamkeit ist auch sehr schambesetzt. Es ist oft schwer zuzugeben, dass man einsam ist, auch vor sich selber, weil es Fragen aufwirft wie: Bist du so uninteressant? Bist du so wenig in der Lage, soziale Kontakte zu haben? Bist du so hässlich oder langweilig? Und das tut natürlich weh.
...ist Diplom-Psychologin und bietet in ihrer Praxis psychologische Beratung und Therapie an. Zudem hält sie Vorträge zu den Themen Pubertät, Erziehung und Sexualaufklärung. Sie hat verschiedene Bücher geschrieben - unter anderem über die Prävention von sexuellem Missbrauch bei Kindern.
Raffauf: Das hat verschiedene Gründe. Zum Einen: Früher gab es eher diese 'Buschbohnen-Familien', das heißt: Viele Kinder, viele Tanten und Onkel, also ein großes Familienumfeld. Und heute gibt's eher diese 'Stangenbohnen': Ein Elternteil, ein Kind. Und der Elternteil muss meistens viel arbeiten, das heißt das Kind ist meistens lange alleine. Und was macht das Kind dann? Es kommt erstmal nach Hause und keiner hört zu, keiner fragt: Wie geht's dir? Wie war dein Tag? Es kann es niemandem erzählen und dann mach ich vielleicht den Computer an und erzähle es online oder lenke mich mit Spielen ab. Es ist ja leichter, ein, zwei Klicks zu machen statt rauszugehen und mal bei den Nachbarn und Freunden zu klingeln und mit ihnen etwas zu unternehmen.
Raffauf: Das ist auf jeden Fall besser als nichts. Aber gleichzeitig ist es was anderes, als wenn ich Leuten gegenüber sitze, die ich auch mal anfassen kann, der mein Gefühl auch sehen kann. Der sieht, wenn mir die Tränen kommen und dessen Gefühle ich auch sehe. Diese Gefühlsdimension fehlt beim Schreiben - ich kann zwar schreiben, dass ich traurig bin aber ich kann es nicht sehen. Ich kann jemandem sagen: Du bist ein Arschloch - aber ich sehe nicht, wie es die Person trifft. Ich verteufle auf keinen Fall den Computer, aber es ist wichtig, den Unterschied zwischen online und offline zu verstehen. Vielen Menschen, die einsam sind, fehlt der Körperkontakt. Und der ist sehr wichtig, um sich wohl, geborgen und geschätzt zu fühlen.
Raffauf: Für manche Einsame klingt es wie eine Ohrfeige, wenn man sagt: Dann geh doch mal raus und geh doch mal in einen Verein. Und ich kann auch verstehen, dass das vielen schwer fällt. Deswegen ist es wichtig, sich erstmal zu fragen: Gibt es denn wirklich Niemanden? Hab ich vielleicht jemanden schon mal gesehen im Umfeld, in der Schule, auf der Arbeit, der mir sympathisch ist und kann ich denjenigen vielleicht ansprechen? Das Internet kann dabei helfen, den Erstkontakt zu erleichtern. Ich kann auch erstmal auf Online-Seiten schauen, was ein Verein oder eine Interessensgruppe so macht und wie sie auftritt, bevor ich selbst persönlich hingehe.
Außerdem sollte man sich fragen, was so schwierig ist. Ist es vielleicht meine Wohnsituation? Gibt es vielleicht irgendwo Mehrgenerationenhäuser, in denen ich nicht so alleine wäre? Kann ich mich da selbst rausholen oder steckt doch mehr dahinter? Denn wenn man merkt, dass da etwas Tieftrauriges dahinter steckt, zum Beispiel eine Depression, ist es wichtig, sich professionelle Hilfe zu holen.
Raffauf: Ja, da geht es um die Frage: Wie bin ich unter Menschen und geht's da wirklich um mich? Oder haben wir in der Gruppe zwar viel Spaß aber keiner interessiert sich wirklich dafür, wie es dem anderen geht? Er hat also absolut recht, man kann sich auch in einer Menschenmenge einsam fühlen, weil jeder nur um sich selbst kreist.
...ist Diplom-Psychologin und bietet in ihrer Praxis psychologische Beratung und Therapie an. Zudem hält sie Vorträge zu den Themen Pubertät, Erziehung und Sexualaufklärung. Sie hat verschiedene Bücher geschrieben - unter anderem über die Prävention von sexuellem Missbrauch bei Kindern.
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