Verfechterin des bedingungslosen Grundeinkommens, Tagesmutter, Twitter-Nutzerin: Susanne Wiest (Piratenpartei).
„Was würden sie gern arbeiten, wenn für ihr Einkommen gesorgt wäre?" In der einen Frage steckt das ganze Wahlprogramm der Greifswalder Tagesmutter Susanne Wiest. Die Frage steht nicht für die gesamte Programmatik ihrer Partei - der Piraten. Doch waren die Politik-Neulinge für Susanne Wiest die einzige politische Kraft, bei der es bei ihrem Thema -dem bedingungslosen Grundeinkommen - eine deutliche Überschneidung gab. Darum wurde die Frau von der Ostsee Spitzenkandidatin bei der Partei, die Politik manchmal sehr technisiert. Stichwort „Liquid Democracy", einer propagierten Form aus direkter Bürgerbeteiligung und transparenter Politik. Sich mit Piraten einlassen heißt auch ein wenig, das Spiel mit der Freiheits- und Freibeuter-Romantik eines Klaus Störtebecker zuzulassen. Dessen Crew wurde ja auch nicht ohne Grund bekanntlich die Likedeeler genannt. Das heißt auf Nordisch-Platt nichts anders als die „Gleichteiler".
Seit 2006 politisch engagiert
Also passt das alles zusammen: Die seit 2006 sozialpolitisch engagierte Susanne Wiest und diese Netzpartei voller junger Wilder, Kreativer und Netz-Nerds, die sich Internetfreiheit, geistiges Eigentum und auch die Legalisierung von „Rausch" auf ihre orangen Wahlkampf-Fahnen mit dem geblähtem schwarzen Segel geschrieben haben. Das sind die Themen, die von politischen Mitbewerbern inzwischen gern aufgegriffen werden.
Dann ist da aber noch dieses Grundeinkommen: „Die Piratenpartei startet mit vorsichtigen Annahmen und einem geringen Grundeinkommen - sollte die Entwicklung dann günstiger verlaufen als die Annahmen, ist die Erhöhung des Grundeinkommens schnell beschlossen", schreibt die junge Partei in ihrem Programm. Das wäre bestimmt ganz im Geiste der seefahrenden historischen Likedeeler, ist voll im Sinne der Susanne Wiest. „Wenn man die Piraten wählt, ist das Grundeinkommen mit im Boot", wirbt sie für ihre große soziale Idee. Die ist viel mehr als eine spinnerte Utopie. Ist der Wähler bereit, sich den Argumenten der Greifswalderin zu öffnen, schüttelt sie auf die meisten Fragen eine Antwort aus dem Ärmel.
Susanne Weist möchte ihr Anliegen, die große Idee „so einfach wie möglich darstellen". Damit eine Diskussion in der ganzen Gesellschaft in Gang kommt, wie wir in Zukunft leben und arbeiten werden. Darum ging sie zu den Piraten. Darum hielt sie ihr Gesicht in die Kamera und kam aufs Wahlplakat in diesem Bundestagswahlkampf.
Kein Zwang zur Arbeit!
Aber ein paar Prämissen stehen für die Sozial-Piratin eigentlich nicht zur Diskussion: Das Grundeinkommen muss existenzsichernd sein! Es soll - anders als bei Hartz IV oder bisher praktizierter Formen staatlicher Beihilfe - keine Bedürftigkeitsprüfung mehr geben. Weiter fallen Worte wie „individueller Rechtsanspruch". Und: Kein Zwang zur Arbeit!
Genau da setzen Kritiker, Wirtschaft und sogar Gewerkschafter an. Dann würden ja alle auf der faulen Haut liegen. So schlecht ist die Meinung von uns selbst quer durch fast alle politischen Lager. Man malt eine „soziale Hängematte" an die Wand, die zum Nichtstun einlädt und die deutsche Wirtschaft in den Abgrund reißt.
"Es geht natürlich nicht, wenn wir es nicht wollen!"
Sanft, meist schlüssig, pariert Susanne Wiest solche Wortgefechte. „Lasst uns die Idee doch erst einmal prüfen, bevor sie gleich verworfen wird. Es geht natürlich nicht, wenn wir es nicht wollen!"
Vollbeschäftigung schaffen, wie es in anderen Politprogrammen steht, sei Unfug und viel unrealistischer, sagt die glühendste Verfechterin eines bedingungslosen Grundeinkommens. „Arbeit muss nicht gesichert werden, sondern erledigt", hält Wiest entgegen. Doch ein Einkommen brauche jeder Mensch mit oder ohne Arbeit. Und gibt gern einen Dialog mit einem Taxifahrer wieder: „Ist ja einen nette Idee, Frau Wiest. Aber dann arbeitet doch keiner mehr." Gegenfrage Wiest: Würde er sein Taxi denn stilllegen, hätte er eine finanzielle Grundsicherung von vielleicht 1500 Euro im Monat? Antwort Taxifahrer: „Natürlich fahre ich weiter Taxi. Das ist doch mein Leben. Das mache ich doch gern." Und der Taxifahrer hat versteht, das dieses Geld an keine Bedingung geknüpft wäre. Und gerecht: Denn jeder bekommt es - egal ob Müllsammler oder Millionär. Und trotzdem setzt niemand die Marktwirtschaft außer Kraft.
Solche Gespräche erlebt sie in diesem Wahlkampftagen sehr oft. Die Motive, einer Arbeit nachzugehen, sind so vielseitig wie die Charaktere der Menschen, mit denen die Wahlkämpferin spricht. Lust an Kreativität. Der Wunsch, anderen zu helfen. Ein Ehrenamt im Sportverein. Oder ein Kunstwerk zu schaffen, Kinder groß zu ziehen, Eltern zu helfen, sich selbst weiterzubilden... Der ganz einfache und menschliche Wunsch nach sinnvoller Tätigkeit.
Kaum jemand wünscht sich doch hohen Leistungsdruck, Stress, Mobbing, geringe Wertschätzung oder die üblichen verdächtigen Druckmittel der heutigen Arbeitswelt als „Motivationshilfen" für seine tägliche Plackerei. Schon gar nicht, um sich kreativ und mutig an neue Aufgaben heran zu wagen.
Viele Kontakte in die Schweiz
Wiest pflegt gute und enge Kontakte zu Grundeinkommens-Aktivisten in der Schweiz. Die konnten bis zum August 130.000 Stimmen für eine Volksabstimmung über ein Grundeinkommen sammeln. Dieser Plebiszit - in der Schweiz bewährte Demokratieform seit 1891 -, der nun ansteht, fordert nichts weniger, als die Bundesverfassung der Schweiz zu ändern: „Das Grundeinkommen soll der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilhabe am öffentlichen Leben ermöglichen." Das klingt so simpel. Doch noch viel zu viele wollen oder können sich diese Idee nicht vorstellen, muss Susanne Wiest immer wieder erleben.
„Ich bin übrigens bundesweit wählbar: Mit der Zweitstimme der Piraten", twitterte die 1967 in Dillingen an der Donau geborene Spitzenkandidatin aus Mecklenburg-Vorpommern am 30. August selbstbewusst. Und so tritt eine Tagesmutter und Piratin im vorpommerschen Wahlkreis direkt gegen die von den Medien gern als „Mächtigste Frau der Welt" oder „Mutti" titulierte, Bundeskanzlerin Angela Merkel an.
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