Wer in den Neunzigerjahren jemals das Glück hatte, dem Firmenfest eines Kleinunternehmens beizuwohnen, sollte das Prinzip eigentlich kennen: Der Chef, auch bei 30 Grad im Nadelstreifen, ist heute mal locker drauf. Die erste Bratwurst wendet er sogar noch selbst, dann hüpft er von Tisch zu Tisch, bisschen plaudern. Um dabei einen Kumpeleinstieg zu finden, hat er sich zuvor das Accessoire aus der Hölle um den Hals gebunden: Die "lustige" Krawatte, bedruckt mit Fischen, Tetrismuster oder, Schlimmstfall, dem durch geschmacksbefreite Farbgebung entstellten Firmenlogo. Wer nun jemals ein solches Objekt vor sich baumeln gesehen und um Worte oder auch nur ein gestelltes Lachen aus den Untiefen seiner Verunsicherung gerungen hat, der weiß: Der Gipfel der Spießigkeit ist der ironische Bruch mit ihr selbst.
Peter Altmaier trug im Fernsehstudio lila Krawatte zur lila Socke. Wie fesch!
Die lustige Krawatte ist mittlerweile Geschichte, der Chef möglicherweise auch. Aber mit Günter Grass gesprochen ist es mit der Geschichte, und leider eben auch mit der Mode, wie bei einem verstopften Klo: Man spült und spült, die Scheiße kommt trotzdem hoch - womit nun weiß Gott nicht der Chef gemeint ist, sondern der Hang dazu, die maximalkonforme Anzug-Uniform durch ein Stück Stillosigkeit zu veredeln. Heutzutage trägt der Mann ohne Eigenschaften dieses aber nicht mehr um den Hals, sondern am Fuß. Kaum war die lustige Krawatte ein Gegenstand von Hohn und Spott geworden, kam der knallbunte Nachfolger mit voller Wucht nach oben gejagt: Hallihallo, ich bin's, die "lustige" Socke!
Rétablir l'original