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Für eine Kanzlerin auf Abruf wird es in Warschau ungemütlich

Angela Merkel reist zu Regierungskonsultationen nach Polen. In Warschau trifft sie Ministerpräsident Morawiecki. Das Treffen dürfte für die Kanzlerin aber nicht angenehm werden | Quelle: WELT/ Christoph Hipp

Polen Merkel muss sich auf einen ungemütlichen Empfang einstellen

Die Kanzlerin reist zu deutsch-polnischen Regierungskonsultationen nach Warschau - und trifft nach ihrem angekündigten Teilrückzug auf selbstbewusste Gastgeber. Bei vier strittigen Punkten könnte es zu einer offenen Auseinandersetzung kommen.

Um deutliche Worte ist Jacek Czaputowicz eigentlich nicht verlegen. Regelmäßig betont der polnische Außenminister in Interviews, wie wichtig ihm das Thema Reparationen sei. Doch was er als Reaktion auf Angela Merkels Ankündigung, nicht mehr für den CDU-Parteivorsitz zu kandidieren, sagte, klang beinahe schon sanft: „Das Wichtigste für uns ist die Erklärung, dass Frau Merkel bis zum Ende ihres Mandats Kanzlerin bleibt."

Erst Krzysztof Szczerski, Stabschef von Präsident Andrzej Duda, fand im Staatsfernsehen TVP den Ton wieder, den die Bundesregierung mittlerweile aus Warschau gewöhnt ist. Merkel sei unter die Räder ihrer eigenen Politik geraten, ihrer eigenen politischen Fehler, sagte er und zielte auf die deutsche Migrations- und Flüchtlingspolitik ab. „Das ist kein glorreicher Abgang", schob Szczerski hinterher.

Am Freitag finden die deutsch-polnischen Regierungskonsultationen statt - für Angela Merkel ein unangenehmer Termin. Die Kanzlerin reist nach ihrem Teilrückzug von der Macht angeschlagen nach Warschau. Dagegen steht die polnische Regierung stabil da. Die Wirtschaft wächst um mehr als vier Prozent, die Beziehungen zu Washington sind glänzend und in der Flüchtlingspolitik scheinen immer mehr Europäer sich auf die Seite Polens zu schlagen. Die selbstbewussten Polen werden sich von der Kanzlerin auf Abruf wenig sagen lassen und womöglich die Schwäche Merkels für sich zu nutzen versuchen. Bei diesen vier Streitpunkten könnte es zur offenen Auseinandersetzung kommen.

Rechtsstaatlichkeit

Da ist das Dauerthema Justizreform. Laut eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes muss die polnische Regierung die Zwangspensionierung der Richter am Obersten Gericht stoppen. Zwar hatten Politiker der Regierungspartei PiS, wie etwa der Vizepremierminister Jaroslaw Gowin, im Vorfeld angedroht, europäische Urteile zu ignorieren. Allerdings ruderte nicht nur er später zurück, sondern auch andere Parteipolitiker deuteten ein Einlenken an. Ob es kommt? Die Bundesregierung ist besorgt um die Rechtstaatlichkeit in Polen, Merkel aber wird nun in Warschau dem Thema kaum Gewicht beimessen. Sie ist vielmehr bemüht, Gemeinsamkeiten mit der polnischen Regierung zu finden.

Reparationsforderungen

Den Aufschlag in Sachen Reparationen machte bereits Präsident Duda. Der „Bild am Sonntag" sagte er, diese seien nie ausgeglichen worden. Er verwies auf ein Gutachten des früheren Präsidenten Lech Kaczynski, in dem zu einem großen Teil die von Deutschen im Zweiten Weltkrieg angerichteten Schäden in Warschau thematisiert werden. Im Zuge des Warschauer Aufstandes und dessen Niederschlagung ermordeten die Deutschen mehr als 200.000 Zivilisten und zerstörten die polnische Hauptstadt beinahe vollständig. Das Thema dürfte auch bei den Regierungskonsultationen zur Sprache kommen.

Premierminister Mateusz Morawiecki wird bei seinen Wählern bereits punkten, wenn er es während der Pressekonferenz mit Merkel anspricht. Polen hat international bisher keine entsprechenden Verfahren eingeleitet, um Ansprüche geltend zu machen. Für die Bundesregierung ist die Sache unter anderem mit Blick auf den Zwei-plus-Vier-Vertrag rechtlich abgeschlossen. Die Reparationsforderung richtet sich also an ein polnisches Publikum.

Europäische Migrationspolitik

Himmelschreiende Differenzen gibt es bei der Flüchtlingspolitik. Hier dürfte die Regierung, die möglichst keinen Asylsuchenden ins Land lassen will, allerdings auf Zeit spielen. Die PiS sieht diesbezüglich in Merkel keine Ansprechpartnerin mehr, zumal Polen ohnehin keine Flüchtlinge im Rahmen eines europäischen Verteilungsverfahrens aufnehmen wird und man in Warschau damit rechnet, dass die CDU sich in dieser Frage nach Merkels Abgang anders positioniert.

Nord Stream 2

Die polnische Regierung sieht die Gaspipeline von Russland durch die Ostsee nach Deutschland nicht nur als ein wirtschaftliches, sondern auch als ein politisches Projekt und bewertet es als Gefahr für die eigene und europäische Energiesicherheit. Gerade erst am Donnerstag war Merkel in Kiew bei dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko zu Besuch. Nord Stream 2 hätte vor allem für die Ukraine wegen wegfallender Transitgebühren negative Folgen. Auch der PiS wäre es lieb, wenn Deutschland den Bau der Pipeline unterbinden würde. Das wird nicht passieren. Kompromiss? Ganz schwierig.

Bei den Regierungskonsultationen geht es bei all den Differenzen jedoch vor allem darum, sich bilateral abzustimmen. Das ist notwendiger denn je, zumal sich beiden Seiten bald eine weitere Arena für Zusammenarbeit bieten wird: Im nächsten Jahr werden Deutschland und Polen als nichtständige Mitglieder im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vertreten sein. Warschau kann tatsächlich wegen seiner guten Beziehungen zum Weißen Haus von Donald Trump ein konstruktiver Partner in der EU sein. Ein sicherheitspolitisches Engagement der USA in Europa ist schließlich auch im Interesse der Bundesregierung.

Dennoch: Für eine Bundeskanzlerin auf Abruf wird es in Warschau ungemütlich.

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