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Die Energiewende hängt am Netz, stern.de

25. November 2011

Ausstieg aus der Atomkraft: Die Energiewende hängt am Netz

Die Energiewende der Bundesregierung wird ausgebremst. Durch fehlende Investitionen in die Stromnetze, Ausnahmeregelungen für die Industrie und ungenügende politische Steuerung.

Von Peter Neitzsch und Ulla Scharfenberg

Fukushima hat Deutschland verändert: Im Frühsommer 2011 war die Nation elektrisiert vom Gedanken an eine Zukunft ohne Kernkraft, sondern mit sauberen Energien. Der Anti-AKW-Bewegung liefen die Demonstranten und den Ökostromanbietern die Kunden in Scharen zu.

Und die schwarz-gelbe Bundesregierung vollzog eine Kehrtwende, die selbst für Kanzlerin Angela Merkel bemerkenswert war: Innerhalb weniger Wochen wurde der Ausstieg vom Ausstieg aus der Atomenergie vom politischen Tableau gewischt.

Die Republik träumte von einer grünen Stromversorgung.

Und jetzt? Nicht einmal ein halbes Jahr später droht die Stimmung zu kippen. Die Bürger stöhnen über ständig steigende Strompreise. Und die Regierung in Berlin ist erschrocken über die eigene Courage und rudert zurück.

Plötzlich will Wirtschaftminister Philipp Rösler (FDP) die Vergütung für Solarstrom drastisch reduzieren, er schlägt vor, an Standorten der AKW neue Kohlekraftwerke zu errichten, und wehrt sich gegen verbindliche EU-Vorgaben zur Energie-Effizienz. Umweltverbände sprechen bereits von einem "systematischen Blockadekurs" der FDP.

Der Ausbau der Erneuerbaren geht zu schnell

Ein Gesetz zur steuerlichen Förderung der energetischen Gebäudesanierung scheiterte diese Woche im Bundesrat. Energieintensive Unternehmen wurden von der Ökostrom-Förderung durch die EEG-Umlage befreit, obendrein wurde ihnen von Schwarz-Gelb auch noch die Gebühr für die Stromnetze erlassen.

Die Förderung neuer Solaranlagen will Rösler auf maximal 1000 Megawatt pro Jahr begrenzen. Der Grund klingt paradox: Der Ausbau der Erneuerbaren gehe zu schnell. Allein der Anteil der Solarenergie am Strommix wuchs binnen eines Jahres um 75 Prozent, von zwei Prozent im ersten Halbjahr 2010 auf 3,5 Prozent in der ersten Jahreshälfte 2011. Die Windenergie legte um gut ein Fünftel auf 7,5 Prozent zu. Damit trugen die Erneuerbaren 2011 erstmals mehr als 20 Prozent zur Stromversorgung bei.

Der Ausbau kommt voran. Das war doch das Ziel der Energiewende, sollte man meinen. Doch je schneller die Entwicklung der regenerativen Energien, desto deutlicher werden auch die Probleme: Die neuen Energien verteuern den Strom und die Integration in das Stromnetz bereitet erhebliche Probleme. Gerade Sonnenstrom stellt wegen der starken, wetterbedingten Schwankungen die Netz-Infrastruktur vor große Herausforderungen.

"Die Koalition bremst erneuerbare Energien aus"

Die Schlussfolgerung der schwarz-gelben Koalition: "Wir müssen die Ausbauziele, die zunehmend aus dem Ruder laufen, wieder auf ein gesundes, vernünftiges Maß zurückzuführen", sagt Thomas Bareiß, Koordinator für Energiepolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Für die Förderung der Solarenergie werde viel Geld ausgegeben, obwohl damit nur sehr wenig Strom produziert werde. "Solaranlagen wären fast überall besser aufgestellt als in Deutschland."

Ähnlich argumentiert der energiepolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, Klaus Breil: "Die EEG-Umlage alleine für die Photovoltaik liegt 2011 bei acht Milliarden Euro, umgewälzt auf alle Bürgerinnen und Bürger." Eine so teure Energieform, die aktuell nur 3,5 Prozent zur Energieversorgung beitrage, sei volkswirtschaftlich zumindest kritisch zu betrachten. "Solarenergie ja, aber nicht um jeden Preis."

Der Grüne Hans-Josef Fell, einer der Väter des "Erneuerbaren Energien Gesetzes" (EEG), äußert sich gegenüber stern.de enttäuscht von der schwarz-gelben Energiewende. Die Photovoltaiktechnik sei gerade auf dem Weg eine der billigsten Stromquellen Europas zu werden. Sein Fazit: "Die Koalition hält sich nicht an das Versprechen, die erneuerbaren Energien zu fördern, im Gegenteil, sie bremst sie aus."

Der Netzausbau kommt nicht voran

Tatsächlich ist die Integration in das Stromnetz die größte Hürde für die Energiewende. In ihrem Monitoringbericht 2011 warnt die Bundesnetzagentur, dass die bestehenden Netze "durch die Vielzahl der in den letzten Jahren zu erfüllenden Transportaufgaben und die Veränderung der Erzeugungsstruktur am Rand der Belastbarkeit angekommen" seien. Jedes zweite dringliche Ausbauprojekt würde sich derzeit verzögern. Von den geplanten 3600 Kilometern Hochspannungstrassen konnten bis jetzt gerade einmal 90 Kilometer errichtet werden.

Die Folge der überlasteten Netze: An Tagen mit viel Wind und Sonne kann der Ökostrom nicht mehr aufgenommen werden. Immer öfter müssen Windparks deshalb gedrosselt oder ganz vom Netz genommen werden. Schon 2010 kam es an 107 Tagen zu solchen Zwangsabschaltungen. 150 Millionen Kilowattstunden gingen so verloren. Genug, um 40.000 Haushalte ein Jahr lang mit Strom zu versorgen. Doch auch wenn der Strom nicht eingespeist wird, bezahlt wird er auf jeden Fall.

"Beim Netzausbau besteht weiter Anlass zur Sorge", bestätigt die Geschäftsführerin des Bundesverbands Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Hildegard Müller. "Das liegt vor allem an den langen Planungs- und Genehmigungsverfahren von durchschnittlich acht bis zehn Jahren." Hier müsse dringend die Koordination zwischen Bund und Ländern verbessert werden. Müller fordert deshalb ein "Drehbuch für die Energiewende". In vielen Bereichen fehle noch ein konkreter Fahrplan.

Das Geld für Investitionen fehlt

Neben einem Fahrplan fehlt oft auch schlicht das Geld für die Investitionen. Das Stromnetz ist für Investoren wenig attraktiv: Die Rendite kann im internationalen Vergleich kaum mithalten. In einem Brief an das Kanzleramt warnte der Netzbetreiber Tennet, der für die Anbindung der Offshore-Windparks in der Nordsee an das Stromnetz zuständig ist, daher vor "fehlenden finanziellen und personellen Ressourcen".

"Teilweise kommen die Betreiber mit der Finanzierung ihrer Offshore-Windpark-Anschlüsse nicht voran", bestätigt FDP-Politiker Breil. Deshalb arbeite man daran, dass die Netzbetreiber ihre Investitionskosten schneller anrechnen lassen können.

"Im Offshore-Berich laufen sich bereits die Heuschrecken warm, um das von der Regierung angekündigte 5-Milliarden-Paket abzugreifen", sagt der energiepolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Matthias Miersch, zu stern.de. Auf der anderen Seite hätten Unternehmen, die schon seit Jahren in diesem Bereich arbeiten, finanzielle Schwierigkeiten. Zudem werde der Ausbau der Windenergie an Land völlig vernachlässigt. "Auch hier zeigt sich das Fehlen einer konsequenten Förderpolitik."

Die Bundesregierung setzt in ihrem Energiekonzept vor allem auf Offshore-Windkraft. Doch trotz der Milliardenanreize kommt der Bau von Windanlagen im Meer nur langsam voran. Windparks in Nord- und Ostsee tragen derzeit gerade einmal mit 200 Megawatt zur Stromversorgung bei - nur ein Bruchteil der bis 2030 geplanten Strommenge von 25.000 Megawatt.

Es ist wie mit so vielen Zielen der Energiewende: Sie existieren nur auf dem Papier. Der Weg dorthin ist unklar. "Es gibt den Schaufensterbeschluss des Atomausstiegs, aber alle anderen notwendigen Schritte werden in keiner Weise angemessen bearbeitet", sagt der SPD-Politiker Miersch. "Die Bundesregierung verschläft die Energiewende völlig."






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