Wo der SUV noch artgerecht gehalten wird: Unsere Autorin war auf der Automesse unterwegs. Die Autohersteller reagieren auf den zunehmenden Druck mit ihrer elektrischen Charmeoffensive – die Publikumsmagneten findet man jedoch an anderer Stelle.
Es gibt sie noch. Die Frauen und Männer, vor allem Männer, die Autos umkreisen. Die über den Lack und die Nähte am Lenkrad streichen. Die den Geruch nach neuem Leder und Kunststoff einsaugen, der noch ungetrübt ist von Babykotze, Schweiß oder Duftbäumchen. Und deren Vorstellungskraft ausreicht, um sich in einer Messehalle hinter das Steuer zu klemmen, Spiegel und Sitz anzupassen - und so zu tun, als brausten sie mit mehr als 300 Kilometern pro Stunde über die Autobahn. „Man muss doch noch träumen dürfen", sagt einer der Messebesucher, der mit Sohn und Enkel gekommen ist. Und: „Der ganze Elektrokram nervt mich tierisch, ich glaube da nicht dran."
Den Elektrokram haben die Automobilhersteller in diesem Jahr in die ersten Reihen ihrer Stände in der Frankfurter Messe gestellt. Noch bis Ende kommender Woche überbieten sie sich auf der Internationalen Automobilausstellung gegenseitig mit ökologischen Superlativen. „Elektroautos für alle" verspricht Volkswagen, während Ford den „meistelektrifizierten SUV" anpreist. Porsche wiederum präsentierte zur Eröffnung am Donnerstag der Bundeskanzlerin stolz seinen elektrischen Sportwagen Taycan. Angela Merkel quittierte die Lobhudelei mit einem trockenen: „Okay, ich hatte nicht vor, einen zu kaufen."
Auch Diesel und Benziner sind noch da
Die IAA steht 2019 im Zeichen der Klimakrise. Es hat Tradition, dass Umweltaktivisten gegen die Automesse protestieren, doch allein die Kundgebung vor dem Messegelände am Samstag, an der sich laut Veranstaltern rund 25000 Leute beteiligten, zeigte: Der Protest hat eine neue Dimension erreicht. Die Autohersteller reagieren auf den zunehmenden Druck mit ihrer elektrischen Charmeoffensive; allerdings stehen auf der Messe hinter den Reihen der Elektroautos und Hybride weiterhin Diesel und Benziner, einige mit der schlechtesten Kohlendioxid-Effizienzklasse G. Und die Messebesucher scharen sich auch oder gerade dann um SUVs und Coupés, wenn auf deren Dach eine Greenpeace-Aktivistin steht und diese mit knallgelbem Plakat als „Klimakiller" brandmarkt.
Dabei war das Messeformat schon wenn nicht für tot, so doch zumindest für überholt erklärt worden: 800 Aussteller auf einer Fläche von 24 Fußballfeldern klingt zwar beachtlich - doch vor zwei Jahren waren es noch tausend auf einem größeren Gelände gewesen. In diesem Jahr sagten hingegen reihenweise Autohersteller ab, darunter die französischen Marken Peugeot und Citroën, außerdem Suzuki, Subaru und Toyota aus Japan oder auch der britische Luxushersteller Rolls-Royce. Es hieß, die Zeiten der klassischen Produktschauen seien vorbei und Autohersteller zu Anbietern von Mobilitätslösungen geworden.
Auf der IAA sind die Stände, über denen verheißungsvolle Begriffe wie „New Mobility" oder „Connectivity" stehen und an denen vor allem geredet wird, dennoch nicht die Publikumsmagneten. Das bleiben Autos, die man anfassen und in denen man Probe sitzen kann. Die Besucher stört nicht, dass genau wie früher Neuwagen präsentiert werden, sondern dass es nicht mehr sind: „Schade, dass es so leer ist dieses Jahr - aber toll ist es trotzdem", ist immer wieder zu hören. Erwachsene freuen sich über formvollendete Leistungsträger, pubertierende Jungs setzen sich in kaum bezahlbare Sportwagen, und Kinder staunen über Fahrzeuge ohne Lenkrad. Dazu Dolby-Atmos-Sound wie im Kino. Die Brust vibriert bei so viel Bass.