AUSBLICK Die Europapolitiker stehen vor großen Aufgaben in Wirtschaftsfragen sowie der Innen- und Außenpolitik
AUßENPOLITIK UND SICHERHEITWie eng holen wir die Türkei an die EU heran, wie behaupten wir uns mit Europas Klimaschutzzielen? Stabilisieren wir eher die Krisennachbarn im Osten Europas oder die im Mittelmeerraum? Finden wir zu einer EU-Flüchtlingspolitik und wie kontern wir notorische Menschenrechtsverletzer? Neben laufenden Arbeiten an Assoziierungs- und Handelsabkommen sind das große außen- und sicherheitspolitische Fragen, zu denen die EU in den nächsten Jahren eine Position erarbeiten könnte. Was der Europäische Auswärtige Dienst aber für den Junigipfel 2015 auf die Prioritätenliste setzen wird, und ob die Mitgliedstaaten Beschlüsse folgen lassen, hängt von deren politischen Willen ab.
Streit ist dabei programmiert. Denn Interessen gibt es mindestens so viele wie EU-Länder, und jedes hat sein Vetorecht. "Schon der angestoßene Dialog, um eine gemeinsame Strategie zu entwerfen, ist ein wichtiger Anfang. Er bedeutet nichts weniger, als sich mit der Zukunft Europas auseinanderzusetzen", sagt Jan Techau, Direktor des Europa-Zentrums der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden. Bisher tendierte aber jede Regierung dazu, ihre eigene Politik zu verfolgen. Das zeigte zuletzt der Dezembergipfel. Die vom Parlament geforderten Entscheidungen zur Außen- und Sicherheitspolitik der EU blieben aus. "Was die Staats- und Regierungschefs als Ergebnis ablieferten, war nicht weltbewegend", findet Christian Mölling von der Stiftung Wissenschaft und Politik: "Mehr Gemeinschaft in der Verteidigungspolitik war nicht das Thema."
Viele KonflikteGleich vor Europas Haustür jedoch hat nun Russland mit der Annexion der Krim gegen Völkerrecht verstoßen. "Das sollte die Mitgliedstaaten aufgerüttelt haben. Es zeigt, dass eine schwere Bedrohung unseres Friedens möglich ist und bedarf einer entsprechenden Antwort", erklärt Steven Blockmans vom Brüsseler Zentrum für Europäische Studien. "Die Krise der Ukraine ist die erste echte Bewährungsprobe der EU-Außenpolitik", stellt auch Techau fest. Sollten ihre Bemühungen am Ende doch scheitern, habe die EU immerhin eines gezeigt: Es ist nicht unmöglich, eine Strategie einhellig mit 28 Ländern zu verfolgen.
Dass die EU im Block mehr politisches Gewicht hat als einzelne Staaten, beweisen die Atomgespräche mit dem Iran. Seit Jahren rufen Europaparlament und Think Tanks nach einer gemeinsamen Strategie für die EU-Außen- und Sicherheitspolitik. "Doch die Wähler üben deswegen noch keinen Druck auf ihre Regierungen aus", betont Techau. Obwohl blockierte Seewege - etwa für deutsche Im- und Exporte - fatale wirtschaftliche Folgen hätten, samt steigender Arbeitslosenzahlen in Deutschland.
Laut Techau sind die Europäer derzeit "wirtschaftlich abhängig von einer Stabilität in fernen Weltgegenden, die sie selbst nicht garantieren können. Sie verlassen sich darauf, dass die USA das für sie erledigen." Experten sehen aber Indizien für eine strategische Umorientierung der Amerikaner nach Asien. Dann wäre es an Europa, sich selbst um seine sicherheitspolitisch wackeligen Nachbarn zu kümmern. Trotz zehn Jahren Nachbarschaftspolitik ist die EU umgeben von einem Halbkreis aus Krisenherden: die Ukraine, der Kosovo, Syrien, Ägypten, der Libanon, Libyen und dahinter die Sahelzone. Es wird Zeit für eine Antwort darauf: "Das sehen die Amerikaner als Aufgabe Europas", meint Techau: "Außenpolitik bedeutet, woanders für Frieden zu sorgen, nicht bloß Entwicklungsgelder nach Afrika zu senden."
Militär koordinierenDoch bei der Außen- und Sicherheitspolitik ist es ähnlich wie bei Finanzen und Steuern: Kein Land lässt sich dabei gerne hineinreden. Es gehört zum Kernbereich dessen, was staatliche Souveränität ausmacht. So sprachen sich die Verteidigungsministerien bislang nicht europaweit ab, was sie abschaffen, um zu sparen. Kooperationsteams bilden nur Franzosen und Briten, Belgien mit den Niederlanden sowie die Skandinavier unter sich. Laut einer Studie des Europaparlaments verursacht die unkoordinierte Verteidigungspolitik unnötige Dopplungen. Die EU-Länder gaben 2012 laut Europäischer Verteidigungsagentur insgesamt 190 Milliarden Euro für Verteidigung aus, mehr als die Hälfte davon für Personal. Der Studie zufolge könnten davon bis zu 130 Milliarden Euro jährlich gespart werden.
Geld, das an anderer Stelle Lücken in der Ausrüstung füllen könnte, die sich bei Einsätzen wie in Libyen oder Mali offenbarten: Dort mussten die Amerikaner mit Technik aushelfen. So können britische Flugzeuge nicht von französischen Flugzeugträgern starten, und französische Flugzeuge können nicht an deutschen Luftbetankungssystemen andocken. Drohnen leaste Europa von den USA und Israel. Immerhin haben die Staats- und Regierungschefs die Absicht erklärt, mögliche Kooperationen und gemeinsame Standards prüfen zu lassen. Brüssel will Europas Rüstungsindustrie stärken sowie Forschung und Entwicklung von militärisch und zivil einsetzbarer Technik vorantreiben. US-Präsident Barack Obama forderte erst wieder bei seinem Brüssel-Besuch, die Europäer sollten sich bei der Rüstung mehr auf eigene Beine stellen. "Eine Teilantwort, wie sich Europa künftig sicherheits- und militärpolitisch aufstellen will, wird der Natogipfel im Herbst geben", sagt Mölling: "Der nächste Teil kommt dann beim EU-Gipfel im Juni 2015."