Mit seinem Elektrotransporter schnappte Günther Schuh etablierten Autoherstellern einen dicken Auftrag der Post-Tochter DHL weg.
Herr Professor Schuh, wie kamen Sie auf die Idee, ein Fahrzeug wie den Streetscooter zu entwerfen?
Schuh: Die Frage war: Wie lässt sich in einem Hochlohnland wie Deutschland noch übermorgen etwas produzieren, das international wettbewerbsfähig ist? Dabei hat mich besonders das Elektroauto interessiert, weil ich es gesellschaftlich und ökologisch für sinnvoll halte. Doch für die meisten Menschen ist ein solches Auto bisher unbezahlbar. Das hat meinen Ehrgeiz als Produktionsforscher geweckt. Ich möchte gern von vornherein in die Produktentwicklung eingreifen. Denn nur wenn man ein Produkt so gestaltet, dass es sich problemlos herstellen lässt, erreicht man einen günstigen Preis. So entstand der erste Prototyp, der „StreetScooter A12", den wir auf der IAA 2011 vorgestellt haben.
Die DHL Group begeisterte er so, dass Sie den Auftrag zur Entwicklung eines Elektrotransporters erhielten. Was hatten Sie den großen Automobilfirmen voraus?
Schuh: Das Logistikunternehmen DHL war damals auf der Suche nach einem Konzept für ein elektrisch betriebenes Lieferfahrzeug zur Brief- und Paketzustellung. Die Vorschläge aus der Automobilindustrie waren offenbar ungeeignet - und vor allem zu teuer.
Was zeichnet den Lieferwagen aus, den Sie dann für die DHL entwickelt haben? Was haben Sie anders gemacht als die etablierten Konzerne?
Schuh: Wir haben alles vermieden, was die Kosten nach oben getrieben hätte - etwa teure Karosseriestrukturen und Umformwerkzeuge für die Herstellung. Zudem setzten wir auf ein sehr stabiles, aber einfach zu fertigendes Fahrzeugchassis. Das ist bei einem kleinen Lastkraftwagen eigentlich nichts Ungewöhnliches. Doch wir haben das Fahrzeug außerdem konsequent auf die vorgesehene Nutzung ausgelegt - also die Verteilung von Briefen und Paketen im Nahverkehr. Daher kommt der Street-Scooter mit einem recht kleinen Elektromotor, einer verhältnismäßig kleinen Batterie sowie mit einem für seinen Einsatzzweck maßgeschneiderten Antriebssystem und Fahrwerk aus. Zusätzlich haben wir viele Komponenten eingekauft, die Automobilzulieferer bereits entwickelt hatten und die bewährt waren. Wir haben also darauf verzichtet, alles neu zu entwickeln.
Sie haben 100 Postangestellte gefragt, wie der ideale Elektrotransporter aussehen würde.
Wie war die Resonanz?
Schuh: Es hat ihnen einen Riesenspaß gemacht. Und es kamen bei der Befragung rund 120 Verbesserungsvorschläge zusammen: von einer ebenen Ladefläche bis zu einem Druckknopf, um die Ladetür zu öffnen. Wir haben vieles davon umgesetzt - ein Grund, weshalb die Postler mit dem Fahrzeug sehr zufrieden sind.
Erhielten Sie auch Feedback aus der Automobilindustrie?
Schuh: Wir Forscher gehen mit dem Wissen, das wir bei dem Projekt erworben haben, freizügig um und zeigen den Wettbewerbern fast alles. Die Resonanz in der Automobilbranche war positiv. Auch von namhaften Unternehmen erhielten wir viel Anerkennung und Respekt dafür. Allerdings sollte die Automobilbranche ihre Konzepte für Elektroautos und die Produktion von Elektrofahrzeugen überdenken. Denn ein Fahrzeug wie den Street-Scooter hätte es schon vor Jahren geben können.
Was bedeutet Ihre Entwicklung für die Zukunft?
Schuh: Es gibt viele ähnliche „Special Purpose Car"-Anwendungen in Städten wie Essenslieferanten, Schülerbeförderung und Shuttle-Dienste von Eventagenturen. Die fahren am Tag vielleicht fünf bis zehn Mal - legen dabei aber in Summe nur 50 bis 100 Kilometer zurück. Diesen Markt könnte die Automobilindustrie mit Elektroautos leicht abräumen. Doch dafür braucht es modulare Fahrzeug-Plattformen, die spezifische Aufbauten ermöglichen und die solche Stadtfahrzeuge bezahlbar machen. Dem Umweltschutz in Städten könnte man so einen großen Dienst erweisen.
Interview: Nikolaus Fecht Foto: Ralf Baumgarten
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