Eva, ihr habt ganze vier Jahre für euer zweites Album gebraucht. Warum so lange?
Eva Milner: Philipp und ich haben einfach ein anderes Tempo als der Rest der Welt. Alles wird immer schneller, aber wir nicht - keine Ahnung warum, das ist einfach so. Aber es ist inzwischen auch privat viel bei uns passiert, zum Beispiel ist Philipp vor anderthalb Jahren aufs Land gezogen, wo wir unser Studio eingerichtet haben. Dort konnte erst die Arbeit richtig losgehen. Wir haben nach dem ganzen Touren auch die Ruhe gebraucht. Wir haben währenddessen nicht viel geschrieben, das hat alles hinausgezögert. Es ist aber auch nicht schlimm, denn auf Facebook habe ich gemerkt, dass sich die Leute sehr über die Ankündigung gefreut und uns nicht vergessen haben.
Milner: Oder als Nachhall. Wie genau wir es meinen, mag ich gar nicht verraten. Ich habe das Hobby, mir schöne Wörter aufzuschreiben und sie zu sammeln, wenn ich sie höre, und dann auch in Texte einzubauen. „Aftermath" ist mir bei Touchy Mob und bei Kashmir aufgefallen, daher wollte ich es erst gar nicht verwenden, weil ich es zweimal benutzt wurde. Aber es ist immer wieder aufgetaucht und hat auch so gut zum ersten Song gepasst, dass wir ihn als Albumtitel nehmen mussten. Und der Nachhall, den wir meinen, ist das Wieder-in-die-Arbeit-reinkommen nach der langen Pause, alles wieder fließen zu lassen.
Ist es denn bei euch klar getrennt, Philipp liefert die Musik und du die Texte?
Milner: Ne gar nicht, wir sind das jeweilige Korrektiv des anderen. Meist gebe ich ihm meine Zeilen und sage: Kritisier das bloß nicht! Und dann kritisiert er es natürlich, wir diskutieren und ändern es ab. Wir greifen beide in den jeweiligen Prozess ein. Selten ist es so, dass er mit einem fertigen Lied inklusive Text kommt. Manchmal liefere ich ihm auch eine Gesangsmelodie, auf die er dann aufbaut.
Spielst du denn auch ein Instrument?
Milner: Nicht virtuos, aber ich spiele Gitarre und ein wenig mit meiner Autoharp. Ich habe auch mal ein bisschen komponiert, aber wenn du mit so einem virtuosen Musiker zusammenarbeitest, hemmt das schon. Bis ich auf manche Idee komme, muss ich erst mal zehnmal Mist bauen. Aber auf der Premium Edition des Albums ist ein Lied, das ich komponiert habe und auch spiele. Es heißt „Winding Road" und klingt etwas trashig und sehr folkig.
Milner: Stimmt, und von mir aus hätte es noch mehr auf die Zwölf gehen können, total in your face, was ich schon gerne mag. So krass ist es nicht geworden, aber bewusst kraftvoller produziert, zehn Schritte weiter als unser erstes Album. Jenes würde ich sehen als einen ersten Versuch. Klar hatten wir schon unsere Plattenfirma Sinnbus, aber wir hätten nie damit gerechnet, dass damit so viel passiert. „Aftermath" ist wie ein zweites erstes Album, so bekloppt das klingt. Du hast zwar mehr Durchblick und weißt auch, was da noch dran hängt, aber du merkst auch, dass du trotzdem vor nichts stehst, wenn du anfängst. Und dieses Mal hatten wir mehr Lust auf Reibung und Frontalität.
Die erste Hälfte ist sehr Pop-affin, die zweite etwas düsterer, elektronisch klingender. Ist diese Trennung bewusst?
Milner: Ja, wir haben mit der Trackliste lange experimentiert und alles herumgeschoben, aber das war die einzig mögliche Reihenfolge. Am Anfang denkt man sich vielleicht: Hallo, bin ich hier falsch, sind die das noch, klingt irgendwie anders, aber die Stimme passt, machen die jetzt alles organischer? Aber dann folgt die Überleitung in den elektronischen Part, und mir taugt diese Zweiteilung total. „Stoned" am Ende ist düsterer, organischer und ein sehr schlüssiger Übergang zum ersten Track, sodass man es sehr gut durchlaufen lassen kann. Wobei ich es jetzt gerade natürlich gar nicht mehr hören mag.
Klar, irgendwann hat man alles über, gerade, wenn man sich selbst die ganze Zeit hören muss.
Milner: Ich habe mit 18, 19 Jahren die ganze Zeit nur Portishead gehört. Ein Jahr lang nur Portishead, sogar in einem Café, in dem ich gearbeitet habe, bis mein Chef kam und meinte: Sag mal, geht's noch, willst du, dass unsere Gäste sich umbringen? Ich hab da auch einfach Björk gespielt und fand gar nichts dran. Aber wenn ich heute „Portishead", ihr zweites Album, höre, geht mir das fast zu tief und ich denke: Krass, und das hast du auf Dauerschleife gehört ...
Für den einen ist es traurige, für den anderen einfach schöne Musik, je nachdem, wie man das bewertet. Ein nicht trauriges, aber sehr akustisch reduziertes Lied auf „Aftermath" ist das Touchy-Mob-Cover „Foam Born". Wie seid ihr darauf gekommen?
Milner: Touchy Mob war mit uns auf Tour und ist ein ganz besonderer Mensch und guter Freund von uns geworden. Bei unserer allerersten Tour war er ab dem ersten Konzert als Support dabei und hat vor uns gespielt. Wir sind ab dann super viel mit ihm gereist und er ist ein wahnsinnig angenehmer und feinsinniger Typ. Und er hat mir tatsächlich auch beim Texten des Albums geholfen. Ich habe ihn im Sommer zwei Tage auf Rügen besucht, wo er gerade war, und er hat mir bei zwei Stücken geholfen, bei denen ich nicht weiter kam. Das war super. Und der Song ist einfach Wahnsinn, ich wünschte, ich hätte ihn geschrieben. Als ein Video davon aus einer Akustiksession online ging, hat er dazu geschrieben: „Watch Hundreds Coldplay-fy my song!" (lacht). Das fand ich putzig, er meinte es natürlich scherzhaft. Daraufhin ist es zu unserer Tourhymne geworden, unser Lichtmann hat es gesungen, unser Soundmann, immer war das Lied um uns herum. Und obwohl ich selber nie so texten würde, habe ich wahnsinnigen Spaß mit den Kraftausdrücken darin, wie „Fuck" und „Shit time", das finde ich super, sowas auch mal singen zu können.
Euer erstes Album hatte von der Atmosphäre her und natürlich dem Stück „I love my Harbour" einen gewissen Hamburgbezug. Seid ihr hier geboren?
Milner: Nein, wir kommen aus Bayern, aus einem Örtchen im Spessart, in der Nähe von Würzburg, also aus Unterfranken. Schneewittchen kommt auch aus unserer Geburtsstadt. Von da aus sind wir langsam nach oben mäandert, Philipp ist in den Osten gezogen und ich bin über Hildesheim und Bielefeld in Hamburg gelandet. Und ich bin tatsächlich wegen Hamburg nach Hamburg gezogen. In einem Spätsommer vor ein paar Jahren musste ich hier fünf Stunden totschlagen, bin runter an den Hafen gegangen und dachte: Geht's noch? Geht's noch?! Wie schön ist das denn bitte? Ich saß da, echt mit offenem Mund, und dachte: krass. Ich war sowieso in einer Umbruchsphase, arbeitslos und habe mich dann ausschließlich in Hamburg beworben, und dann hat es geklappt. Philipp hat mich öfters besucht und ihm ging es ganz genauso. Obwohl er die Stadt liebt, ist es ihm aber irgendwann zu viel geworden, denn die Probe- und Studioraumsituation ist hier echt beschissen! Es gibt nichts Ruhiges und Günstiges zu finden. Wir hatten an sich schon was Gutes an der Stresemannstraße, aber wenn andauernd vorm Fenster der Krankenwagen vorbeirauscht, kannst du auch keine ordentliche Gesangsaufnahme machen, und in irgendeinen Bunker wollten wir auch nicht. Die Studiosituation ist fast so schlimm wie die Wohnungssituation. Zudem verändert sich Hamburg gerade ein wenig. Jedenfalls habe ich das Gefühl, dass es in den letzten sieben Jahren etwas rauer und menschlich kälter geworden ist, auch wegen der politischen Situation. Aber dennoch liebe ich die Stadt und sie ist untrennbar mit Hundreds verknüpft, alle Entscheidungen sind hier gefallen, wir haben in meiner alten Küche in Eimsbüttel aufgenommen, haben Freunde hier, hier stecken unsere Wurzeln. Es war eben nur praktischer, das Album auf dem ruhigen Land aufzunehmen.
Und dabei lockt ja Berlin immer.
Milner: Ne, also wirklich nicht, das könnte ich nicht. Ich könnte in Berlin niemals so bei mir bleiben und kreativ sein. Vielleicht bin ich spießig, aber dort ist es mir einfach zu wild und zu experimentell.
Es ist Stress.
Milner: Genau, so ist es. Und wenn du hier an einem sonnigen Tag an den Elbstrand gehst oder nach Wedel rausfährst, dieses Gefühl von Meer hast, denkst du: Mensch, alles cool.
Ist elektronische Musik eher ein urbanes Phänomen? Würden Hundreds anders klingen, wenn sie in einer Kleinstadt angefangen hätten?
Milner: Wir wollten uns tatsächlich mal ein Studio in Island mieten und dort aufnehmen. Wir haben 2010 beim Iceland Airwaves Festival gespielt, haben vor Moderat und Efterklang gespielt, da waren wir ganz ganz stolz. Wir hatten dann noch eine Woche Zeit und sind mit einem Landrover durch die Gegend gefahren. Auch, wenn es ein bisschen profan ist, aber da wurde uns klar, warum die Isländer so gute Musik machen. Sie hassen dieses Argument mit der Landschaft zwar, aber es ist einfach so. Und dazu der lange Winter, was willst du da machen? Aber das war natürlich utopisch und unbezahlbar. Ich glaube, ich habe die Urbanität mitgebracht in die Musik. Philipp ist zufrieden auf dem Land, unser Studio ist dort, also schlagen zwei Herzen in der Brust von Hundreds, das urbane und das ländliche.
Eines meiner Lieblingszitate von Björk ist: „Wenn elektronische Musik keine Seele hat, dann hat sie ihr niemand eingehaucht. Das muss man selbst erledigen, ein Bleistift ist auch ein kaltes, totes Ding, nicht nur der Computer." Würdest Du das unterschreiben?
Milner: Na klar, ich kenne das Zitat und unterschreibe sowieso fast alles, was Frau Björk sagt. Es war auch eine Art Spiel für uns, mit dem Sound zu experimentieren. Die Musik hat uns da selber hingeführt, dass auf „Aftermath" manches organischer klingt, zum Beispiel „Circus" mit dem Gitarrensample. Wir werden trotzdem nicht als Folkband auftreten, auch wenn bei der Tour dieses Mal ein Schlagzeuger dabei sein wird. Er wird mit verschiedenen Drumpads den Laptop ersetzen. Wir sind schon wild am Proben, weshalb Philipp heute auch nicht dabei ist. Das wird alles sehr aufregend für uns bei den Releasekonzerten.