Schon die Kabine eines Traktors erinnert an ein Videospiel. Knöpfe, Hebel, sogar einen programmierbaren Joystick gibt es, zumindest in den neueren Modellen. "Mit 280 PS durch eine Ortschaft zu fahren, die Ampeln auf Augenhöhe zu haben - das ist ein so geiles Gefühl", sagt Fabian*. 2020 hat er seinen Traktor-Führerschein gemacht. Seitdem versetzen ihn der knatternde Motor und die Vibrationen, die sich in jede Faser seines Körpers übertragen, jedes Mal für einen Moment zurück in seine Kindheit.
Dieses Gefühl kannte Fabian bislang nur virtuell - aus dem Landwirtschafts-Simulator. Die Reihe gehört zu den beliebtesten Videospielen in Deutschland. Hunderttausende Spieler und Spielerinnen säen und ernten, jäten und fahren auf einer der mehr als 400 Landmaschinen über virtuelle Felder. Und manche, wie Fabian, finden durch den Simulator zurück zur Landwirtschaft.
Der 39-Jährige ist in einem kleinen Ort in der Nähe von Köln aufgewachsen. Neben dem Elternhaus ein Feld, Arbeiter, Maschinen - Landwirtschaft. "Ich saß manchmal mit auf der Sämaschine, habe gesehen, wie die Samen im Boden verschwanden, schließlich sprossen und Monate später geerntet wurden", sagt er. "Ich habe damals fasziniert die einzelnen Arbeitsschritte beobachtet und gesehen, dass das alles durchgeplant ist."
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Neben der Landwirtschaft entdeckte Fabian noch eine zweite Faszination: Computerspiele. Er bekam mit 14 Jahren seinen eigenen Rechner, zusammengespart vom Konfirmationsgeld. Heute arbeitet er als technischer IT-Berater, sitzt am Schreibtisch, spricht mit Kunden, schreibt Konzepte.
Deutschland und seine dicken Anleitungen
GIANTS Software hat seinen Sitz in der Nähe von Zürich, mit Zweigstellen in Erlangen und im tschechischen Brno. Seit 2008 hat das Studio mehr als 20 Versionen und Editionen des Landwirtschafts-Simulators entwickelt und veröffentlicht. "Landwirtschaft hat in Deutschland eine bedeutende Tradition", sagt Martin Rabl, Head of Marketing & PR bei GIANTS Software. Das sei ein Grund für die Beliebtheit des Games hierzulande. Inzwischen gebe es aber auch in anderen Regionen, etwa in den USA, eine "gleichwertige" große Community.
Ein weiterer Grund für den Erfolg: Deutschland war und ist ein PC-Markt. In Gesprächen mit internationalen Entwicklern und Entwicklerinnen zeigt sich, dass Deutschland noch immer als das Land der Simulatoren und Aufbauspiele gilt. Ein Land voller Gamerinnen und Gamer, die es lieben, sich durch komplexe Spiele zu klicken, die mit dicken Anleitungen ausgeliefert werden. Diese PC-Games haben den hiesigen Markt über Jahre geprägt. Das Spiel ist immer auch Arbeit. Ordnung und Spaß stehen nebeneinander.
Schon wenige Wochen, nachdem der Landwirtschafts-Simulator 22 im November 2021 auf den Markt kam, brach er die Marke von 500.000 Verkäufen in Deutschland. Weltweit lagen die Verkäufe Ende Januar bei drei Millionen.
C64 versus NaturVon seinem fünften Lebensjahr bis zum Abitur fuhr Fabian jedes Jahr in den Sommerferien auf einen Bauernhof in Österreich. Zusammen mit seinen Eltern und den zwei Geschwistern. Als Teenager schließlich allein. "Für mich war das der einzig mögliche Urlaub, ich wusste als Kind gar nicht, dass man auch woanders hinreisen kann", sagt er. Sein Urlaubstag begann um fünf Uhr und endete erst zur Abenddämmerung. Während die Eltern mit Buch im Garten lagen, saß er auf Treckern und Mähdreschern, erhielt Einblick in das komplexe System eines funktionieren Hofes.
Nach seinem Abitur entschied sich Fabian trotzdem für den Computer, nicht den Trecker. "Die Idee, Landwirt zu werden, geisterte längere Zeit in meinem Kopf herum. Aber damals versprach das keine Karriere mit ordentlichem Verdienst", sagt er. Stattdessen machte er eine Ausbildung zum Fachinformatiker und zog in die Kölner Innenstadt. Vergessen waren die Trecker und Mähdrescher - bis zu jenem Tag im Jahr 2013, als erstmals das Logo des Landwirtschafts-Simulators auf seinem Monitor aufleuchtete.
"Mich hat richtig starke Nostalgie gepackt", sagt er. Er verbrachte etliche Stunden auf seinem virtuellen Bauernhof, suchte den Fuhrpark nach den Maschinen ab, die er von früher kannte. Dabei entdeckte er das sogenannte Modding; Fahrzeuge, die er im Spiel nicht fand, baute er kurzerhand selbst. Das wird vom Spiel unterstützt, seine IT-Erfahrung half Fabian dabei.