2 abonnements et 1 abonné(e)
Texte

Allzu Menschliches

Wenn ein geliebter Mensch gestorben ist, ist es nur allzu menschlich, zu wünschen oder zu glauben, dass er irgendwo irgendwie weiterlebt, sodass er denen weiterhin zur Seite stehen kann, die er zurückgelassen hat. Mit dem geliebten Verstorbenen ist es also ganz ähnlich wie mit Gott: wir sehen nicht, können uns aber gut vorstellen, dass er in einem anderen und höheren Sinne gegenwärtig ist.

Weil beides genauso gut für eine bloße Wahnvorstellung gehalten werden kann, wird es auch oft genug für eine solche gehalten: alle Gestorbenen seien und blieben tot, und ein überweltliches Wesen existiere nicht. Auch diese Ansichten sind allzu menschlich. Sie können weder widerlegt noch bewiesen werden, ebenso wenig wie das Leben nach dem Tod und die Existenz Gottes. Alles bleibt in diesen Fragen in der Schwebe.

Dadurch kann man sich als Mensch vor die vielleicht grundlegende Lebensfrage gestellt sehen, ob man hier überhaupt eine Haltung einnehmen will und, wenn ja, welche. Wir haben die Wahl, können die eine oder andere Überzeugung annehmen oder unentschieden bleiben. Die Unentschiedenen werden sich indessen zugestehen müssen, der einen Überzeugung persönlich doch näher zu stehen als der gegenteiligen. Denn in existentiellen Angelegenheiten gibt es keine persönliche Neutralität, sondern nur das Entweder-Oder. Will ich also mit oder ohne den (metaphysischen) Glauben leben? Mit wissenschaftlichen Argumenten ist dieser Frage letztlich nicht beizukommen, nur mit Wertschätzungen. "Wofür schlägt mein Herz?" kann sie darum auch lauten.

An dieser Stelle kenne ich kein Zögern und Zaudern mehr und keine Alternative mehr zum größeren Herzen. Ich setze alles auf Gottes unendliche Barmherzigkeit, auf die denkbar größte Liebe, auf das erfüllteste, den Tod überwindende Leben. Obwohl ich in diesen Dingen sehr bald an die Grenze meines Vorstellungsvermögens gelange, bin ich mir doch gewiss, den mächtigsten Bündnispartner zu haben, der mich einst schauen lässt, was im allzu menschlichen Leben ein unlösbares Rätsel bleibt.

HINWEISE

  • Dawkins: Der Gotteswahn
  • Kierkegaard: Entweder – Oder
  • Neues Testament: Erster Korintherbrief
  • Pascal: Gedanken
  • Ricken: Glauben weil es vernünftig ist