Vorher aber werfen wir mit einer Sonderausgabe der Releases des Monats einen Blick zurück. Während die Kolumne nach der letzten Ausgabe über die Sommermonate hinweg eine Zwangspause einlegen musste, erschienen weiterhin reihenweise tolle Musikveröffentlichungen und Bücher, von denen wir zumindest einige kurz vorstellen wollen.
Es war nicht weniger als eine Sensation, als Marginal Consort einen Auftritt in der Berliner St. Elisabeth-Kirche ankündigte. Nicht nur gibt die im Jahr 1997 gegründete japanische Improv-Gruppe bestehend aus Kazuo Imai, Kei Shii, Masami Tada und Tomonao Koshikawa im Allgemeinen wenige Konzerte, auch handelte es sich um ihre allererste Veranstaltung in Deutschland. Der von Manuela Benetton in Zusammenarbeit mit dem Label PAN und der Plattform 33-33 organisierte, von der initiative neue musik geförderte Auftritt war in jeder Hinsicht einmalig. Dass er nun über das italienische Label 901 Editions in Form eines CD-Boxsets mit Fotos und einem Essay von Lawrence English dokumentiert wird, ist eine wahre Freude. " 06 06 16 (St. Elisabeth Kirche, Berlin) " ist allein deshalb bemerkenswert, weil die Aufnahme der dreistündigen Performance gleichermaßen ihr volles Klangbild wie auch ihre einzelnen Nuancen einfängt. Wer für den 6. Juni 2016 kein Ticket ergattern konnte, darf diese eigentlich einmalige Erfahrung nun also beliebig oft nachholen.
Ehsan Saboohi - Music for Black Sine Wave (Noise à Noise, digital)Der Komponist und Theoretiker Ehsan Saboohi ist der Vordenker einer Schule, die er selbst als "Post-Orientalismus" bezeichnet. Sein Schaffen wird regelmäßig durch das mittlerweile in Berlin ansässige Label Noise à Noise dokumentiert. " Music for Black Sine Wave" versammelt 24 verschiedene Basslines, die Saboohi komponiert hat. Das klingt zuerst unspektakulär, stellt aber nur den Ausgangspunkt für ein sehr umfassendes und potenziell unendlich fortführbares Projekt dar: Die Stücke können von Künstler*innen aus dem Bereich der elektronischen Musik als Rohmaterial verwendet und bearbeitet werden, um daraus völlig neue Musik zu erschaffen, die über Noise à Noise veröffentlicht wird. Bisher erschienen sind Bearbeitungen von Payman Abdali, RDKPL, dem Jazz-Duo Claude & Ola, Kian Hossein und Chem XP sowie eine Compilation mit Stücken von unter anderem Reza Ahmadian und Hanna Mesgari. Dem werden sicherlich noch mehr folgen: Noch bis Dezember dieses Jahres können weitere Beiträge eingereicht werden.
Theo Nabicht - Circle Line Project 14 Berlin (Moloko+, LP/CD)Wenn andere Künstler*innen sich im Kreis drehen, verheißt das meistens nichts Gutes. Theo Nabichts musikalische Kreativität wird aber erst so richtig entfacht, wenn er Runde um Runde dreht - am liebsten natürlich mit dem öffentlichen Nahverkehr. Zuletzt nahm er während des Monats der zeitgenössischen Musik gemeinsam mit Alexandre Babel, Andre Bartetzki, Johannes Girke und Joke Lanz im Teilager Fahrbereich sein Publikum auf eine Rundreise in der Tokioter Yamanote mit, zugleich aber erschienen mit " Circle Line Project 14 Berlin " Aufnahmen des Projekts, das am Anfang dieser kontinuierlichen Auseinandersetzung mit den Hauptverkehrsadern internationaler Metropolen stand. Angefangen mit der Prenzlauer Allee geht es mit der S42 in 27 Stücken Richtung Wedding, Westkreuz, Schöneberg, Ostkreuz und schließlich für das große und doch kurze Finale die Greifswalder Straße. Nabicht an der Bassklarinette und dem Sopransaxophon sowie Eric Schäfer am Schlagzeug, John Eckhardt am Bass, Mario Verandi am Computer und Seth Josel an der Gitarre ließen sich von Videoaufnahmen führen, die Nabicht während Rundreisen mit der Ringbahn angefertigt hatte. Obwohl das Album im Jahr 2014 aufgenommen wurde, zeichnet es zwischen hitzigen Free-Jazz-Freakouts und atmosphärischen Intermezzi, Rush Hour und ruhigen Momenten ein zeitloses musikalisches Bild einer sich ständig in Bewegung befindlichen Stadt und dessen heimlichem Motor.