Der Name Kieran Hebden ist vor allem Fans elektronischer Musik geläufig, seine Musik aber weit über Szenekreise hinaus bekannt. Der Brite hat mit Steve Reid, Thom Yorke und Neneh Cherry zusammengearbeitet und Stars wie Sia oder Tame Impala geremixt, unter dem Namen Four Tet Anfang der Nullerjahre aber auch einen Sound definiert, der als Folktronica bezeichnet wurde. Verspielte Melodien, akustische Instrumente und kuriose Samples treffen auf Rhythmen, die leicht und jazzig sind, Hip-Hop-Grooves und Clubmusik zitieren. Eigenwillig aber freundlich, geschmackssicher, aber gefällig: die Ästhetik des frühen Four-Tet-Veröffentlichungen war wie gemacht dafür, um sich ins Streamingzeitalter herüberzuretten, als Hintergrundsoundtrack für Cafés, mentale Stütze beim Lernen oder nette Nebenbeimusik beim Grillfest.
Wann immer zu solchen Gelegenheiten die Tracks von den zwischen den Jahren 2001 und 2005 veröffentlichten Alben Pause, Rounds und Everything Ecstatic, einer Liveplatte sowie EPs und Singles aus derselben Zeit gestreamt wurden, bekam Hebden nur 18 Prozent der Ausschüttungen. Sein Label Domino Records strich die restlichen 82 ein. Bekannt wurde das im vergangenen Sommer, als Hebden deswegen vor Gericht ging. Seine Hauptforderung: rückwirkend und zukünftig 50 Prozent aus dem Geschäft mit Downloads und Streams. Die Entgegnung Dominos: Downloads waren bei Vertragsunterzeichnung im Jahr 2001 noch nicht als Vertriebsweg etabliert und existierte noch nicht, weshalb beide nicht im Vertrag aufgeführt wurden. Deshalb sollten dieselben Regeln gelten wie für den Verkauf von Schallplatten und CDs, über die zu dieser Zeit noch hauptsächlich Musik vertrieben wurde.
Eine Beteiligung von 18 Prozent mag im Downloadzeitalter für getätigte Verkäufe schon kaum mehr seine Berechtigung gehabt haben, weil MP3s anders als CDs weder kostenintensiv produziert noch aufwendig vertrieben werden mussten. Im lizenzbasierten Streaminggeschäft schien das nur umso unfairer. Die Klage traf bei vielen einen wunden Punkt: Durch die Pandemie wurden Millionen von Musikerinnen und Musikern nach dem Wegbruch von Konzerteinnahmen noch dringlicher daran erinnert, dass sie ihren Lebensunterhalt nur schlechterdings von der Verwertung ihrer Aufnahmen bestreiten konnten. Während sich die Wut aber vor allem auf Streamingdienste wie Spotify konzentrierte, fand sich mit Domino Records plötzlich ein Feindbild in den eigenen Reihen - ein Indie-Label, das eine Reihe von kleinen Bands und Künstlerinnen aus bestimmten Subkulturen großgezogen hat und für einen alternativen Sound steht.
Doch Domino ist auch eines der größten Plattenlabels der Welt. Als Hebden seine Klage einreichte, rangierte es im Streamingumfeld mit einem Marktanteil von 0,5 Prozent auf dem siebten Platz. Zudem gehört es zum Merlin Network, einem Zusammenschluss von Indie-Labels, das ziemlich viel Einfluss in der Streamingwelt und einen Marktanteil von noch mal 15 Prozent hat, was es nach Universal, Sony und Warner quasi zum vierten Major-Label macht.Und doch gab Domino gegenüber Hebden nach - am Montag verkündete der Künstler, mit dem Label eine außergerichtliche Einigung erzielt zu haben. Nicht nur bekommt er zukünftig 50 Prozent der Tantiemen, sondern obendrauf rückwirkend etwas mehr als 66.000 Euro für Streamingeinnahmen aus den letzten sechs Jahre ausgezahlt. Gut für ihn und womöglich noch ein paar andere Künstlerinnen und Künstler: Obwohl es sich nicht um ein rechtskräftiges Gerichtsurteil handelt, dürfte die Einigung zumindest einen wirtschaftlichen Präzedenzfall schaffen, auf den sich ähnliche Forderungen berufen könnten.
Immerhin aber behält Domino die ihnen im Vertrag von 2001 zugeschriebenen Masterrechte der Four-Tet-Veröffentlichungen und kann bis zum Erlöschen des Urheberrechts nun zumindest auf 50 Prozent der Tantiemen vertrauen, wann immer in einem Café oder woanders die Rounds aus den Lautsprechern fließen. Tatsächlich hatte das Label Hebden sogar vorgeworfen, den Prozess nur deshalb angestrebt zu haben, um an eben diese Masterrechte zu kommen. Dann hätte er sich potenziell 100 Prozent der Tantiemen sicher können. Nach eigenen Angaben zahlt zum Beispiel Spotify etwa zwei Drittel seiner Einnahmen durch Abos und Werbung an die Rechteinhaber aus.
Das wirft die Frage auf, die sich viele Musikerinnen bereits stellen: Warum mit Labels arbeiten, die versuchen, den größtmöglichen Profit aus einer sowieso kaum profitablen Sache zu schlagen? Kieran Hebden scheint seine Antwort schon gefunden zu haben: Er veröffentlicht mittlerweile das Gros seiner Musik über sein eigenes Label Text.
Nun ist Hebden aber ein weltweit bekannter Artist mit treuer fanbase. Ein Tweet von ihm reicht wahrscheinlich aus, um ein paar tausend Exemplare eines neuen Albums zu verkaufen oder es zumindest ein paar tausend Menschen streamen zu lassen. Wer kein vergleichbares Profil hat, braucht in der Regel die Hilfe eines gut vernetzten Labels. Die Beispiele von Artists, die wie etwa dereinst Chance the Rapper ohne Label im Rücken den Streamingstrudel hinaufschwimmen konnten, mögen erbaulich klingen - sie sind aber auch überschaubar.
Der Prozess Hebden gegen Domino offenbart so zweierlei: Erstens greift die an Streamingplattformen wie Spotify gerichtete Wut über unfaire Vergütung zu kurz, so berechtigt sie auch ist. Wann immer davon gesprochen wird, dass Artists dort durchschnittlich 0,003 Euro pro Stream verdienen, wird selten thematisiert, dass sich danach noch Labels und Vertriebe oder andere etwas abgezweigen. Zweitens sind sowohl die drei großen Majors wie auch die über das Merlin Network organisierte Labels nicht nur Nutznießer des Streamingsystems, sondern haben auch mit Playlistplatzierungen und Lizenzdeals erheblichen Einfluss auf das Geschehen innerhalb dieser Ökonomie. Denn es wurde im Sinne der Profitmaximierung für sie und die Plattformen erbaut und nicht etwa im Interesse der Musikschaffenden.
Das befand auch just einen Monat vor der Öffentlichwerdung von Hebdens Rechtsstreit mit Domino ein dem britischen Parlament vorgelegter Bericht des DCMS Committee (Digital, Culture, Media and Sport Committee): " Streaming needs a complete reset", heißt es in dessen Fazit, die Streamingökonomie sollte von Grund auf neu aufgebaut werden. Vereinzelte außergerichtliche Einigungen und Teilsiege, selbst ein paar handfeste Gerichtsurteile werden das nicht leisten können. Was es braucht, sind politischer Einsatz für die Rechte der Kreativen, technologische Innovationskraft beim Aufbau neuer Infrastrukturen und nicht zuletzt breite Bündnisse unter den Musikschaffenden.