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Wie Gesundheitsfachkräfte zu Bremens hoher Impfquote beitragen

Danny Can-Naique unterwegs im Bremer Ortsteil Huckelriede: Der 34-Jährige hat hier einmal selbst gelebt. (Quelle: Kristin Hermann)

Die Bremer Erfolgsgeschichte beim Impfen liegt auch an Helfern wie Danny Can-Naique. Er geht zu den Menschen, die ansonsten nicht mit Informationen versorgt werden - und die Fragen haben.

Ganz langsam erklärt Danny Can-Naique, warum die dritte Corona-Impfung gegen die Omikron-Variante schützt. Satz für Satz, immer wieder macht er eine Pause, damit ein Mitglied des Gesundheitstreffpunktes für die anwesenden Frauen ins Arabische übersetzen kann. Die Schwierigkeit dabei: Der 34-jährige Gesundheitswissenschaftler muss komplexe Zusammenhänge und Regeln so erklären, dass jeder sie versteht.

Im Gemeindezentrum Matthias-Claudius darf jede Frage zum Thema Corona gestellt werden - ohne Auslachen, ohne Verurteilung. Die anwesenden Frauen kommen größtenteils aus der Nachbarschaft, alle sind mindestens zweimal geimpft, viele von ihnen bereits geboostert. Doch Zweifel und Fragen haben sie dennoch: "Wie oft sollen wir uns noch impfen lassen?", möchten sie wissen.

Oder: "Was passiert da in meinem Körper?" Eine Frau hat Bedenken, dass das wiederholte Impfen ihren Körper schädigen könnte. "Ich liege nach jeder Spritze erst einmal flach. Da komme ich schon ins Grübeln", sagt sie. Auch die aktuell geltenden Corona-Regeln sind immer wieder ein Thema, das für Verunsicherung sorgt.

Unterwegs in benachteiligten Stadtteilen

Danny Can-Naique versucht, auf die Ängste der Frauen einzugehen. Der 34-Jährige gehört zu Bremens Gesundheitsfachkräften, die die Pandemie auch dort bekämpfen sollen, wo klassische Infokampagnen es oft schwer haben. Schon seit dem vergangenen März sind neun Gesundheitsfachkräfte in 14 strukturell benachteiligten Stadtteilen unterwegs.

Sie sollen die Anwohner möglichst niedrigschwellig in Gesundheitsfragen beraten, insbesondere in Hinblick auf Corona und die Impfungen. Pro Stadt- oder Ortsteil gibt es einen festen Ansprechpartner.

Entstanden war die Idee, als auffiel, dass Stadtteile mit einem niedrigen Sozialindex deutlich stärker von der Pandemie betroffen sind als andere. Zu beobachten ist dies nicht nur in der Hansestadt, auch viele andere Großstädte haben von ähnlichen Problemen berichtet.

Seit dem Start der Impfkampagne gehört Bremen bundesweit zu den Spitzenreitern, aktuell sind 87,7 Prozent der Einwohner mindestens zweifach geimpft, ein so hoher Anteil wie in keinem anderen Bundesland. In der Stadt ist man überzeugt davon, dass die Ansprechpartner in den benachteiligten Stadtteilen einer der Erfolgsfaktoren im Kampf gegen Corona sind.

So sehr, dass im März fünf weitere Kollegen eingestellt werden, zwei davon sollen das Projekt künftig in Bremerhaven etablieren. Das Geld dafür, immerhin 800.000 Euro pro Jahr, kommt vom Bremer Gesundheitsressort. Zunächst bis Ende 2023 soll das Projekt laufen.

Viele Mitarbeiter haben selbst Bezug zum Stadtteil

Die meisten der Kräfte sind studierte Gesundheitswissenschaftler, viele von ihnen haben selbst Migrationshintergrund und beherrschen mehrere Sprachen. Wer bereits einen Bezug zum Stadtteil hat, konnte sich bei der Bewerbung um die Position ebenfalls bessere Chancen ausrechnen. So war es auch bei Can-Naique, der für den Ortsteil Huckelriede zuständig ist. Als Zwölfjähriger war er mit seinen Eltern dorthin gezogen. Jetzt möchte er mit seiner Arbeit den Menschen im Viertel etwas zurückgeben.

Rund 7.000 Menschen leben hier. Es ist ein junges Quartier, viele unterschiedliche Nationen haben in Huckelriede ein Zuhause gefunden. Arbeitslosigkeit, Sprachbarrieren und beengter Wohnraum sind nur einige Herausforderungen, die im Ortsteil bewältigt werden müssen. "Durch Probleme des Alltags geht hier viel an einem vorbei, worunter auch die Gesundheitskompetenz leidet", sagt Can-Naique. Auch zwei Jahre nach Ausbruch der Pandemie treffe er noch immer Menschen, die noch nie einen Schnelltest gemacht haben oder nicht wissen, wo sie sich impfen lassen können.

Die Mitarbeiter sind in Quartierszentren, Migrationsberatungsstellen, Mütterzentren, Schulen und Kitas zu Gast, bei Sprachkursen und bei religiösen Gemeinschaften. Aber auch auf der Straße kommt Can-Naique mit den Menschen ins Gespräch: Etwa, wenn er Masken verteilt oder an Infoständen auf mobile Impftrucks aufmerksam macht. "Du kannst nicht erwarten, dass die Leute einfach zu dir kommen. Du musst ihr Vertrauen gewinnen", sagt er.

"Endlich nimmt sich jemand ausführlich Zeit für unsere Fragen"

Im Gesundheitstreff der Kirchengemeinde kommt diese Herangehensweise gut an. "Die Lage ist so dynamisch, da ist es hilfreich regelmäßig einen Experten zu Gast zu haben, der über die neuesten Entwicklungen informiert", sagt Angela Wilhelms, die das Angebot leitet. "Endlich nimmt sich jemand ausführlich Zeit für unsere Fragen. Bei meinem Arzt ist das oft gar nicht möglich", sagt eine der Frauen. Can-Naique erhofft sich von diesem Nachmittag, dass die Teilnehmerinnen auch ihren Verwandten und Freunden von ihren neuen Erkenntnissen erzählen und so im besten Fall Menschen erreichen, die noch nicht geimpft sind.

Feierabend hat er nach dem Gesprächskreis noch nicht. Im Nieselregen läuft er von Wohnblock zu Wohnblock und verteilt Masken in die Briefkästen. An die Verpackung hat er seine Visitenkarte geheftet. Die Chancen, dass er an diesem Tag mit vielen Menschen ins Gespräch kommt, stehen eher schlecht. Eine Frau ist auf dem Sprung zu ihrem Auto. Can-Naique nutzt die Gelegenheit, um auf sein Angebot aufmerksam zu machen. "Gut zu wissen", sagt sie und nimmt die Masken samt Visitenkarte dankend entgegen. Jeder Kontakt zählt, davon ist der 34-Jährige überzeugt.

Langzeitfolgen der Pandemie spielen immer größere Rolle

Sollten sich die Prognosen für das Frühjahr bewahrheiten und die Maßnahmen zurückgefahren werden, könnten sich die Gesundheitsfachkräfte zeitnah den Langzeitfolgen der Pandemie widmen, zu denen neben Bewegungsmangel und Ernährungsproblematiken vor allem psychische Auswirkungen gehören.

Koordinator für das Projekt ist Marcus Wächter-Raquet. Mindestens einmal in der Woche kommt er mit den Gesundheitsfachkräften zusammen. Dort sind regelmäßig Experten zu Gast, die die Mitarbeiter über die neuesten Entwicklungen informieren.

Aufklären ohne erhobenen Zeigefinger

Den Gesundheitsfachkräften sei wichtig, den Menschen im Stadtteil nicht mit erhobenem Zeigefinger zu begegnen. "Die öffentliche Debatte ist momentan sehr polarisierend. Wir versuchen neutral zuzuhören und Sorgen ernst zu nehmen, ohne zu einer Impfung überreden zu wollen. Diese Entscheidung bleibt den Leuten selbst überlassen", sagt Wächter-Raquet.

Auch den absurdesten Verschwörungstheorien wollen die Gesundheitsfachkräfte zunächst neutral begegnen. Als vergangenes Jahr im Internet verbreitet wurde, dass man bei der Corona-Impfung einen Chip in den Oberarm implantiert bekomme und dadurch magnetisch werde, sei einer der Kollegen pragmatisch an die Sache herangegangen, erinnert sich Wächter-Raquet: "Er hatte immer einen Löffel in der Tasche, um im Zweifelsfall demonstrieren zu können, dass er durch die Impfung nicht magnetisch geworden ist."

Ein anderes Gerücht sei die Annahme, Menschen würden durch die Impfung unfruchtbar. "Da müssen wir unheimlich viel Aufklärungsarbeit leisten, gerade bei jüngeren Menschen", sagt der Projektkoordinator.

Rigorose Impfgegner werden nur selten erreicht

Doch was sind das für Menschen, die das Angebot der Gesundheitsfachkräfte annehmen? "Es sind Leute, die träge oder verunsichert sind und gar nicht richtig wissen, wie und wo man sich impfen lassen kann. Da reicht es manchmal tatsächlich schon aus, nur zu beantworten, wo und wie das möglich ist", sagt Wächter-Raquet. Dann gebe es noch jene, die verängstigt sind, etwa vor der Spritze Angst haben. "Die begleiten wir bei der Impfung und leisten Beistand."

Rigorose Impfgegner könnten in der Regel jedoch nicht zu einer Änderung ihrer Meinung bewegt werden. "Leute, die sich darauf eingeschworen haben, dass Impfen schlimm ist, und eine Verschwörung des Staates dahinter vermuten, erreichen wir nicht", sagt Wächter-Raquet.

Hin und wieder kommen die Gesundheitsfachkräfte jedoch auch mit diesen Menschen in Berührung, erzählt Danny Can-Naique. Als er im vergangenen Jahr Info-Plakate im Quartier anbrachte, habe eine Gruppe Männer ihn belagert und die Maßnahmen gegen die Pandemie mit Gesetzen aus dem Nationalsozialismus verglichen. "Anschließend haben sie die Plakate abgerissen und nach mir geworfen, das war kein schönes Gefühl", erinnert sich der 34-Jährige. Solche Erlebnisse seien jedoch eher selten, die überwiegend positiven Rückmeldungen würden ihn täglich anspornen.

An Zahlen lässt sich der Erfolg des Projekts nur schwer festmachen. Doch besonders beim Einsatz mobiler Impftrucks sehe man deutlich, ob die Gesundheitsfachkräfte vorher auf das Angebot aufmerksam gemacht haben. "Wenn man ein Impfmobil ohne Vorarbeit im Stadtteil aufstellt, dann kommt kaum jemand", sagt Wächter-Raquet.

Seit Projektstart hätten die Mitarbeiter bereits mehr als 80 Einsätze der Impftrucks begleitet und etwa 50.000 Masken verteilt. "Der Kontakt zu den Menschen geht sicher in die Tausende", so Wächter-Raquet weiter.

Die Gesundheitsbehörde ist davon überzeugt, dass die Arbeit von Danny Can-Naique und seinen Kollegen einen maßgeblichen Anteil am Erfolg hat. "Der Einsatz von Gesundheitsfachkräften in den Quartieren ist ein wichtiger Bestandteil des Erfolgs unserer Impfstrategie", sagt Bremens Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke).

Bundesweites Interesse für Bremer Konzept

Seit August 2021 gibt es neben den Gesundheitsfachkräften noch ein weiteres Projekt des Leibniz-Instituts für Präventionsforschung und Epidemiologie. In Bremen-Osterholz sind acht Gesundheitsmediatorinnen unterwegs, die Fragen zu Impfung und Corona beantworten.

Nach Angaben von Wächter-Raquet sei Bremen eine der ersten Städte gewesen, die ein derart niedrigschwelliges Angebot einführte. Knapp ein Jahr nach dem Start gelten die Gesundheitsfachkräfte weit über die Grenzen der Stadt hinaus als erfolgreich, weshalb das Interesse anderer Städte und Kommunen groß sei. So habe es unter anderem bereits Anfragen aus München und Bochum gegeben, die sich an dem Bremer Konzept orientieren wollen.

Die Aufmerksamkeit sei so groß geworden, dass die Landesvereinigung derzeit ein Video erstelle, in dem die Gesundheitsfachkräfte ihre Arbeit erklären.

Wer sich allerdings noch nicht gemeldet hat: das Bundesgesundheitsministerium. Nach Angaben der Bremer Gesundheitsbehörde sei bislang kein Interesse an dem Projekt bekundet worden.

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