2 abonnements et 1 abonné(e)
Interview

„Ich war schon immer ein melancholischer Punk“

Rainer Krispel gilt als einer der profiliertesten Punksänger Österreichs, der Wiener Ernst Molden hingegen ist Romancier, Essayist und Bluesgitarrist. Am Freitag gastierten die beiden Herren als „The Red River Two“ im RÖDA in Steyr, wo sie ihre erste CD „Story of a Heart“ präsentierten. Auf der kleinen Bühne im RÖDA-Beisl boten „The Red River Two“ eine zutiefst emotionale, ehrliche und letztendlich unglaublich punkige Interpretation von Blues und Country. Klemens Pilsl hat sie zum Interview gebeten.


Was bewegt einen Punkrocker und einen Romancier dazu, gemeinsam Blues und Country-Musik zu spielen?


Rainer Krispel: Eines Tages tauchte bei uns im „Chelsea“ im Rahmen einer Lesung Ernst Molden auf. Als Ersatz für Martin Amanshauser. Das war im April 2002.


Ernst Molden: Ich komme ja eher aus der Dichterecke, habe zwar Musik gemacht, aber ganz wo anders als im Chelsea. Wir haben uns dann bei der Lesung kennengelernt, und später bei einem Konzert von Rainer im Chelsea haben wir zufällig begonnen, über Kris Kristofferson zu sprechen. Und unversehens waren wir bei mir in der Küche verabredet, um Kris Kristofferson zu singen.


Rainer Krispel: Dann hat es sich schnell konkretisiert: wir wollen gemeinsam Musik machen.


Und das war dann gleich klar: Blues und Country?


Rainer Krispel: Ich habe das immer geliebt, und das war ja durch Punk nicht verschüttet, sondern immer da. Als Punk ist es mir immer darum gegangen, Geschichten zu erzählen. Und in dieser Blues&Country-Sache finde ich das am intensivsten.


Ernst Molden: Ich wollte Rainers Stimme einmal für sich hören. Bei den Punkkonzerten, die ich mit Rainer als Sänger erlebte habe ich das Gefühl gehabt, dass über all dem Lärm eigentlich eine großartige White Soul Stimme schwebt. Und in dem Augenblick, wo er nur zu meiner Westerngitarre gesungen hat, war die auch da.

Ich habe ja eine kleine Sammlung von Delta Blues, und Rainer hat eben andere Platten gebracht, zum Beispiel von „Gun Club“, wo sich Punk und Blues schon einmal begegnet sind. Und aus diesem Gemisch hat sich dann recht schnell der Red-River-Sound ergeben, und deshalb jetzt auch die CD.

Rainer Krispel: Bei Punk und Blues geht es grundsätzlich um Emotionen, die so wichtig sind, dass sie zu Musik werden.


Punk wird aber schnell mit Wut und Aggression assoziiert, Blues doch eher mit Melancholie.


Rainer Krispel: Ich habe Punk immer als eine zutiefst melancholische Angelegenheit empfunden. Das Schreien im Punk war für mich immer nur Stilmittel. Es geht bei Punk und Blues darum, die Scheisse zu benennen.


Ernst Molden: Es sind beides Musikstile, die sehr an eine Lebensform, an eine Lebenshaltung gebunden sind. Sowohl Punk als auch Blues wird von den Interpreten des Genres auch in irgendeiner Form gelebt.


Wie kommt ihr zum Bandnamen „The Red River Two“?


Rainer Krispel: Ich habe mich damals gerade ein wenig mit dem Schauspieler Montgamery Clift beschäftigt, der ja auch von „The Clash“ in ihrem Song „The Right Profile“ besungen wird. Und „The Clash“ sind für mich das Größte auf dieser Welt! Und in diesem Song gibt es die Zeile: „Where did I see this guy? In Red River?“. Und mir war gleich klar: „The Red River Two“, das klingt einfach gut.


...


Rainer Krispel: Bei „Locked Away“ geht es eben darum, dass nicht wie beim klassischen Gefängnis-Song der Mann eingesperrt ist, sondern die Frau. Letztendlich geht es für mich darum, diese Stumpfsinnigkeit und Willkür zu beschreiben, die hinter dem Einsperren von Menschen steckt. Jetzt rein auf einer emotionalen Basis.


Ernst Molden: Es ist diese doppelte Geschichte: Jeder, der eingesperrt ist, hat mit allen draussen zu tun. Und jeder, der draußen ist, hat mit allen Gefangenen zu tun. Weil letztendlich ist man der potentielle Gefangene seiner selbst. Die Frage ist also: wer ist der Gefangene? Der draußen oder der drinnen?


Rainer Krispel: Letztendlich läßt der Song offen, wer jetzt eingesperrt ist. Das war unser erstes Lied. Uns war danach klar: So, wir können auch selber schreiben.


Ihr spielt viele Cover-Versionen. Auf die CD haben es zwei geschafft, darunter „Border Radio“ von Dave Alvin. Das Lied beschreibt die Situation einer Mexikanerin, deren Mann illegal in die USA migriert ist und dem sie via „Border Radio“ ein Lied schickt.


Rainer Krispel: Dave Alvin ist natürlich eine ganz große Figur. Er kann Gitarrespielen wie Sau und hat unter anderem „Mary, Mary“ geschrieben, hat bei den „Blasters“ und „The X“ gespielt. Auf seinem ersten Soloalbum war „Border Radio“, ein Lied, dass ich schon immer geliebt habe. Das Lied bietet viele Lesarten. Es ist ein extrem reicher Song. Mich berührt die Idee, dass es irgendwo eine Radiostation gibt, die Hoffnung sendet. Das schöne ist auch, dass die Protagonistin des Songs eine Frau ist. Es geht eben nicht um einen Mann, der in sein Bier weint, sondern um eine Frau, die beginnt, ihre Situation konkret zu benennen: „She thinks of her life and hopes for a change, while listening to the Border Radio“


Ernst Molden: Jemandem Verlorenen etwas zu widmen ist so eine Grundhaltung des traurigeren Pop, die ich durch alle Subgenres hindurch einfach wunderschön finde.


Seit der American-Recording-Serie von Johnny Cash boomt Country auch in alternativen Kreisen, selbst FM4 hat Johnny Cash für sich und seine Zuhörerschaft entdeckt. Hilft euch das als österreichische Protagonisten dieses Genres beim CD-Verkaufen?


Ernst Molden: Nein, überhaupt nicht. Es gibt in Wien eine sehr überschaubare Szene, die durch die letzten Cash-Platten um einige Jüngere angewachsen ist. Wir müssen schon auch andere Musikgemeinden entdecken. Aber mit unserer Musik kann man an viele Geschmäcker andocken. Wir können damit die Bluesfans und die Punks erreichen.


Rainer Krispel: Aber der Ansatz ist schon klar: es ist mir scheissegal, wieviele Platten ich verkaufe. Aber es gibt nichts schöneres, als vor Menschen zu spielen.


Wie reagiert das Publikum in den Alternative-Locations, die ihr ja primär bespielt, auf eure Musik?


Rainer Krispel: Einerseits ist die Musikszene in Österreich unglaublich klein, andererseits ist Wien eine unglaublich absorbierende Stadt. Von daher ist es uns mit dem Publikum immer gut gegangen. Aber ich habe sowohl als Performer als auch als Veranstalter immer das Gefühl, dass in Österreich die Menschen nicht wissen, wie sie bei einem Konzert Spass haben können. Anderswo haben Menschen mehr Gefühl dafür, dass auch sie Teil des Konzertes sind, dass sie ein Teil eines kommunikativen Aktes sind.


Ernst Molden: Am Anfang war das Publikum über unsere Kombination schon sehr erstaunt. Aber speziell in Wien sind viele Leute gekommen und haben sich das angeschaut. Wir ziehen jedenfalls ein sehr heterogenes Publikum an.


Rainer, du bist für Linz ein Urgestein der Alternativkultur und der sogenannten „Freien Szene“. In dieses Kreisen ist das große Streitthema zur Zeit „Kulturhauptstadt 2009“. Du hast mittllerweile zeitlich und örtlich eine Distanz zu Linz entwickelt, wie empfindest du dieses Thema und den Diskurs?


Rainer Krispel: Das Schöne ist, dass ich mir aus der Wiener Distanz gar nicht dazu denken muss. Der erste Instinkt liefert mir eine Abwehrreaktion, ich empfinde Misstrauen gegenüber solchen Strukturen. Ich unterstelle auch ein wenig unlautere Motive. Es ist natürlich totaler Humbug, Linz als Kulturstadt zu charakterisieren. Andererseits lehrt mich die Erfahrung, dass solche Dinge immer besetzbar sind, nutzbar sind und aufsprengbar sind.


Letzte Worte?


Rainer Krispel: Ja, ganz wichtig: wir sind buchbar. Wir spielen überall, und sei es bei Hochzeiten oder Taufen. Wir kosten nicht viel Geld und wollen spielen, spielen, spielen!


Danke für das Interview.


Ernst Molden: Danke, es war uns ein Volksfest.



_

[Eine Kurzfassung des Interviews wurde in den Oberösterreichischen Nachrichten vom 14. Mai 2005 abgedruckt]