Zuerst heftige Schauer, dann blauer Himmel - das Wetter spiegelte ganz gut die Stimmung von Zehntausenden Taiwanern wider, die sich direkt neben dem Parlament in der Hauptstadt Taipeh versammelt hatten. Als sie am Vormittag unter Regenschirmen begannen, auf einer Leinwand die Liveübertragung aus dem Plenarsaal zu verfolgen, war die Unsicherheit noch spürbar: Würden die Abgeordneten in letzter Minute Angst vor der eigenen Courage bekommen und den Gesetzentwurf verwässern?
Nach langwierigen Lesungen und Abstimmungen war am frühen Nachmittag dann klar: Taiwan öffnet die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. „Erster in Asien!" und „Gleiche Rechte in der Ehe!" skandierte die Menge so laut, dass sie sicherlich auch im Plenarsaal gehört wurde. Vielen der meist unter 40 Jahre alten Demonstranten war sichtlich ein Stein vom Herzen gefallen.
Eine jahrelange VorgeschichteDass ab kommender Woche nun auch schwule und lesbische Paare in Taiwan heiraten dürfen, ist eine Entscheidung mit jahrelanger Vorgeschichte. Generell gilt Taiwan in Sachen Homosexualität schon lange als eines der tolerantesten Länder der Region. Die alljährliche Gay-Pride-Parade in Taipeh ist mit zuletzt 130.000 Teilnehmern die größte Asiens mit Ausnahme von Tel Aviv. Dennoch war die Öffnung der Ehe auf erbitterten Widerstand gestoßen.
Vor zwei Jahren hatte an genau derselben Stelle schon einmal eine Regenbogenflaggen schwingende Menge Grund zum Jubeln gehabt: Im Mai 2017 verkündete Taiwans Oberstes Gericht, es sei verfassungswidrig, gleichgeschlechtliche Paare von der Ehe auszuschließen. Zwei Jahre Zeit gaben die Richter dem Gesetzgeber, um neue Regeln zu beschließen - andernfalls hätten ab dem kommenden Freitag Homosexuelle automatisch ihre Ehe eintragen lassen können, was ohne klares Regelwerk wohl zu Chaos geführt hätte.
Am wenigsten aufwändig wäre es gewesen, in den Ehe-Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuchs lediglich die Bezeichnung von „Mann und Frau" auf „beide Partner" zu ändern. Statt rasch zu handeln, ließen Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen - die sich vor ihrer Wahl 2016 für eine Öffnung der Ehe ausgesprochen hatte - und ihre Regierungspartei das Thema aber schleifen und gaben damit der Gegenseite die Chance, sich zu formieren.
Erfolge bei Volksabstimmungen für ReformgegnerUnter dem Mantel der „Allianz für das Glück der nächsten Generation" haben sich sozialkonservative Gruppen zusammengetan, die von christlichen Kirchen dominiert werden. Obwohl Christen in Taiwan nur etwa fünf Prozent der Bevölkerung stellen, gelang es ihnen, wie schon bei einem gescheiterten Reformversuch 2013, der Debatte ihren Stempel aufzudrücken. Sie wandten sich gezielt an die Vertreter von Taiwans älterer Generation, die einem traditionellen Familien- und Gesellschaftsbild anhängen, und prophezeiten einen Werteverfall. Vom Geburtenrückgang über Pädophilie bis hin zur drohenden Aids-Epidemie schreckten sie in ihren Kampagnen vor Klischees und Vorurteilen nicht zurück.
Einen großen Erfolg verbuchten die Gegner der Ehe für alle bei Volksabstimmungen vergangenen November: Drei Entwürfe wurden mit großer Mehrheit angenommen, darunter die Forderungen, gleichgeschlechtliche Partnerschaften höchstens per Extragesetz zu regeln und Homosexualität weniger in Schulen zu thematisieren.
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