Zurück zur Kirche? Großstädter greifen heute vermehrt auch zu Kosmetikprodukten aus Klostergärten. Dabei geht es nicht nur um Schönheit, sondern um eine moderne Sinnsuche. Und eine andere Marketingstrategie.
Wunder sind in der säkularen Welt verdächtig geworden. Was nicht zweifelsfrei bewiesen werden kann, gilt schnell als unseriös. Unter diesem Umstand leidet nicht nur die Kirche seit Jahren, sondern auch die Kosmetikindustrie; schließlich beruht auch ihr Geschäftsmodell seit jeher darauf, die natürlichen Gegebenheiten mit ihren „Wunderwaffen" herauszufordern.
Das spürt man insbesondere in der Werbung. Traditionell vertraut man da auf ein simples, aber wirkungsvolles Prinzip: Vorher-Nachher-Bilder, die derart drastisch ausfallen, dass auch normal eitle Frauen sie nur schwerlich ignorieren können. Links gähnt einem in der Regel ein Wrack mit ernstem Blick, fahler Haut und dunklen Augenringen entgegen - auf dem „Nachher-Bild" rechts daneben strahlt dieselbe Frau plötzlich mit ihrem perfekten Hollywood-Glow um die Wette.
Solche Bilder gibt es natürlich immer noch - doch auf sie alleine möchte sich inzwischen kaum eine Kosmetikfirma mehr verlassen. Stattdessen ist die moderne Beautyindustrie zu einem Ort der rocket science geworden: Sie operiert nicht nur an der Grenze zur Medizin; auch der Physik- oder Chemienobelpreis scheinen bisweilen in greifbarer Nähe. Da werden schwungvoll Kurven in Koordinatensysteme gezeichnet oder ambitionierte Molekülverbindungen abgedruckt, nur um ganz wissenschaftlich nachweisen zu können, dass die neue Mascara dank integriertem Serum auf der Basis von „Methylamido-Dihydro-Noralfaprostal" oder einer „innovativen Peptid-3-Formel" „bis zu 79 Prozent längere Wimpern" zaubert.
Doch wie fast überall gilt: Kein Trend ohne Gegentrend! So boomen neben der industriellen Hi-Tech-Kosmetik seit ein paar Jahren auch einst belächelte Naturprodukte, die nicht besonders innovativ, dafür aber besonders nachhaltig sind. Dabei baut man vor allem auf die absatzfördernden Wirkungen des Prinzips „Tradition": Gründungsjahre etwa werden gerne hervorgehoben, vor allem wenn diese noch vor dem Zweiten Weltkrieg datiert werden können, oder auch der weit verästelte Stammbaum der Inhaberfamilie.
Doch auch Tradition allein verliert auf Dauer seinen Reiz. Wem es wirklich ernst ist mit naturbelassenen Inhaltsstoffen und humanitären Produktionsabläufen, den zieht es inzwischen ins Spirituelle: Egal, ob Lavendelseife oder Brennnessel-Propolis-Haartinktur - viele sakrale Stätten haben ihre hauseigenen Ressourcen längst erkannt und begonnen, ihre gut beschützten Schönheitsgeheimnisse auch außerhalb ihrer heiligen Mauern zu vermarkten. Im Edelkaufhaus Manufactum gibt es sogar eine ganze Produktsparte, die ausschließlich Klosterwaren vertreibt und die sich laut eigenen Aussagen „positiv entwickelt".
Das ist insofern bemerkenswert, als dass Religion in westlichen Gesellschaften einen schweren Stand hat: Die Kirchen verlieren seit Jahren an Mitgliedern; dazu stehen Nonnen und Mönche nicht im Verdacht, besonders „instagrammable" zu sein - wie passt das zusammen? Warum setzen selbst viele agnostische Großstadt-Avantgardisten in Sachen Ästhetik inzwischen auf christlichen Beistand? Lässt sich darin vielleicht doch ein religiöses Statement erkennen?
Bevor sich Kirchenvertreter vorschnell freuen: Dass mit der klösterlichen Lavendelseife die Frömmigkeit zurückkehrt, ist wohl eher unwahrscheinlich; vielmehr geht es bei der Leidenschaft für Klosterkosmetik um ein Gefühl, das auch schon Trendhobbys wie Töpfern oder Gärtnern erklärt hat: Man sucht Entschleunigung vom Großstadtlärm, von Tagen mit nicht enden wollenden E-Mails und Push-Mitteilungsdienst. Wer täglich in überfüllten Pendlerzügen fährt oder spätabends in fremden Hotelzimmern abstrakte Powerpoint-Präsentationen erstellt, der sehnt sich nach festen Strukturen und einer Arbeit an der frischen Luft.
Ordensschwestern, die akribisch ihren idyllischen Klostergarten nach Thymian und Salbei durchkämmen, um anschließend daraus in großen Kupferkesseln eine duftende Tinktur zu köcheln, klingen da verheißungsvoll romantisch. Dazu kommen Namen wie „Smaragdwasser" oder „Pilgerbalsam", die im fantasielosen Büroalltag eine metaphysische Heilserfahrung versprechen und für einen Moment vergessen lassen, dass der verspannte Rücken nicht vom Heckenschneiden, sondern von der Zwölf-Stunden-Schicht im Großraumbüro herrührt.
Natürlich ist dort, wo geglaubt wird, die Gefahr für Missbrauch besonders groß. Wer etwa meint, spätabendliche Sünden wie Döner und drei Flaschen Bier auf Dauer allein mit Frater Gebhard's Mundwasser reinwaschen zu wollen, befindet sich bedenklich nahe an einem spätkapitalistischen Ablasshandel. Ratsamer ist es, das Geschäft mit dem schlechten Gewissen in konstruktivere Bahnen zu lenken. Klosterkosmetik als wirksame Selbstsuggestion für mehr Entspannung im Alltag - warum nicht!? Man muss nur fest daran glauben!
Pilgerbalsam:Diese Fußpflegecreme, ein Produkt der Mönche aus dem französischen Ganagobie, entsteht auf der Grundlage von Vaseline. Sie enthält ätherische Öle von Eukalyptus, Minze, Salbei, Gewürznelke und Kampfer und kann für eine Fußreflexzonenmassage verwendet werden, morgens nach dem Duschen eingerieben soll sie aber auch gegen Schweißgeruch helfen.
Rosenwasser:Die älteste Apotheke Europas, La Farmacia di Santa Maria Novella, wurde 1221 in unmittelbarer Nähe der gleichnamigen Basilika von Dominikanermönchen gegründet. Seit 1612 werden hier vielfältige Pharmazie- und Kosmetikprodukte aus Heilkräutern und Rohstoffen von den umliegenden Hügeln in Florenz hergestellt. Besonders beliebt sind das „Acqua della Regina" oder auch „Acqua di Colonia", das speziell für die Königin von Frankreich, Caterina de' Medici, kreiert wurde, oder das Rosenwasser, das in der Zeit von Pest und Seuchen einst als Desinfektionsmittel diente und heute als intensiv duftendes Gesichtswasser verwendet wird.
Honigseife:Das Monastero di Camaldoli liegt nordöstlich von Arezzo und geht auf einen halb eremitischen Zweig der Benediktiner aus dem 11. Jahrhundert zurück. Heute gibt es hier sowohl Einsiedlermönche, die eigene kleine Häuser mit Gärten bewohnen, aber auch ein gemeinsames Kloster, wo die kosmetischen Produkte hergestellt werden.
Smaragdwasser:Das Smaragdwasser der Benediktinerinnen des französischen Monastère Notre-Dame Bouzy-la-Forêt gibt es seit dem 17. Jahrhundert. Die Hauptbestandteile sind Honig, Spanischer Salbei, Rosmarin und Pfefferminze in alkoholischer Lösung; künstliche Zusätze hat es nicht. Es ist vielseitig einsetzbar: als Mund- oder Rasierwasser, aber auch für Umschläge, als Massagelotion oder als Zusatz zu Teilbädern nach sportlicher Anstrengung.
Arnikaeinreibung:Der Hauptbestandteil der Tinktur aus dem bayerischen Kloster Ettal ist die Heilpflanze Arnika, auch Bergwohlverleih genannt. In Verbindung mit Alkohol und Rosmarinöl verspricht sie Linderung bei müden Knochen und Muskelkater, besonders nach „gebirgstypischen" Strapazen.
Mundwasser:Frater Gebhard war Zahnarzt im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Trier. Aus der täglichen Praxis heraus entwickelte er 1936 ein Mundwasser mit Auszügen aus Myrrhe, Salbei, Melisse, Thymian und anderen Heilkräutern, die für frischen Atem sorgen wollen.
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