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Interview

"Kommunikation ist der Feind der Kunst"

Der Künstler Neil Beloufa präsentierte in diesem Jahr seinen zweiten Spielfilm „Occidental“ auf der Berlinale. Im Interview spricht er über die Autorität des White Cube, Kunst und Kommunikation als natürliche Feinde und erklärt, warum für ihn die Frage der Authentizität keine Bedeutung besitzt. für ihn keine Rolle spielt.

Du hast vor kurzem auf der 67. Berlinale deinen zweiten Spielfilm „Occidental“ vorgestellt. Wie passt dieser Film in dein künstlerisches Werk, in dem das Medium Film/Video und das Narrative schon immer eine große Rolle spielten? Gab es für dich im Vergleich zu deinen Kunstfilmen spezifische Unterschiede in der Planung und bei den Dreharbeiten?

Der große Unterschied lag darin, dass wir jahrelang an diesem Film gearbeitet haben. Technisch erforderte er ein viel höheres Maß an Postproduktion als jede andere meiner Arbeiten. Wir mussten ihn auch mit einer – zumindest vagen – Erzählung versehen, um eine stärkere Beziehung mit dem Publikum aufzubauen, haben aber gleichzeitig versucht die Distanz beizubehalten, die wir - sonst im Kunstkontext nutzen.

Deine früheren Videoarbeiten waren Teil von Installationen und für Ausstellungen konzipiert. Was ändert sich, wenn nur der Film übrigbleibt – und in einem Kino und nicht in einem White Cube gezeigt wird?

Auch meine anderen Videos wurden an kinoähnlichen Orten gezeigt. Aber ja: In den Ausstellungen habe ich immer versucht die Atmosphäre eines Kinos zu vermeiden. Die Vorführung in einem White Cube im Rahmen einer Kunstausstellung ist ein autoritärer Akt: Man will damit erreichen, dass die Leute an den Film glauben, selbst wenn sie ihn nicht vollständig ansehen und sich mehr auf die Beschreibung verlassen, die nicht die Schwächen des Films offenbart.

Dagegen entsteht im Kino im Grunde eine feste, ebenfalls autoritäre Beziehung, in der alles, was die Vorführung stören könnte, ausschließlich außerhalb der Leinwand geschieht. Das ist eine Konvention und ich bin mit dieser einverstanden, solange sie klar ist. Wenn man in ein Kino geht, macht es einem nichts aus, dass man darin ist. Man weiß, dass man dort gefangen ist und sein Urteil erst am Ende [des Films] fällen soll.

Für mich ist die Kunst einer der wenigen Orte, an dem Menschen einen Schritt zurücktreten und über Autorität nachdenken können. Und mir ist es wichtig, das nicht zu verändern. Sie ist auch einer der wenigen Orte, an dem Menschen sagen können: „Nein, das sehe ich mir nicht an“. Das ist ebenfalls wichtig.

„Occidental“ wurde wurde weder durch externe Produzenten noch über öffentliche Gelder finanziert. Hast du dich bewusst entschieden, die Produktion vollständig mit eigenen Mitteln zu finanzieren, oder schlicht nicht in die üblichen Fördermuster gepasst?

Beides! Ich bin wirklich schlecht im Beantragen von Fördermitteln und angesichts des erforderlichen Budgets sollten diese öffentlichen Gelder lieber in andere Dinge investiert werden. In unserer neoliberalen Welt entscheidet die politische Positionierung jeder Arbeit darüber, woher du Geld bekommst und wie du es nutzen kannst.

In meiner Arbeit als Künstler produziere ich Dinge, die paradoxerweise dafür geschaffen werden um gezeigt zu werden und selten nur um ihrer selbst willen. Wenn man nur um der eigenen Karriere Willen produziert, wird die eigene Kunst zu einer Antwort auf andere Dinge: auf die Anforderungen an deinen Auftrag oder die Erwartungen des Publikums, ja sogar auf ihren eigenen Kontext Und genau das ist die Definition von Kommunikation, die, meiner Meinung nach der Feind der Kunst sein sollte.

Mit „Occidental“ wollte ich den Prozess umkehren: etwas frei von Anforderungen tun und das Risiko eingehen, dass es auf meinem Computer enden könnte. Die eigentliche Herausforderung lag also darin, eine Art populäres Objekt zu schaffen – sozusagen mit der Industrie zu flirten, ohne auf deren Hilfe zurückzugreifen. Dazu musste ich meine Komfortzone verlassen – wenn auch nicht vollständig. Und mir gefiel die Aussage, dass Menschen, die kreativ arbeiten – wie Künstler, Schriftsteller, Filmemacher – dazu keine Industrie oder institutionelle Bestätigung benötigen. Eigentlich müsste es genau anders herum sein: Ich kann Kunst machen ohne ein Museum, aber ein Museum kann keine Kunstausstellung ohne Künstler machen.

In der Fragerunde nach der Vorführung von „Occidental“ auf der Berlinale habenviele in die spezifischen ästhetischen Mittel des Films (das 4:3-Format, das etwas kitschige Dekor des Hotels usw.) eine symbolische Bedeutung interpretiert . Deine Antworten enthielten sehr pragmatische Gründe für deren Verwendung. Würdest du zustimmen, dass der Künstler gerade beim Filmemachen vielen praktischen Zwängen unterliegt?

Der Unterschied zwischen einem Künstler und einem Filmemacher besteht darin, dass der Künstler die meiste Zeit sein eigener Produzent ist. Ich war daher nie in der Lage, in der ich– einfach irgendetwas verlangen konnte und dann nur noch darauf warten musste, dass andere es ausführen. Alles was ich tue geschieht aufgrund meiner eigenen Begrenzungen und die meisten meiner Entscheidungen sind von den Möglichkeiten und Gelegenheiten abhängig, die sich mir bieten. Bei diesem Projekt beruhten also viele Entscheidungen auf unserer Unabhängigkeit und den fehlenden Mitteln beziehungsweise Erfahrungen. Daher hatten wir keine zusätzliche Statisten im Hotel, weil es einfach zu teuer und zu schwierig zu organisieren war. Wir haben am Set gedreht, weil ich wusste, wie man eins baut, und weil ich ein Studio habe. Es ist schon amüsant auf diese Fragen so zu antworten, wie es ein Bildhauer oder Kunsthandwerker täte, denn ich mag einfach Filmsets, ich mag das 4:3-Format, und für mich waren diese Beschränkungen in Ordnung.

Ein Aspekt, der sich wie ein roter Faden durch deine Arbeit zieht und in „Occidental“ auf die Spitze getrieben wird, scheint das Interieur zu sein. Worin liegt für dich und deine Arbeit, neben den ästhetischen Qualitäten, die Bedeutung des Setdesigns?

Ich baue gerne. Es ist vermutlich ein Kindheitstraum - wie ein Alpha-Mann wirken. Man kann sich so leicht sein eigenes Universum schaffen und so die „Realität“ umgehen. Ein wunderschöner oder exotischer Ort strahlt auf uns aufgrund seiner Erscheinung oder seines gesellschaftlichen Werts eine bestimmteAutorität aus. Wenn man also versucht, einen eigenen Ort zu erschaffen, versucht man dabei zu analysieren, warum dieses Bild eben diese Macht besitzt, während man es mehr schlecht als recht reproduziert.

In deiner künstlerischen Laufbahn hast du dich sehr früh a) für Film/Video als Medium und b) für eine sehr eigene, artifizielle Bildsprache entschieden. Wie haben sich diese Vorlieben entwickelt?

Ich denke das Video ist das Medium der Massenrepräsentation und -kommunikation unserer heutigen Welt. Es macht also Sinn für mich und meine Vorstellung von der gesellschaftlichen Rolle eines Künstlers, dieses Medium zu nutzen.
Und was die Künstlichkeit anbelangt: Sie ist für mich ein Weg, niemals über das zu lügen, was ich tue. Ich glaube nicht an „Realität“ und ich will deren vermeintliche Macht über Menschen so auch nicht einsetzen. Würden Künstler nur vermeintlich „natürliche Dinge“ verwenden, wer würde dann Bilder produzieren?

Als das Publikum nach den politischen Motiven in „Occidental“ fragte, sagtest du: „Ich mag keine Slogans“. Deine Arbeit wird oft politisch interpretiert, weil sie viele politische Themen berührt: Weltherrschaft, Krieg, Proteste und Terrorismus. Geht es dir um die Ästhetik der Politik – oder ist die politische Oberfläche lediglich eine Tür zu anderen Fragen?

Meine Arbeit ist politisch, aber es geht um die Darstellung von Politik oder ihrer Systeme im Allgemeinen. Als menschliches Wesen besitze ich natürlich eine politische Agenda, aber ich versuche diese von meiner öffentlichen Praxis zu trennen. Als Künstler sollte ich immer laut sagen, dass ich keine Ahnung von Politik habe, mir aber der Repräsentation bewusst bin und dass ich es klugen Menschen überlasse, kluge Dinge über die Welt zu sagen.

In „World Domination“ streiten die Protagonisten darüber, wem sie als nächstes den Krieg erklären sollten; in „Untitled“ streiten die Hausangestellten darüber, was tatsächlich in der verlassenen Villa geschah; und in „Occidental“ beschreibt jeder Zeuge auf der Straße das Ereignis anders, während die Protagonisten im Hotel ständig aneinander vorbeireden: Ein wiederkehrendes Motiv in deiner Filmarbeit scheint eine bestimmte Unmöglichkeit der Kommunikation zu sein oder, anders gesagt, die unterschiedlichen Wahrnehmungen eines je Einzelnen, die dann in eine Art von Mythenbildung münden.

Vieles von dem, was Menschen sagen ist sicherlich wahr, selbst wenn ich ihnen nicht zustimme und es nur für sie wahr ist. Daher bin ich an der Frage von Authentizität – beispielsweise eines Bildes oder eines Dokuments (ist es echt oder ist es gefälscht?) –, die in der westlichen Kultur die Grundlage von Konversation darstellt, nicht wirklich interessiert. Das Gleiche gilt für den Begriff der Moral (ist es gut oder schlecht?). Ich versuche immer Objekte zu erschaffen, die diese Fragen umgehen, um über Dinge diskutieren zu können, die mich mehr bewegen: nämlich, wie etwas funktioniert.

Zeitgenössische Kinofilme feiern die kleine Geste: Kleine, ruhige Geschichten, in denen Menschen eher reagieren denn agieren, nicht die klassische Katharsis früherer Hollywood-Filme. „Occidental“ ist dagegen ein großes Spektakel, eine apokalyptische Revue: Straßenkämpfe, Hass und Liebe, Verrat, Rassismus und Gender-Fragen, mit einer Ästhetik, die an Sirks und Fassbinders Melodramen erinnert, die keineswegs klein und subtil waren.

Ja und nein. Kleine Gesten können ebenfalls eine mächtige Katharsis auslösen: Deren Spuren werden hier leidglich verborgen, indem sie die Probleme der unteren sozialen Schichten behandeln, für die nur die oberen Schichten (also unsere) Empathie empfinden werden.

In diesem Film habe ich eindeutig starke, plakative Zeichen und symbolische Gesten verwendet, an die wir nicht mehr glauben (klassische Katharsis), um kleine Probleme anzusprechen. Die Empathie ist ebenfalls gebrochen, sie ist distanziert. Wir erkennen ihre Zeichen, aber sie wirken nicht auf uns.

Und was diese Auswahl schwerer Themen, schwerer Ästhetik angeht: Ich mag Gewichtigkeit, und mir gefällt auch die Vorstellung, dass sie als Produktionswert betrachtet werden können, während ihr reeller Wert doch sehr klein ist. Straßenkämpfe, Rassismus, Gender-Fragen, Terror und Explosionen sind besitzen Produktionswert und haben für die Gesellschaft kommerziellen Reiz, z.B. für Nachrichtenmagazine oder Politiker, die höhere Beliebtheitswerte benötigen und selbst für Museumsdirektoren, die Trustees benötigen. Im Film kommen sie zum Einsatz, wirken aber nie.

Fassbinder oder Sirk, Nicholas Ray oder gar Almodóvar und Minelli hatte ich im Kopf, ohne es zu ahnen, bis ich dann das Filmmaterial angesehen habe. Regisseure, die ich offensichtlich mag.

Last, but not least… Wie sieht die Zukunft aus? Wirst du einen weiteren Spielfilm drehen?

Ich hoffe doch. Habt Ihr ein Budget für mich?

[vom Februar 2017, zusammen mit Daniel Urban.]