25 Jahre lang wollte Ali Smith ein Quartett über die Jahreszeiten schreiben, vier Bücher über Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Schnell sollten sie erscheinen und nicht, wie üblich, monatelang vom Verlag vorbereitet werden. 2015 begann sie mit dem ersten Band: "Herbst". Anfangs sollte es um eine Frau gehen, die in einem Städtchen wohnt, das von "Küstenerosion, sozialer Spaltung und Gentrifizierung heimgesucht wird", erklärte Smith selbst in einem Gastbeitrag in der Zeitung The Guardian. Dann kam der Brexit und drückte der Geschichte seinen Stempel auf.
Herausgekommen ist bei "Herbst" nun keine "pastorale Beschwörung der Jahreszeiten", wie sie Smith ursprünglich schreiben wollte. Stattdessen geht es um das Leben, wie flüchtig es ist und Menschen - durch äußere Umstände oder eigene Engstirnigkeit - nicht immer das Beste daraus machen. Das klingt schwer, aber bei Smith kommt es sehr leichtfüßig und warmherzig daher.
Der Roman handelt von Elisabeth Demand, einer Dozentin für Kunstgeschichte, Anfang 30. Regelmäßig besucht sie Daniel im Pflegeheim, ihren 101 Jahre alten ehemaligen Nachbarn. In Rückblenden erzählt Smith davon, wie die beiden sich anfreunden - Elisabeth ein vorlautes Mädchen, Daniel ein nachdenklicher, kreativer 80-Jähriger. Es geht um die Geschichte von Daniel. Und die der fast vergessenen Pop-Art-Künstlerin Pauline Boty. Das alles fällt in die Monate nach dem Brexit. Die Stimmung im Land ist aufgeheizt. "Es ist eine Zeit, in der sich die Leute gegenseitig nur Sachen an den Kopf werfen, woraus aber nie ein Gespräch entsteht. Es ist das Ende des Gesprächs", schreibt Smith. Ihr Buch erschien auf Englisch nicht mal ganz drei Monate nach dem Referendum.
In "Herbst" erzählt Ali Smith davon, wie Elisabeth - im Kleinen - gegen die toxische Stimmung rebelliert, die nach dem Referendum aufkommt. Sei es, dass sie ein Passfoto an die Behörde schickt, obwohl sie darauf hingewiesen wird, dass es nicht den Vorschriften entspricht, oder dass sie sich um einen Nachbarn kümmert, den sie zehn Jahre lang nicht gesehen hat und der jetzt im Pflegeheim liegt. Es geht darum, sich eben nicht von den Umständen unterkriegen zu lassen und dem Zynismus anheimzufallen. Ali Smith setzt dem Ganzen einen ausgesprochen warmherzigen und humorvollen Roman entgegen. Und ein paar wunderschön geschriebene (und ebenso schön übersetzte) pastorale Beschwörungen der Jahreszeit bietet ihr Buch dann doch auch.
Angaben zum Buch Ali Smith: "Herbst" aus dem Englischen von Silvia Morawetz 272 Seiten 22 Euro
Mehr zur Übersetzerin Silvia Morawetz wurde 1954 in Gera geboren. Sie studierte Anglistik, Amerikanistik und Germanistik und ist unter anderem die Übersetzerin von Janice Galloway, James Kelman, Hilary Mantel, Joyce Carol Oates und Anne Sexton.