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Australien: Klimapolitische Zeitenwende?

Wer sich in Australien mehr Klimaschutz gewünscht hatte - auch auf dem Kontinent auf der Südhalbkugel ist das inzwischen die Mehrheit - atmete auf, und das bereits zum zweiten Mal in vier Monaten: Denn im Mai wählten die Australierinnen und Australier die konservative Regierung von Scott Morrison ab, Labor gewann die Mehrheit, Anthony Albanese wurde neuer Premierminister. Die Grünen holten vier, und damit mehr direkte Mandate als je zuvor, zusätzlich bekam eine Gruppe von Parteilosen (Independents) im Parlament mehr Gewicht. Anfang August billigte das Repräsentantenhaus dann das erste Klimagesetz, das das Land je hatte, und Labor macht die im Wahlkampf versprochenen Schritte in Richtung Klimaschutz zu geltendem Recht: Bis 2030 sollen die CO 2-Emissionen um 43 Prozent gesenkt werden, die Zustimmung des Senats Mitte September gilt als sicher. Unabhängige und Grüne, deren Unterstützung Labor in der zweiten Kammer braucht, dürften dort allerdings noch ein paar Bedingungen einbringen.


In der ersten Runde stimmten die Grünen mit Labor, obgleich die Regierungspartei auf eine ihrer wesentlichen Forderungen nicht eingegangen war: Australiens Greens wollen in den nächsten acht Jahren nicht nur eine CO 2-Reduktion von 75 Prozent sehen, sondern auch ein Ende neuer Kohle- und Gasprojekte. „Dies ist ein kleiner Schritt nach vorn bei der Bewältigung der Klimakrise", sagte Grünenchef Adam Bandt nach der Sitzung. „Doch die Arbeit auf dem Weg zum Stopp für neue Kohle- und Gasprojekte geht weiter." Trotzdem waren viele Australier, auch viele Greens-Wählerinnen, über die Ankündigung des ersten Klimagesetzes erleichtert. Denn es ist immerhin besser als nichts, so das Motto. 2009 hatten Grüne und Konservative noch ein eher lauwarmes Emissionshandelsgesetz blockiert - weil es ihnen nicht weit genug ging. Dass in der Folge statt wenig so gut wie keine Fortschritte in der Klimapolitik gemacht wurden, war zwar nicht die Schuld der Grünen, wurde ihnen aber dennoch lange angekreidet.


Eine Dekade der Blockade endet

Um zu verstehen, warum schon kleine Schritte in Australien als Durchbruch gefeiert werden, hilft ein Blick zurück. Denn bis vor kurzem befand sich Australien auch klimapolitisch in einer anderen Zeitzone als Europa. Parteiinterner Zynismus, eine hoch subventionierte und gewinnbringende Kohleindustrie und nicht zuletzt die Klimawandelleugner in der Regierung bremsten über ein Jahrzehnt jegliches Handeln. Zuletzt hatte Labor 2019 ohne Erfolg eine „Klima-Wahl" propagiert. Der Pfingstkirchler Scott Morrison nannte seinen überraschenden Sieg für die Liberals damals nach einem weitgehend inhaltsleeren Wahlkampf „ein Wunder". Viele Analysten stimmten ihm zu. Der Konservative ignorierte Rufe nach mehr Klimaschutz, blieb vage und vor allem seiner geliebten Kohle treu. Australien ist der zweitgrößte Kohleexporteur der Welt, und Morrisons Leidenschaft für den Rohstoff nahm mitunter kuriose Formen an: 2017 wedelte er, damals noch Finanzminister, im Parlament aufgeregt mit einem Stück Kohle. „Haben Sie keine Angst, es wird Ihnen nicht weh tun, es ist nur Kohle!", rief er den Abgeordneten zu und lobte den Rohstoff als „wichtigen Teil unserer nachhaltigen Energiewirtschaft der Zukunft".


Selbst nach der Vorstellung des alarmierenden IPCC-Berichts 2021 zur Erderwärmung blieb er unverbindlich, schob die Schuld auf andere und predigte vorwiegend, was er nicht tun wolle: „Ich werde keinen Blankoscheck im Namen der Australier unterschreiben." Statt Null-Emissionen bis 2050 versprach Morrison einen „australischen Weg" mit „Technologien statt Abgaben". Im eigenen Land lamentierte er gern, Chinas Emissionen seien „höher als die der gesamten OECD" und Australien folglich nur ein Zünglein an der Waage. Was nicht das überzeugendste Argument ist, schließlich leben in China 70 Millionen mehr Menschen als in der OECD.


Die meisten Australier waren allerdings auch zu der Zeit schon deutlich weiter als ihr Regierungschef: 80 Prozent wollten dringend mehr Taten im Klimaschutz sehen, pro Kopf haben die Australier mehr Solarzellen auf ihren Dächern als jede andere Nation. Viele Landwirte und Industriezweige setzen ebenso wie einige Bundesstaaten auch ohne finanzielle Anreize auf mehr erneuerbare Energien sowie klimafreundlicheres Leben und Wirtschaften. Allein die Koalition aus Liberals und Nationals und ein paar Ultrarechte blieben stur. Im Mai passierte daher, was 2019 fehlschlug: Nach einer Waldbrandsaison, in der auf dem Kontinent mehr katastrophale Feuer mit höherer Intensität wüteten als je zuvor, nach drei „Jahrhundert-Überschwemmungen", die binnen eines Jahres in vielen Regionen Hab und Gut, Ernten und Vieh davon spülten, entschieden sich Bürgerinnen und Bürger an den Urnen für mehr Klimapolitik. Dabei wählten sie nicht nur Labor, sondern auch mehr Unabhängige und Grüne. Nie zuvor hatten es aus dem so konservativen wie rohstoffreichen Queensland Mitglieder der Greens ins Unterhaus des Parlaments geschafft. Im Mai gelang der Sprung gleich drei grünen Kandidaten im Nordosten. „Die Menschen sind wütend, sie haben den Status quo satt und sind genervt von der völligen Untätigkeit beim Klimawandel", kommentierte Stephen Bates, der in Queenslands Hauptstadt Brisbane die Mehrheit errang.


Klimaschutz, ja - aber keine Abkehr von der Kohle

Fraglich ist, wie die neue Regierung ihre Ambitionen nun umsetzen will. Ein Hauptelement des Gesetzes ist ein CO 2-Limit für die 215 größten Treibhausgasverursacher, die mehr als ein Viertel der australischen Emissionen produzieren. Jeder dieser Konzerne ist für mehr als 100 000 Tonnen CO 2 pro Jahr verantwortlich und muss auf andere, saubere Technologien umsatteln oder Carbon Offsets, also Klimakompensationen kaufen. Zugleich will Labor den Anteil der Erneuerbaren im Energiemix von derzeit 30 Prozent auf 82 Prozent erhöhen. Das sind die groben Eckpunkte, viele Details fehlen jedoch noch. Der Kohle ganz den Rücken kehren wird allerdings auch Labor nicht. Mehr als 200 Mio. Tonnen des fossilen Brennstoffs werden 2022 voraussichtlich exportiert. Australiens Grüne argumentieren, ohne ein Moratorium auf Kohle- und Gasprojekte sei die globale Erwärmung kaum unter den anvisierten 1,5 Grad zu halten. Albanese lässt dennoch keine Zweifel an seiner Position: Jetzt die Kohle- und Gasförderung zu stoppen, würde „verheerende Folgen" für die Wirtschaft, Steuern und Gesellschaft haben. Die Lücke würden nur andere Exporteure mit qualitativ schädlicherer Kohle füllen - diese Argumente waren auch bei den Liberals beliebt.

Viele politische Beobachter hoffen, dass die Regierung am Ende vielleicht kein offizielles Anti-Kohle-Statement mehr benötigt, weil der Rohstoff ohnehin irgendwann ökonomisch irrelevant wird. Bergbaugiganten wie Rio Tinto oder BHP beginnen bereits, sich aus dem Markt zu verabschieden, große Energieversorger wie AGL satteln auf Erneuerbare um. Als die Liberals hartnäckig an fossilen Energieträgern festhielten, kritisierte der Wirtschaftswissenschaftler Richard Denniss 2021 in der „Financial Times": „Was wir tatsächlich tun, ist der Versuch, die Gewinne im Endspiel zu maximieren", schrieb der Chefökonom des Think Tanks „Australia Institute" und polemisierte: „Deshalb haben wir es so eilig, neue Kohleminen zu genehmigen. Wir wissen, dass in 30 Jahren niemand mehr Kohle kaufen wird. Aber wenn wir den Markt überschwemmen und den Preis nach unten drücken, können wir in den nächsten 15 Jahren noch etwas verkaufen." Nach Labors Sieg klingt Denniss konzilianter, bleibt aber seinem Standpunkt treu: „Je schneller Australien in erneuerbare Energien, Speicher und Übertragungskapazitäten investiert [...], desto schneller werden die Strompreise und die Treibhausgasemissionen Australiens sinken", schreibt er im australischen „Guardian".


Trotz des fehlenden Neins zu Kohle und Gas gibt es Zeichen für Veränderungen. Am gleichen Tag, an dem in Canberra im Mai das Klimagesetz beschlossen wurde, sprach sich Umweltministerin Tanya Plibersek gegen eine neue Kohlemine des ultrarechten United-Australia-Party-Gründers Clive Palmer aus. Die Landesregierung in Queensland hatte das Vorhaben des Bergbaumilliardärs schon 2021 abgelehnt, doch zum ersten Mal erfuhr ein Kohleprojekt nun auch auf nationaler Ebene Widerstand. Nicht mit einer klima-, aber immerhin einer umweltpolitischen Begründung: Die Lage des geplanten Projekts, kaum zehn Kilometer jenseits der Küste könne „inakzeptable Folgen" für das ohnehin bedrohte Korallenriff haben. „Eine neue Kohlemine in der Nähe des Great Barrier Riffs zu stoppen ist Fortschritt", schreibt der Meeresbiologe Terry Hughes von der James-Cook-Universität in Queensland im Kurznachrichtendienst Twitter. „Doch die australische Regierung unterstützt Dutzende weitere enorme fossile Brennstoffprojekte", so der Professor, unser Planet aber habe nur eine Atmosphäre.


Mehr als 200 bedrohte Tier- und Pflanzenarten seit 2016

Dass Umwelt und Klima irgendwie zusammengehören, hat sich inzwischen auch in Australien herumgesprochen. Die Grünen schlagen seit langem vor, die neue Gesetzgebung mit einem sogenannten „Climate Trigger" zu versehen - einem Mechanismus, mittels dessen künftige Kohle- und Gasprojekte vor ihrer Genehmigung ins Umweltministerin geschickt werden sollen, um sie dort auf ihre Auswirkungen auf das Klima zu prüfen. Schon jetzt müssen neue Vorhaben das Environment-Protection-and-Biodiversity-Conservation-Gesetz passieren, das heißt: Die Regierung muss prüfen, ob neue Projekte Auswirkungen auf „Angelegenheiten von nationaler Umweltbedeutung" haben - dazu gehören etwa bedrohte Arten, Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung oder Welterbestätten. Klimawandel zählt bislang allerdings nicht dazu.


Mit Klimawandel, Umwelt und dem Aboriginal Referendum hat die neue Regierung in den ersten hundert Tagen mehr schwierige Themen angefasst als ihre Vorgänger in drei Jahren.

43 Prozent weniger Emissionen bis 2030 bedeuten in etwa eine Verdopplung der eher vagen Ansagen der Vorgängerregierung. „Aber es ist bei weitem nicht genug", sagt Paul Sinclair von der Australian Conservation Foundation, einer NGO, die sich vor allem für Arten und Habitatschutz einsetzt. Viele Independents streben 60 Prozent bis 2030 an. Adam Simpson von der University of South Australia schlägt diese Marge für 2035 vor, zumal unabhängige Klimaverbände Null-Emissionen schon für 2035 fordern. Labor-Politiker versichern demgegenüber, das Ziel von 43 Prozent sei eher als Fundament für mehr Klimaschutz denn als Obergrenze gedacht. Es sei ein Anfang und „ein symbolischer Schritt", sagt auch der parteilose Senator David Pocock aus Canberra.


Von mehr als nur Symbolik zeugt die Tatsache, dass Albanese keine vier Wochen nach seiner Wahl ein neues Superministerium etabliert hat: Mit dem Ministerium für Klimawandel, Energie, Umwelt und Wasser hat Australien erstmals seit 2013 wieder ein Ministerium, in dem das Wort „Klimawandel" überhaupt vorkommt. Besetzt ist es mit dem Labor-Politiker Chris Bowen.


Keinen leichten Start hat unterdessen seine Kollegin Plibersek als Umweltministerin: Im Juli wurde Australiens State of the Environment Report veröffentlicht. Der nimmt alle fünf Jahre den Zustand von Tier (und erstmals auch Mensch) unter die Lupe, bewertet Artenschutz, Habitate, Luft, Boden und Wasser. Die jüngste Ausgabe war deprimierend: Mehr als 200 Tier- und Pflanzenarten wurden seit 2016 zur Liste bedrohter Arten hinzugefügt, noch mehr Habitate sind seit dem letzten Bericht zerstört worden. Mit überarbeiteten Umweltgesetzen will Plibersek „im nächsten Jahr" auf die Ergebnisse reagieren. Vielen Umweltverbänden dauert das zu lange, zumal die Fakten des Reports niemanden in Australien überraschen durften, erst recht nicht die frühere Opposition.


Vor allem die Zerstörung von natürlichen Lebensräumen durch Rodung ist in Australien ein Problem. Zwischen 2000 und 2017 wurden dem Umweltbericht zufolge 93 Prozent der abgeholzten Baumbestände ohne Artenschutzprüfung und staatliche Genehmigung gefällt. Dieses Problem „in den nächsten Jahren" angehen zu wollen, wirkt angesichts der Dramatik in der Tat zögerlich. Immerhin sollen bis 2030 auch 30 Prozent der australischen Landmasse unter Schutz gestellt werden, ein Ziel, mit dem die neue Regierung im Dezember 2022 bei der COP15-Biodiversitätskonferenz der Vereinten Nationen in Kanada mit anderen Ländern gleichziehen will. Während die neue Regierung immerhin erste Schritte in Richtung mehr Klima- und Umweltschutz unternimmt, gaben Liberals und ihre ländliche Schwesterpartei, die Nationals, in ihren ersten Monaten in der Opposition ein trauriges Bild ab. Mit Ausnahme einer tasmanischen Abgeordneten stimmte die Koalition gegen die Reduzierung von CO 2-Emissionen. Stattdessen sprach sie über ein Atomkraftprogramm.


Keine Revolution, aber ein Wendepunkt

Australiens neue Regierung kümmert sich unterdessen auch um ein paar andere Baustellen. Die Wirtschaft fürchtet sich nach Jahrzehnten ununterbrochenen Wachstums vor einer Rezession und höheren Inflationsraten. Wie anderswo in der Welt steigen auch in Australien die Energie- und Lebenshaltungskosten. Ein weiteres Problem ging Albanese, den die Australier mit der ihnen typischen Leidenschaft für Abkürzungen „Albo" nennen, im Juli bei seinem Besuch des Aboriginal Garma Festivals an: Auf dem traditionsreichen Fest im Nordterritorium kündigte er einen Gesetzentwurf an, der indigenen Australiern eine eigene Stimme - „Voice" - im Parlament geben soll. Seit Jahren ist ein Referendum überfällig, mit dem die indigene Bevölkerung in der Verfassung des Landes anerkannt werden soll. Die Voice ist ein erster großer Schritt, das Referendum wäre der zweite.


Mit Klimawandel, Umwelt und dem Aboriginal Referendum hat die neue Regierung in den ersten hundert Tagen mehr schwierige Themen angefasst als ihre Vorgänger in drei Jahren. Australien mag damit vielleicht keine Revolution erleben, aber immerhin einen Wendepunkt.

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