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Scott Morrison: Der Premierminister, der sich mit Novak Đoković anlegt

In dem absurden Match, das derzeit um den serbischen Tennisstar Novak Đoković ausgetragen wird, könnte es vor allem Verlierer geben. Gut eine Woche schoben sich Tennis Australia, die Landesregierung in Victoria und die Grenzbehörden gegenseitig die Schuld zu, wer nun für das Debakel verantwortlich sei. Đoković selbst, den Australier inzwischen auch "NoVac" nennen, kann nach seinen unklaren Angaben zu Reisen und seinem positiven PCR-Test auch nicht mehr gewinnen, selbst wenn er bleiben darf. Derzeit wirkt es, als könnte am Ende nur ein Politiker punkten: Scott Morrison, der konservative Premierminister, der 2022 wiedergewählt werden will.


Um das zu verstehen, muss man wissen, wie wichtig in Australien die Einwanderungspolitik ist. Inselstatus und Abgelegenheit bringen dem Kontinent nicht nur die Nachteile der oft zitierten Tyrannei der Entfernung. Sie können auch von Vorteil sein: Etwa wenn anderswo Kriege ausbrechen, wenn man sich vor Geflüchteten abschotten will, vor zu vielen Einwanderern, oder vor einer Pandemie. Nicht ohne Grund kümmern sich um Grenzwertiges gleich zwei australische Ministerien: Das Innenministerium unter Karen Andrews und das Einwanderungsministerium unter Alex Hawke, der Đokovićs Visum zuletzt erneut annuliert hat.


"We stop the boats"

Hawke ist dabei für die Grenzen und Immigration, Staatsbürgerschaften, "Multikulturelles" und Flüchtlingsfragen zuständig, Andrews eher fürs große Ganze. Trotzdem ist Hawkes Macht enorm: Seit 1989 sind die Befugnisse des jeweiligen Immigrationsministers immer wieder ausgeweitet worden. Er kann im Fall Đokovićs zum Beispiel entscheiden, dass der Impfgegner ein Risiko darstellen könnte, nicht nur dass er bereits eines ist. Ein Bericht des Liberty Victoria Rights Advocacy Projects von 2017 stellte fest, dass der Einwanderungsminister "mit überwältigendem Vorsprung" mehr persönlichen Ermessensspielraum hat als jeder andere Minister.


Wie weit diese Befugnisse reichen, zeigt sich auch in Bezug auf Flüchtlinge und Asylbewerber, die nach ihrer Ankunft interniert werden. Einige dieser Menschen harren seit Jahren in Melbournes Park Hotel aus, in dem Đoković nach der Stornierung seines Visums ein paar Tage verbracht hatte.


Gleich zweimal in Australiens jüngerer Geschichte gewannen konservative Politiker Wahlen mit radikalen Ansagen zur Flüchtlingspolitik: John Howard sicherte sich 2001 eine dritte Amtszeit, nachdem er Bootsflüchtlinge, die auf dem Frachter Tampa Zuflucht fanden, mit dem Statement ablehnte: "Wir entscheiden, wer in unser Land kommt und auf welchem Weg." Zehn Jahre später setzte sich Tony Abbott mit seinem Slogan "We stop the boats" durch - einer Parole, die eine noch rigidere Flüchtlingspolitik vor allem gegen Bootsflüchtlinge einleitete.


Nun kam Đoković weder per Schiff noch will er Asyl beantragen, aber immerhin das geltende Gesetz zu seinen Gunsten ausgelegt wissen. Und ein Premierminister, der nicht mal einem Tennisstar seine Grenzen zeigen kann? Das könnten viele Australierinnen und Australier durchaus als Schwäche werten - das Letzte, was Morrison derzeit gebrauchen kann.

Die Opposition streicht unterdessen leichte Siege ein: Der Laborchef Anthony Albanese sagt seit Tagen in jedes erreichbare Mikrofon, Đoković hätte im November erst gar kein Visum bekommen dürfen, die Regeln seien völlig klar und die Situation eine "große Blamage für Australien". Der Labor-Finanzpolitiker Jim Chalmers hielt den jüngsten Aufschlag der Regierung - die zweite Visum-Stornierung nach vier Tagen Bedenkzeit, Freitagabend kurz vor Feierabend - vor allem für Marketing: Morrison benutze die Đoković-Saga ausschließlich, um von anderen Problemen abzulenken. "Von der Knappheit in unseren Supermärkten, der Knappheit in unseren Apotheken und der Knappheit an Arbeitskräften." Und in der Tat dominierte am Wochenende erstmals seit Wochen nicht die dramatische Omikron-Lage die Schlagzeilen, sondern der Serbe.

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