Ist es angemessen, für einen Stundenlohn von 1,78 Euro arbeiten zu müssen? Am Dienstag entscheidet Karlsruhe über eine Klage von Häftlingen.
er Besuchsraum in der Justizvollzugsanstalt Straubing ist gelb gestrichen. Ein heller Tisch, zwei Stühle. Das Aprilwetter draußen ist nicht zu sehen: Der Raum liegt im Keller, er hat kein Fenster, dafür aber zwei Türen. Durch die eine kommt der Besuch durch die andere, gegenüberliegende, der Gefangene: Peter R., Glatze, hellgraues Sweatshirt und Jeans, trägt eine schwarz umrandete Lesebrille. Er legt einen dicken Ordner auf den Tisch. Darin ist der gesamte Schriftverkehr zu seinem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht: Anwaltsschreiben, Stellungnahmen.
Am 20. Juni will das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zur Gefangenenentlohnung verkünden. R., dessen Namen wir seinem Wunsch entsprechend abkürzen, ist seit 26 Jahren Strafgefangener in der JVA Straubing. 2015 hatte er gegen die niedrige Entlohnung beim Arbeitseinsatz in den Gefängnissen geklagt. Das Bundesverfassungsgericht nahm seine Klage an, verhandelte aber erst im April 2022 zum Thema. Noch einmal mehr als ein Jahr später ist nun das Urteil fällig. R. hat schon einige Rechtsstreitigkeiten vor das Bundesverfassungsgericht gebracht, mehrere auch gewonnen. Noch nie habe das Gericht so lange für eine Entscheidung gebraucht, beklagt er.
Der lange Zeitraum zwischen Annahme der Klage und der Urteilsverkündung am Dienstag hat aber wohl auch damit zu tun, dass ein möglicher Erfolg der Klage - neben R. hat noch ein Strafgefangener aus NRW geklagt - sehr weitreichende Auswirkungen haben würde: Es müssten die Löhne aller rund 42.000 Strafgefangener in Deutschland angehoben werden.
R., heute 62 Jahre alt, wird 1997 nach einem Gewaltverbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt und landet im Gefängnis in Straubing. Ob er arbeiten will oder nicht, wird er nicht gefragt. Im Gefängnis ist Arbeit Pflicht. Das Grundgesetz erlaubt Zwangsarbeit für Gefangene ).
Viele Aufgaben sind körperlich anstrengendJobs gibt es viele: Die Gefangenen waschen, putzen und schrubben die Böden. Oder sie arbeiten in einem gefängniseigenen Betrieb: Schreinerei, Schlosserei, Polsterei. Auch externe Unternehmen lassen im Gefängnis arbeiten. Innerhalb der Mauern stehen große Fabrikhallen, die Häftlinge müssen nur wenige Schritte gehen. Die meisten Aufgaben sind einfach, viele körperlich anstrengend. Schrauben sortieren, lange und schwere Seekabel auseinandernehmen, um sie zu recyclen. Herausfordernder sind Jobs, bei denen Einzelteile für Maschinen hergestellt werden. Da heißt es fräsen, schweißen - Präzisionsarbeit.
Dafür bekommen die Gefangenen durchschnittlich 14,21 Euro pro Tag. Gering qualifizierte Arbeiten werden in Bayern mit 1,33 Euro pro Stunde vergütet. Die bestbezahlten Jobs, beispielsweise in der Schreinerei, bringen 2,22 Euro pro Stunde ein. Die Sätze sind in den Strafvollzugsgesetzen der Bundesländer festgeschrieben. Sie sind auf neun Prozent des Durchschnittsverdiensts der regulären Beschäftigten außerhalb der Gefängnismauern festgelegt. Man spricht vom sogenannten Ecklohn (siehe Infokasten).
Tariflohn, Mindestlohn, Branchenmindestlohn - das gilt für Gefangene nicht. Arbeit in Haft gilt nicht als Arbeit im klassischen Sinne. Regelmäßig führen Politik und Gericht an, Arbeit sei ein Mittel der Resozialisierung. Gesetzlich festgeschrieben ist das aber nirgends; geregelt ist nur die Höhe der Vergütung.