Ketanji Brown Jackson schreibt Geschichte: Erstmals wird eine schwarze Frau Richterin am US Supreme Court - trotz grotesker Unterstellungen vonseiten der Republikaner.
Washington D.C. - US-Präsident Joe Biden kann nach längerer Durststrecke endlich wieder einen innenpolitischen Erfolg für sich und die Demokraten verbuchen: Die Neubesetzung einer Richterstelle am Supreme Court, dem Obersten Gerichtshof der USA. Und es handelt sich um eine historische Ernennung, denn mit Ketanji Brown Jackson wird zum ersten Mal in der US-Geschichte eine schwarze Frau Richterin am Verfassungsgericht. Die 51-jährige Juristin sorgt nicht nur für mehr Diversität im höchsten Richteramt, sondern auch für einige Kontroversen ihre Nominierung betreffend.
Joe Biden hatte sich bereits im Präsidentschaftsvorwahlkampf im Frühjahr 2020 darauf festgelegt, die erste schwarze Richterin an den Supreme Court zu bringen, sollte er Präsident werden. Dieses Wahlversprechen, das er nun einlöste, war Teil eines Deals mit Jim Clyburn, einem Abgeordneten aus dem US-Bundesstaat South Carolina und mächtiger Parlamentarischer Geschäftsführer der Demokraten-Fraktion im US-Kongress. Clyburns Unterstützung in South Carolina führte 2020 die entscheidende Wende in Richtung Joe Biden als Kandidat der Demokraten gegen den Republikaner Donald Trump herbei - zum Nachteil von Bernie Sanders. Biden stand also in Clyburns Schuld.
Rücktritt von Stephen Breyer: Ketanji Brown Jackson wird neue Verfassungsrichterin
Als Ende Januar der 83-jährige Supreme-Court-Richter Stephen Breyer bekanntgab, sich aus dem Richteramt in den Ruhestand zurückzuziehen, bot sich Joe Biden die Chance, sein Versprechen einzulösen und erstmals eine schwarze Frau als Verfassungsrichterin zu ernennen. Diese auf die Identität abzielende Entscheidung wurde von den Amerikaner:innen allerdings noch Ende Januar, bevor Ketanji Brown Jackson nominiert wurde, mehrheitlich abgelehnt: Einer Umfrage von ABC News und Ipsos zufolge wollten 76 Prozent der Amerikaner:innen, dass Biden „alle infrage kommenden Kandidat:innen" in Betracht zieht, nur 23 Prozent wollten, dass er sich auf eine schwarze Frau festlegt.
Allerdings handelt es sich bei Ketanji Brown Jackson um eine Juristin mit hervorragenden Qualifikationen. Nachdem sie an der renommierten Universität Harvard Jura studierte, ist sie nun seit fast zehn Jahren als Richterin tätig, zunächst als Bezirksrichterin, dann am Berufungsgericht in Washington, D.C. Zuvor war sie Rechtsanwältin, Pflichtverteidigerin und Mitglied in einer Strafzumessungskommission, in deren Co-Vorsitz sie 2010 vom damaligen US-Präsidenten Barack Obama berufen wurde. Die Washington Post erstellte eine grafische Gegenüberstellung der Qualifikationen von Ketanji Brown Jackson und den derzeit am Supreme Court tätigen Richter:innen, die zeigt, dass Jackson bezüglich ihres juristischen Werdegangs ihresgleichen sucht.
Supreme Court: Republikaner sorgen bei Justizausschuss-Anhörung für absurde SzenenDie Anhörungen vor dem Justizausschuss des US-Senats, bei der Senator:innen die Richterkandidat:innen befragen können, arteten indes zu einem unwürdigen Spektakel aus - dank der republikanischen Senator:innen. Diese nutzten den parlamentarischen Prozess für den Versuch, Ketanji Brown Jackson in jeder erdenklichen Weise zu diskreditieren und gleichzeitig ihre eigene rechtsextreme Kulturkampfagenda voranzubringen. Da die Qualifikation der Kandidatin unzweifelhaft feststeht, konfrontierten Republikaner sie stattdessen mit absurden und unwahren Unterstellungen.
Beispielsweise behauptete Josh Hawley, der ultrarechte Senator aus Missouri, unzutreffenderweise, Ketanji Brown Jackson habe wegen Kinderpornografie Verurteilte durch ein zu geringes Strafmaß „vom Haken gelassen". Die nicht minder rechte Senatorin Marsha Blackburn aus Tennessee unterstellte, Critical Race Theorie sei Jacksons „persönliche geheime Agenda". Unter dieses Schlagwort fassen Rechte in den USA alles, was mit Antirassismus sowie den rassistischen Aspekten der US-Geschichte und Gegenwart zu tun hat. Senator Ted Cruz, der Rechtspopulist aus Texas, wollte von Ketanji Brown Jackson wissen, ob sie dem Inhalt eines Buches zustimme, wonach bereits Babys Rassisten seien. Nach weiteren ähnlich gearteten Fragen antwortet Jackson: „Senator, weder kenne ich den Inhalt dieser Bücher, noch sind sie Gegenstand meiner Arbeit als Richterin, weshalb ich, mit Verlaub, hier bin."
Joe Biden ernennt neue Bundesrichterin in den USA: Schmierenkampagne von rechtsAuch auf Fox News, dem Haus- und Hofsender der Republikaner, stimmte man in die rechte Kampagne gegen die afroamerikanische Richterin ein. So verlangte etwa Tucker Carlson, beliebtester Moderator des Senders, der sich am äußersten rechten Rand der etablierten US-Medien wohlfühlt, vor Ketanji Brown Jacksons Anhörungen, Joe Biden solle die Ergebnisse ihrer Aufnahmeprüfung in die juristische Fakultät der Harvard-Universität veröffentlichen. Selbiges hatte er bei den drei von Trump ernannten rechten Richter:innen Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett nicht verlangt.
Trotz der versuchten Schmierenkampagne von rechts ließ sich Ketanji Brown Jackson nicht beirren und antwortete auf die teilweise absurden Fragen und Unterstellungen der republikanischen Mitglieder des Justizausschusses eloquent und geschickt. Bei den Anhörungen, die live übertragen wurden, musste sie stets damit rechnen, dass jede ihrer Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen werden und in falschem Kontext wiedergegeben werden konnte.
Supreme Court der USA: Senat bestätigt Ketanji Brown Jackson mit 53 zu 47 StimmenWährend der Anhörungen kam es auch zu emotionalen Momenten. Da war das stolze Lächeln einer von Ketanji Brown Jacksons beiden Töchtern, der 17-jährigen Leila, die schräg hinter ihr saß, als die Aufmerksamkeit des Landes auf ihre Mutter gerichtet war. Als Jackson in ihrer Eröffnungsrede ihren weißen Ehemann, Patrick Jackson erwähnte, den sie seit mehr als drei Jahrzehnten liebe und der ihr erster „ernsthafter Freund" gewesen sei, kamen dem Arzt, den sie während ihres Studiums kennenlernte, die Tränen. Auch die Richterin selbst musste sich während der Anhörung Tränen wegwischen, als Cory Booker, der demokratische Senator aus New Jersey und wie Jackson ebenfalls schwarz, sich mit folgenden Worten an sie wandte: „Sie haben diese Position verdient. Sie sind ihrer würdig. Sie sind eine großartige Amerikanerin. Es gab Gesetze in diesem Land, die Sie seinerzeit daran gehindert hätten, ihren Ehemann zu heiraten."
Das Vorhaben der Republikaner, Ketanji Brown Jackson zu diskreditieren, ist jedenfalls phänomenal gescheitert: Nach dem Anhörungsprozess voller falscher Anschuldigungen und grotesker Unterstellungen befürworteten knapp die Hälfte der Amerikaner:innen Umfragen zufolge ihre Ernennung als Verfassungsrichterin, während etwa ein Viertel dagegen waren. Am Donnerstagnachmittag (07.04.2022, Ortszeit) wurde sie mit 53 zu 47 Stimmen vom US-Senat bestätigt. Unter den Ja-Stimmen finden sich sogar drei Republikaner, die nicht ganz so weit rechts stehen, wie ihre Parteifreunde: Susan Collins aus Maine, Lisa Murkowski aus Alaska und Mitt Romney aus Utah.
US Supreme Court: Konservative mit sechs zu drei Stimmen in der Mehrheit
Joe Biden hat sich unter den Kandidatinnen, die er zur Auswahl hatte, für die richtige schwarze Frau entschieden. Denn es gab durchaus schlechte Anwärterinnen, wie etwa Michelle Childs, die sowohl der Demokrat Jim Clyburn als auch der republikanische Senator Lindsey Graham unterstützten. Childs bisherigen Urteile zeichnen sich durch eine auffallende Arbeitgeberfreundlichkeit aus. Sie wäre als Richterin am Supreme Court keine gute Wahl gewesen, denn das Gericht hat derzeit ohnehin eine rechte Mehrheit von sechs zu drei Stimmen. Sie wäre eine weitere konservative Stimme gegen Arbeitnehmerrechte und für die Diskriminierung von Frauen und Minderheiten gewesen.
Doch mit Ketanji Brown Jackson wurde nicht nur die beste Kandidatin unter den schwarzen Frauen, die zur Auswahl standen, an das US-Verfassungsgericht berufen, sondern eine der „klügsten Juristinnen unseres Landes", wie Joe Biden sagte. Im Sommer wird sie Stephen Breyer, den Richter, für den sie in ihrer juristischen Ausbildung tätig war, am Supreme Court ersetzen. (Johanna Soll)