Der Giftgasangriff von Khan Sheikhoun und der darauffolgende Raketenangriff der amerikanischen Streitkräfte auf den Luftwaffenstützpunkt Sheirat haben das Leid der Menschen in Syrien wieder sichtbar gemacht. Die Bedingungen dafür werden immer schwieriger. Nach sechs Jahren des Tötens, in denen hunderttausende Syrer und Syrerinnen ihr Leben verloren haben und Millionen vertrieben wurden, generiert der Konflikt international nur noch größere Aufmerksamkeit, wenn geächtete Waffen eingesetzt werden oder besonders abscheuliche Taten begangen werden. Die gesellschaftliche und politische Debatte ist abgestumpft, Syrien zur puren Projektionsfläche verkommen.
Die Konfliktparteien debattieren nur noch auf Grundlage unverrückbarer „Wahrheiten", sei es auf Seiten der Unterstützer oder der Gegner der syrischen Regierung. Russland und Iran versuchen weiterhin, Präsident Baschar al Assad als alternativlos darzustellen. Die amerikanische Regierung hingegen präsentiert sich als Verteidiger von Freiheit, indem sie die Bekämpfung der Terrormiliz „Islamischer Staat" (IS) sowie die Absetzung des syrischen Machthabers als Ziel erklärt. Dabei werden Widersprüche der Positionen immer wieder deutlich, wie auch am Beispiel des Giftgasangriffs zu beobachten war. Über die zivilen Opfer des Giftgasangriffs äußerte sich Donald Trump schockiert. Doch die Einreise der „schönen Babys" und ihrer Eltern würde Amerikas Präsident den Opfern mit seinem Einwanderungsmemorandum verweigern.
In den Wirren des Konflikts ist es nahezu unmöglich geworden, Kriegsverbrechen wie den mutmaßlichen Giftgasangriff zu rekonstruieren. Die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, allen vor an Amerika und Russland, blockieren sich gegenseitig. Experten legen sich ohne sichere Hinweise fest. Kommentatoren fällen Urteile immer häufiger nur noch auf Basis von Vermutungen. Wie auch im Fall des Giftgasangriffs, wird dann nach persönlicher Façon der Regierung in Damaskus oder Rebellen sowie den jeweiligen internationalen Unterstützten eine Mitschuld gegeben.
Ohne Zweifel müssen Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Jedoch wird der politische Diskurs vor allem zur Manifestierung der eigenen Position genutzt, nicht aber um einen Lösungsprozess in Gang zu bringen. Noch gruseliger wird es dann mit Blick auf die Darstellung der Syrerinnen und Syrer, die viele nur noch in Kategorien „Terroristen", militante Aufständische, moderate Rebellen oder Verfolgte und Flüchtlinge bekannt sind. Hauptsache, pro-Assad, anti-Assad oder IS-Mitglied. In dieser Konstellation gerät ein möglicher Friedensprozess zugunsten jener die am meisten Leiden völlig aus dem Blick der internationalen Politik.
Um eine Grundlage für einen nachhaltigen Lösungsprozess zu schaffen, müssten die beteiligten Akteure aufhören, in Kategorien der Großmachtpolitik zu denken. Sie müssten lernen, allen syrischen Gruppierungen zuzuhören und ihre Sichtweisen auf den Konflikt zu verstehen. Das gilt auch und gerade für ihnen unangenehme Gruppen. Insbesondere müssten diplomatische Bemühungen darauf abzielen viel stärker zivilgesellschaftliche Akteure einzubeziehen. Das ist nicht einfach, allerdings gibt es hier noch einigen Spielraum. Gleichzeitig würde eine solche Einbindung ziviler Syrischer Stimmen der Diplomatie wieder mehr Bedeutung und Glaubwürdigkeit verleihen. Eine internationale Politik, die sich auf starke Führungspersönlichkeiten konzentriert, steht dem entgegen.
Verharrt die Debatte jedoch auf dem derzeitigen Niveau, dann ist jeder Lösungsprozess von vornherein zum Scheitern verurteilt. Für die Menschen in Syrien wäre das eine Katastrophe.
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