Margot Käßmann kritisierte den familienpolitischen Teil des Wahlprogramms der AfD scharf, in dem es heißt: "Vielmehr muss mittels einer aktivierenden Familienpolitik eine höhere Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung als mittel- und langfristig einzig tragfähige Lösung erreicht werden." Sie lese dort heraus, dass nur "biodeutsche" Frauen Kinder bekommen sollten, um den demografischen Wandel aufzuhalten, und auch gleichzeitig der "konfliktträchtigen Masseneinwanderung" zu begegnen. "Da weiß man, woher der braune Wind weht", kommentierte die Theologin. Das sei mit dem Evangelium unvereinbar. Käßmann zeigte das anhand der biblischen Geschichte von Maria und Elisabeth (Lukas 1, 39-56). Als die schwangere Elisabeth von der Schwangerschaft Marias erfuhr, freute sie sich und wägte nicht erst ab, woher das Kind in Marias Bauch denn überhaupt komme. Das sei "wahrhaftig Willkommenskultur", betonte Käßmann.
Sie übte aber auch Gesellschaftskritik. So wüssten alle immer besser, wie Mütter nach der Geburt, ihre Kinder betreuen sollten. Die Reformationsbotschafterin plädierte dafür, dass jede Mutter, nach Möglichkeit mit jedem Vater gemeinsam, selbst entscheiden können sollte, wie es für sie und ihren Nachwuchs am besten ist. Sie sollte alle Möglichkeiten haben zu wählen.
Käßman hielt es ebenfalls für erwähnenswert, dass allein dieser kurze Bibeltext mehr Reden von Frauen enthalte, als so mancher Theologenkongress. Mit einem Augenzwinkern bemerkte sie, dass sie sich den Bibeltext nicht ausgesucht habe, um die Frauenfrage beim Kirchentag oder im Reformationsjubiläumsjahr hochzuziehen. Er sei ihr vorgegeben worden für diese Bibelarbeit - denn stehe er ja, richtig, in der Bibel.
Frauen sind nicht die besseren MenschenErnsthaft ergänzte sie allerdings, dass es bei den 500 Jahren Reformation vor allem um Martin Luther, Ulrich Zwingli oder Johannes Calvin gehe und weniger um Katharina Zell, Argula von Grumbach oder Elisabeth von Rochlitz. Frauengeschichte werde offenbar als weniger wichtig und theologisch nicht so wertvoll erachtet. Es könne nur zwei Gründe dafür geben. Entweder hätten die Frauen weniger geschrieben oder ihre Briefe und Texte seien als weniger relevant vernichtet worden. Das Frauenthema gehöre ins Reformationsjahr, weil die reformatorischen Kirchen, die einzigen seien, die wegen ihrer Tauftheologie: "Alle, die getauft sind, sind Priester, Bischof, Papst", Frauen ordinieren, betonte Käßmann. Frauen seien nicht die besseren Menschen, das werde allein deutlich, wenn man zum Beispiel die Hetztiraden von Marine le Pen höre. Aber ihr gehe es darum, dass Frauen und Männer gemeinsam widerständig gegen Rassismus, Sexismus und Hetze gegenüber Schwachen aufstehen sollten.
"Maria und Elisabeth haben in schwierigen politischen Zeiten ihre Kinder zur Welt gebracht, ähnlich wie wir sie heute erleben", erinnerte Käßmann. Sie hätten sich in dieser Zeit immer gegenseitig gestützt, ermutigt und seien füreinander eingestanden. So sei der Glaube natürlich zuallererst die Beziehung zu Gott, aber er sei eben auch die Ermutigung zum Handeln in der Welt und an den Mitmenschen.
Autor: Frank Rebmann
Veröffentlicht am 25.05.2017 auf kirchentag.de.
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