Wallonien hat die einzige Bergkette weltweit, die vom Menschen erschaffen wurde: Jetzt werden diese 1000 früheren Kohleberge touristisch erschlossen Von Françoise Hauser
Eigentlich klingt "Transterrilienne" ein bisschen wie "Transamazonas" - nach Abenteuer und Schweiß, Gefahren, dem Stolz, einmal im Leben der Erste gewesen zu sein. Und es trifft durchaus zu - auch wenn die Bergkette in Belgien liegt, in einem der am dichtesten besiedelten Landstriche Europas.
Über 200 Kilometer zieht sich die sogenannte Transterrilienne mit fast 1000 Gipfeln durch die wallonische Ebene: gigantische, schwarze Maulwurfshügel von bis zu 300 Meter Höhe, die auch im Winter nie von Schnee bedeckt sind. "Terril" heißen sie auf Französisch, was sich schlicht mit Abraumhalde übersetzen ließe, aber viel weniger exotisch klingt.
Lange Zeit hat man sich in Belgien nicht um die Terrils gekümmert, denn sie sind das Symbol der industriellen Vergangenheit Walloniens, standen für Dreck und Kohlebergwerke, Minenunglücke und später Arbeitslosigkeit. Vielleicht hatte man sich auch einfach an den Anblick gewöhnt: nutzloses Terrain inmitten der Städte und Dörfer, das oft nicht einmal bebaubar ist. Aus einem einfachen Grund: Viele der Terrils brennen noch immer. Nicht immer gelang es, Stein und Kohle effizient zu trennen, teils enthalten die Terrils noch bis zu 20 Prozent Kohle, die sich aufgrund chemischer Prozesse selbst entzündet. Auf bis zu 600 Grad erhitzen sie sich im Inneren, selbst an der Oberfläche kann es noch 40 Grad warm werden. Was die Menschen nicht daran hinderte, bis an den Fuß der Terrils zu siedeln, ja manchmal sogar darauf. Anfang der 50er-Jahre ließ beispielsweise die Gemeindeverwaltung Tilleur auf dem aktiven Terril Malgarny Wohnungen für italienische Bergarbeiter errichten - und musste hilflos mit ansehen, wie die Anlage wenige Monate später in Flammen aufging. Heute, mehr als 50 Jahre später, brennt Malgarny noch immer. Ingenieure hätten den Terril besichtigt, erzählen die Anrainer, um die Wärme für eine ganz neue Heizmethode zu nutzen. Vorerst jedoch dampft Malgarny ganz in Ruhe weiter.
Um andere Terrils steht es besser: In den letzten Jahren sind sie mehr und mehr ins öffentliche Interesse gerückt. Immerhin ist die Transterrilienne nicht nur biologisch interessant, sondern auch die einzige Bergkette weltweit, die vom Menschen erschaffen wurde und daher in keinem Atlas auftaucht. Acht Jahrhunderte Arbeit stecken dahinter und der Abraum aus rund 12 000 Kohleschächten.
Gleich zwei große Initiativen kümmern sich heute um die touristische Erschließung der Halden: So hat das EU-Projekt "Pays des Terrils" in der Region Lüttich eine ganze Kette von Terrils beschildert und mit einem Wegenetz der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der Wanderweg 412 führt seit einigen Jahren quer durch die Kohleregion Belgiens, vorbei an den größten Terrils und wichtigsten Minen. Auch die Organisation Fédération de la Chaine des Terrils bietet Wanderungen über die Halden an.
Die offiziellen Touren freilich werden vor allem auf den erloschenen Terrils durchgeführt. Denn wer will schon seine Touristengruppe in einem rauchenden Loch verschwinden sehen? Der Spaziergang ist trotzdem nicht minder beeindruckend. Selbst die inaktiven Terrils locken aufgrund ihrer schwarzen Farbe mit einem einzigartigen Biotop: Fauna und Flora der Terrils erinnern eher an den Vesuv denn an Belgien. Um die 500 Pflanzen- und rund 90 Vogelarten findet man hier, mehr als 40 Schmetterlingsarten, von denen viele in Belgien eigentlich nicht heimisch sind. Jenseits aller Statistiken ist diese unglaubliche Biodiversität auch für den Laien ersichtlich: Jeder Schritt lässt eine bläuliche Welle von Blauflügelheuschrecken aufsteigen, es flattert und zwitschert wie in einem Nationalpark.
Anreise: Ab Deutschland ist Lüttich via Köln und Aachen mit dem Hochgeschwindigkeitszug Thalys zu erreichen ( www.thalys.de). Mit dem Auto führt die Strecke über die E 40 nach Lüttich (Liège).
Unterkunft: "Mercure Hotel Lüttich", www.accorhotels.com, Doppelzimmer ab 79 Euro, "Le Château de St. Nicolas" nahe dem Terril Museum, www.chateaudesaintnicolas.be, Doppelzimmer ab 105 Euro
Museum: Das Terril-Museum eröffnete Ende September in St. Nicolas nahe Lüttich, www.terrils.be
Auskunft: Belgien Tourismus, Wallonie-Brüssel, Cäcilienstraße 46, Köln, Tel. 0221/277 59 0, www.belgien-tourismus.de