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Occupy-Camp in Frankfurt: Ich zelte, also bin ich

Thomas, 52, lehnt noch am Infostand, als drei Betrunkene auf ihn zukommen. Er hat die Hände tief die Taschen seiner blauen Winterjacke gegraben. Die drei halten inne, einer fragt: "Wie lange bleibt ihr noch?" Das große Eurozeichen vor der Europäischen Zentralbank (EZB) wirft blau-gelbes Licht auf Thomas, die drei Jugendlichen und rund 100 Zelte der Occupy-Bewegung hinter ihm. "Bis sich da oben was ändert", antwortet Thomas und deutet mit dem Finger in Richtung EZB, deren obere Etagen in der Dunkelheit verschwinden. "Am Ende seid ihr doch auch käuflich", provoziert einer. "Ich habe Millionen verbrannt", gibt Thomas zurück und fährt fort: "Ich habe es dicke mit dem System, ich bin nicht käuflich."

Thomas gehört zu einigen unentwegten Occupisten, die in Frankfurt die Stellung halten. Die Aktivisten haben ihre Zelte in Kreisen aufgestellt, Paletten schützen sie gegen die Kälte von unten, Planen gegen den Wind. Um einen kleinen Heizpilz in der Mitte sitzen sie, diskutieren, trinken. Auf einem der Stühle sitzt Tschiedem, 34, und streckt die Beine aus, um die eingefrorenen Füße etwas aufzuwärmen.

Seit zwei Monaten vor der EZB

Tschiedem und Thomas, Nachnamen spielen im Camp keine Rolle, sind zwei von etwas mehr als 100 Aktivisten, die noch regelmäßig ins Camp kommen. "57 Tage" steht mit Kreide auf einem Schild neben Thomas am Infostand. So lange verharren die Aktivisten schon vor der EZB. Am 15. Oktober waren in Deutschland über 40.000 Menschen in 50 Städten auf die Straße gegangen, um gegen die Macht der Banken zu demonstrieren. An diesem Tag schlugen die Aktivisten auch in Frankfurt vor der EZB ihre Zelte auf, nach dem Vorbild des New Yorker Camps "Occupy Wall Street", das mittlerweile geräumt wurde. Seither gab es in Frankfurt sieben Demos. In einer Vollversammlung diskutieren die Camper jeden Tag.

Zwischen Finanzverwaltern und Sozialarbeiterinnen

Früher hat Thomas als selbstständiger Vermögensverwalter das Geld von reichen Leuten verwaltet. Das deutsche Who is Who waren seine Kunden, sagt er. Nun ist er Frührentner, hat sich dem Erhalt des Camps verschrieben. Über das Internet hat er von den Protesten erfahren. Fährt abends nach Hause, noch bevor er am nächsten Morgen ins Camp kommt, schreibt er Mails für die Bewegung. Am Telefon meldet er sich mit "Occupy Frankfurt".

Über die Holzpaletten zwischen den Zelten eilt Tschiedem herbei und will sich bei Thomas den Schlüssel für das Dixiklo abholen. Er greift hinter sich in den Infostand, sucht auf einem kleinen Regal nach dem Schlüssel. "Einer hat ihn wohl vergessen abzugeben." Tschiedem macht sich auf den Weg über die Straße zum Schauspielhaus. Dessen Klos dürfen die Campbewohner benutzen, die Kantine ebenso.

Tschiedem hat eine ganze andere Vorgeschichte als der ehemalige Geld-Mann Thomas. Die Sozialarbeiterin war schon vorher im linken Spektrum politisch aktiv. Wenn sie nicht im Camp ist, arbeitet sie in einem Hort. Vorher hat sie mit Jugendlichen in sozialen Brennpunkten gearbeitet. Es gibt aber auch Obdachlose und Drogensüchtige im Camp, die von dem warmen Essen angezogen werden. Tschiedem erzählt, dass sich mittlerweile die Streetworker und Sozialarbeiter aus dem Bahnhofsviertel an die Camp-Bewohner wenden, wenn es Probleme gibt.

Bessere Vernetzung, geschicktere Strategie

Professor Peter Grottian von der Freien Universität Berlin hat vier Tage im Frankfurter Camp verbracht. Nicht der Mangel an konkreten Forderungen sei das Problem, vielmehr fehle es der Bewegung an einer strategischen Ausrichtung. "Sie wissen nicht, wie man Menschen fischt", sagt Grottian. Die Besetzer in Übersee hätten das besser geschafft, durch eine Öffnung für Gewerkschaften und Auftritte berühmter Schauspieler und Ökonomen wie Joseph E. Stiglitz. Für einen erfolgreichen Protest fehle es laut Grottian außerdem am zivilen Ungehorsam beispielsweise in Form von friedlichen Bankenbesetzungen und einer Vernetzung mit der globalisierungskritischen Organisation Attac.

Von Woche zu Woche werden die Demos kleiner, die Aktivisten nehmen weniger Spenden ein. Täglich geben zwar weiterhin alte Menschen Essen, Medikamente und Wollsocken bei Thomas am Infostand ab. Doch die Leerung der Dixiklos und der Strom müssen bezahlt werden. Trotzdem wollen sie weitermachen, Weihnachten, Silvester. Sie warten auf ihren Frankfurter Frühling. Doch den wird es wohl nur geben, "wenn alle Banker hier auf die Straße gehen", wie kürzlich ein Polizist zu Tschiedem sagte. Die 34-Jährige konterte wacker: "Wir müssen die 99 Prozent einfach noch überzeugen."

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