Am gestrigen Abend wurden in Los Angeles die Oscars verliehen. Doch nicht nur die Juror:innen der Academy Awards, auch wir sind in den letzten Wochen und Monaten fleißig ins Kino gepilgert, um Filme anzuschauen. Eigentlich hatten wir vor, besonders jene Streifen zu empfehlen, denen die Aufmerksamkeit der ganz großen Bühne verwehrt bleiben - nur um später festzustellen, dass nun doch einige der Filme, die wir empfehlen, in verschiedenen Kategorien nominiert wurden.
Für uns sind sie jetzt schon Gewinner, denn sie sind uns nah gegangen, haben uns zum Nachdenken gebracht und neue Perspektiven aufgezeigt. Welche Filme das sind, liest du hier.
Die Aussprache: Vergeben, kämpfen oder gehen?
von Antonia StrotmannEine junge Frau wacht morgens in ihrem Bett auf, ihr Nachthemd ist hochgeschoben, das Laken voller Blut. Sie hat blaue Flecken an den Beinen und schreit nach ihrer Mutter. Eine Stimme aus dem Off erzählt, fast alle Frauen der Kolonie würden regelmäßig so aufwachen. Die Ältesten machten den Teufel oder die Geister verantwortlich oder schöben es auf die »ungezügelte weibliche Fantasie«. Erst nachdem die Frauen einen der Täter erwischt hätten, sei ihnen klar geworden: Die Männer der Kolonie missbrauchten sie systematisch sexuell.
In »Die Aussprache« müssen 8 Frauen in 2 Tagen darüber entscheiden, was sie tun werden: In der Kolonie bleiben und den Männern vergeben? Bleiben und gegen die Männer kämpfen? Oder einfach gehen?
Kammerspielartig trägt sich fast das gesamte Geschehen des Filmes auf einem kleinen, verstaubten Heuboden ab. Dort wägen die Frauen die Vor- und Nachteile ihrer Möglichkeiten ab, die Dynamik der Gespräche ändert sich wieder und wieder. Um die Geschehnisse zu verarbeiten und sich einer Entscheidung anzunähern, beten die Frauen gemeinsam, weinen, streiten und singen. Nach allem, was sie durchgemacht haben, stellt sich der Prozess als schier unmenschlicher Kraftakt heraus.
»Die Aussprache« von Regisseurin Sarah Polley ist der Film zum 2018 erschienenen Roman »Women Talking« von Miriam Toews. Er basiert auf den Verbrechen, die in den Jahren 2005–2009 in einer bolivianischen Mennonitengemeinde begangen wurden. Toews selbst wuchs in einer kanadischen Mennonitengemeinde auf, verlies diese jedoch mit 18 Jahren. Ihr Buch sei eine »fiktive Reaktion« auf die Geschehnisse.
Nominiert für: Bester Film, Bestes adaptiertes Drehbuch
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