Während US-Präsident Trump damit droht, Militär an die Grenze zu schicken, sieht es Tausende Kilometer weiter südlich ganz anders aus: Die Mexikaner helfen den Migranten aus Mittelamerika, wo sie nur können. Von Trumps Hass-Tiraden bekommen dort nur wenige etwas mit.
Rubicelia Santiago Ovanolo rinnt der Schweiß von der Stirn. Auch am Abend drückt die Schwüle noch schwer auf das Örtchen Pijijiapan im Südosten Mexikos. Die 45-Jährige steht vor der Kirche Santa Rita De Casia und schenkt Kaffee in weißen Styropor-Bechern an Migranten aus Mittelamerika aus, die auf dem Weg zur US-Grenze sind. Rund 5000 von ihnen haben sich auf dem Platz vor der Kirche und im umliegenden Park niedergelassen. Sie alle scheinen in dem Ort im Bundesstaat Chiapas willkommen. „Ich, als Mutter und Ehefrau, fühle die Verpflichtung zu helfen", sagt Santiago Ovanolo während sie Becher füllt. „Die Menschen sind liebenswürdig und einfühlsam."
Während sich die USA gegen die sogenannte „Migranten-Karawane" an der Südgrenze zu Mexiko wappnen möchten, scheinen die Bewohner der auf dem Weg liegenden Städte bereits an die Flüchtlinge aus Guatemala, El Salvador und Honduras gewöhnt zu sein. Eine so große Gruppe gebe es jedoch selten, sagen die Bewohner Pijijiapans - weshalb es auf dem Marktplatz der Stadt sogar Musik gibt. Aus Lautsprechern tönt Marimba, auf einem Balkon sucht ein DJ das nächste Lied aus.
Seitlich am Rand steht Carlos Adalso Mandaz und beobachtet die tanzenden Menschen. Tanzen vertreibe den Schmerz aus den Füßen, sagt der 27-Jährige aus El Salvador, der sich selbst „Loly" nennt. Er habe sein Heimatland verlassen, weil Homosexuelle dort in Gefahr seien. Eine Freundin von ihm sei wegen ihrer Sexualität erwürgt worden. Vor rund einer Woche brach „Loly" mit seinen Freunden auf, am vergangenen Sonntag schlossen sie sich der Gruppe an. Ihr Ziel ist klar: Die USA. Dass im Norden US-Präsident Donald Trump damit droht, Militär an die Grenze zu schicken, kriegt im Süden so gut wie niemand mit.
„Ich hoffe, dass Gott ihm dabei hilft, sein Herz zu öffnen und uns passieren zu lassen", sagt Junior Anel López aus Honduras. Er sitzt vor der Kirche und isst Weißbrot mit Rührei, das von der Gemeinde verteilt wird. Sein Landsmann José Alcántara erklärt, warum er Honduras verlassen hat: „Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer." Er arbeitete als Wachmann für eine staatliche Schule und wurde von acht Monaten Arbeit nur für zwei bezahlt.
Von Chiapas aus sind es noch mehr als 1000 Kilometer bis in die Hauptstadt Mexiko-Stadt und von noch einmal mehr als 1000 Kilometer bis zur nächstgelegenen Stadt an der US-Grenze. Rund 190 Kilometer haben die Migranten von der Grenze zwischen Guatemala und Mexiko bereits zurückgelegt. Der große Teil von ihnen zu Fuß, andere haben Glück und werden von Lastwagen oder Bussen mitgenommen. Mexikaner versorgten sie mit Essen, Trinken, Kleidung und Medizin, berichten die Migranten.
Die Solidarität der Mexikaner mit den Menschen aus Mittelamerika ist an der Grenze ähnlich groß wie in Pijijiapan. „Warum sollte man nicht helfen?", fragt Manuel aus der Stadt Ciudad Hidalgo, die nur durch den Grenzfluss Suchiate von Guatemala getrennt ist. „No pasa nada" - es passiere doch nichts, wenn man den Menschen einfach helfe, sagt der 42-Jährige.
Honduras gilt wegen der starken Präsenz der Jugendbanden als eines der gefährlichsten Länder der Welt. Zudem prägen Korruption, Menschenrechtsverletzungen und Armut das Leben vieler Honduraner. 66 Prozent der Menschen galten im Jahr 2016 nach Angaben der Weltbank als arm. Viele Familien sehen nur die Flucht als Ausweg.
Auch in El Salvador und Guatemala sehen viele junge Menschen keine Möglichkeit, einen Job zu finden oder den kriminellen Banden aus dem Weg zu gehen. Diese rekrutieren ihren Nachwuchs häufig schon im Kindesalter. Wer nicht Mitglied werden möchte, wird selbst zum Opfer.
Ende 2017 waren weltweit 294 000 Menschen aus Mittelamerika als Flüchtlinge registriert, wie das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) im Mai mitteilte. In der ersten Hälfte des Jahres 2018 stammten nach Angaben der US-Immigrationsbehörde die meisten der Menschen, die in den USA als Flüchtling anerkannt werden möchten, aus El Salvador, Honduras und Guatemala - nur von venezolanischen Staatsbürgern wurden in dem Zeitraum noch mehr Anträge eingereicht.
Im Stadtpark von Ciudad Hidalgo haben sich erneut rund 150 Menschen aus Honduras gesammelt, um den Weg in den Norden anzutreten. Die mexikanischen Behörden haben die Brücke über den Grenzfluss gesperrt und die Zäune erhöht. Dort ist kein Durchkommen mehr. Aber: „Die Grenze ist die Grenze, und der Fluss ist der Fluss", sagt Franklin aus San Pedro Sula. Der 27-Jährige möchte in den kommenden Tagen in Richtung Norden aufbrechen und sich irgendwann den anderen anschließen.
Die Mexikaner seien sehr hilfsbereit und freundlich, berichtet er. Er habe Essen von der Kirche in Ciudad Hidalgo bekommen. Wann er den Zug der Migranten erreichen wird, ist unklar. Er bewegt sich jeden Tag einige Dutzend Kilometer weiter, meistens starten die Menschen um 3.00 Uhr morgens, um der Mittagshitze aus dem Weg zu gehen. In Pijijiapan ist die Musik auf dem Marktplatz mittlerweile ausgeklungen - ein Stromausfall in der kleinen Stadt in Chiapas hat der Feier für die Migranten ein Ende gesetzt.
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