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Wahlwerbung: Nicht alles ist KI – aber vieles ist ...

AfD-Bezug: 47,1 Prozent der politischen Beiträge, aber nur 10,7 Prozent der Nutzerinnen. Quelle: ARD-Nachtmagazin

Wahl & Werbung. Die Beobachtung von Social Media in Zeiten des Wahlkampfes kann hilfreich sein, um kommende Szenarien abzuschätzen. Im Wahlkampf 2013 fragte mich mein damals 16-jähriger Sohn Philip: »Wie viele Follower hat eigentlich die AfD bei Facebook?« 

(Stand am Stichtag des Artikels hier auf torial: 481.013  Personen).


Eine kurze Recherche 2013 zeigte, dass die AfD damals mehr FollowerInnen als SPD, CDU, Bündnis '90/Die Grünen und Die Linke zusammen hatte. Allein die CSU konnte hier mithalten. Die AfD blieb 2013 mit 4,8 Prozent knapp unter der fünf Prozent Hürde. Das war vor sechs Jahren, und heute? Die AfD erreicht in Umfragen zehn Prozentpunkte, dominiert aber laut jüngsten Zahlen 47,1 Prozent (Grafik unten) des politischen Diskurses. Populisten gefährden nicht nur den gesellschaftlichen Konsens in Europa, negieren Klimaveränderungen, am Ende des Tages könnte sogar der Weltfrieden bedroht sein. Wie funktioniert das?


Daten-Analyse zur Europawahl 

Dieser Blogbeitrag geht der Frage nach: Welche Gesetzmäßigkeiten greifen hier und was kann der Einzelne tun? Ausgangspunkt der Überlegungen ist eine Auswertung von Alto Analytics von 9,65 Millionen Beiträgen, veröffentlicht von 756.000 Nutzern. Social-Media-Beiträge wurden in einem Zeitraum von drei Monaten analysiert. Rund 80 Prozent der untersuchten Beiträge wurden auf Twitter publiziert, es folgten Facebook, YouTube und Instagram. Man darf getrost annehmen, dass Twitter als Indikator für andere soziale Netzwerke taugt. Das Big-Data-Unternehmen Alto Analytics (Studie) nahm sich eigenen Angaben zufolge zum Ziel, den aktuellen politischen Diskurs im deutschsprachigen Raum zu untersuchen. Das Ergebnis fasst tagesschau.de wie folgt zusammen: "Rechte Nutzer dominieren Diskurs". (Quelle: NDR/WDR)


Wie funktioniert der heutige Social-Media-Diskurs? 

»Jemand setzt eine Provokation in die Welt, dann reagieren andere darauf und dann reagieren andere auf die Reaktion. Dann empört man sich über die Empörung der jeweils anderen Seite. Diese Empörung über die Empörung der jeweils andern Seite ist der kommunikative Normalfall in der hochgereizten Gesellschaft der Gegenwart«, erklärt Professor Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler von der Universität Tübingen (Quelle: ARD-Nachtmagazin vom 9. Mai 2019).


Einschub: Dieser Text ist der Versuch einer Verdichtung von Wissen: Wie werden zur Zeit technisch und gesellschaftlich Wahlen beeinflusst? Einschübe werden Kursiv angezeigt, alle Quellen sind unter dem Text als Link abgelegt. Damit folgt dieser Blogeintrag dem Prinzip unseres Branchendienstes #7t7n - Sieben Tage - sieben Nachrichten (für Marketing und Publishing). 


Facebook verspricht Transparenz?
Facebook steht wegen seiner Positionierung in Sachen Wahlwerbung in der Kritik. Wahlweise gilt das soziale Netzwerk zum Beispiel den Trumpisten als zu »demokratisch«, Putinverstehern als zu amerikanisch und Post-Nazis als jüdisch. Durchzogen und beeinflusst, wahlweise durch russische, chinesische, nordkoreanische, israelische oder iranische Social Bots.

Einschub: Das Wort »demokratisch« dürfen Sie ruhig im doppelten Wortsinn lesen. Für die US-Partei und das Gesellschaftssystem. Was übrigens eine KI oder ein Algorithmus (noch) nicht kann.


Facebook reagierte auf die kritischen Stimmen mit der Einrichtung eines »Election Operation Centers« zur Europawahl für JournalistInnen. Ob dieses Wirkung hat? Ist Facebook überhaupt in der Lage und gewillt, gezielte Angriffe abzuwehren? Oder ist dies nur ein optisches Feigenblatt für die Objektive der Weltöffentlichkeit? Diese Fragen bleiben eine Geschichte, welche wir hoffentlich bei Historikerinnen in der Zukunft nachlesen werden. Fakt ist, die Redaktion von tagesschau.de schreibt nach einem Besuch des Facebook-Zentrums: »Neue Transparenz mit Grenzen ... Die Antworten bleiben oberflächlich.«


Warum betreibt Facebook diesen Aufwand? 

Ganz klar, aufgrund des »Cambridge-Analytica-Daten-Skandals«. Die Zeitungen »Observer« und die »New York Times« deckten unter anderem auf, »dass über eine vermeintlich wissenschaftliche App unrechtmäßig persönliche Daten von zig Millionen Facebook-Nutzern beschafft wurden, um Wähler mit zielgerichteten Botschaften zu manipulieren.« (Zitat-Quelle: netzpolitik.org). Höchstwahrscheinlich möchte Facebook-Gründer Mark Zuckerberg nicht nochmals zur Aussage vor einem Untersuchungsausschuss gezwungen werden.


FAQ: Was wir über den Skandal um Facebook und Cambridge Analytica wissen [UPDATE]


Wie werden Facebook-Anzeigen ausgespielt? 
Parteien, Interessengruppen und Unternehmen können auf Grundlage von vorhandenen Daten auf Facebook gezielt Anzeigen an Menschen ausspielen. Worin besteht die Gefahr für die Demokratie? Niemand außer dem Adressenten und dem Absender der Anzeige bekommt die Ausspielung mit. Soziale Kontrolle? Null. Kein Bekannter, keine Freundin kann die Nutzerinnen auf Falschnachrichten aufmerksam, weil niemand außer dem Adressierten diese sieht.

Szenario: So können für eine politische Richtung als "anfällig" klassifizierte Menschen erst durch »False News« (Hoax, Fake News, Falschnachrichten) beeinflusst werden. Hierfür bedient man sich des Handwerkszeuges des Zweifelsäens und der Angstmache. Am Ende wird dem beeinflussten und verängstigten Betrachter eine passend einfache Lösung präsentiert. Da Menschen psychologisch eher Bestätigung für die eigenen Meinungen als Auseinandersetzung mit anderen Positionen suchen, ist der Umworbene in einer Blase der Selbstbestätigung gefangen.

Wo kommen die Inhalte her? 
Ingrid Brodnig, österreichische Journalistin und Publizistin meint gegenüber der ARD: »In nur wenigen Jahren hat die AfD ein rechtes Milieu im Netz in Kontakt miteinander gebracht.« Ein Netzwerk sich selbstbefeuernder aktiver NutzerInnen, die ihre Gesinnungssplitter miteinander teilen. Das ganze funktioniert wie ein Fusionsreaktor: Einmal entzündet befeuern sich die Poster in einer gegenseitigen Kettenreaktion.

Und die Social Bots? 
Die eingangs angesprochene Firma Alto Analytics identifizierte 168 NutzerInnen mit »abnormalen Aktivitäten«. Meint: Dass diese aus Datenperspektive »statistisch auffällig häufig posten«. Ein einzelnes Konto brachte es im Beobachtungszeitraum auf 18.000 Beiträge. Zum Vergleich einmal der professionelle News-Account von »MarkStein Publishing«: Von ihm wurden, Stichtag heute, 10.000 Tweets in zehn Jahren gepostet! 18.000 Beiträge in drei Monaten macht 200 am Tag. tagesschau.de schreibt: »Obwohl diese 168 Nutzer weniger als 0,1 Prozent aller Accounts ausmachen, sind sie für rund jeden zehnten Beitrag verantwortlich.«

Einschub: »Social Bots sind Softwareroboter bzw. -agenten, die in sozialen Medien (Social Media) vorkommen, von Algorithmen gesteuert werden und KI nutzen. Sie liken und retweeten, und sie texten und kommentieren, können also natürlich-sprachliche Fähigkeiten haben. Sie können auch als Chatbots fungieren und mit Benutzern synchron kommunizieren.« Quelle: Gabler (mit eigener Erweiterung) 


Welche Rolle spielen Influencer?
Die Auswertung der Daten zur politischen Diskussion der Europawahl von 30 Top-Influencern oder Multiplikatoren ermittelt (siehe Screenshots). Darunter befinden sich zwei von der SPD, jeweils einer von der FDP und Bündnis '90/Die Grünen. Allerdings sechs FunktionärInnen von der AfD. Quelle aller Screenshots: ARD-Nachtmagazin

Was können wir tun? 

»Wenn wir einen positiven Effekt von sozialen Medien sehen können und wollen, dann liegt er darin, dass sie (die sozialen Netze) es offenbar auf die richtige Art schaffen, einen Realitätsschock bei den Leuten auszulösen, der auch eine Wirkung hat ... Aktivismus wirkt. Also handelt.« Zitat Sascha Lobo aus der 202. Ausgabe von #7t7n - Sieben Tage - sieben Nachrichten.


– Posten. Die digitale Stimme erheben.

– Nachrecherchieren. Wo kommt der Hoax her? Und einfach gute Nachrichten verbreiten.

– Suchmaschinen: Alternative Suchmaschinen nutzen zum Beispiel: https://duckduckgo.com/

– Vernetzung. Eine Antwort ist vielleicht auch der Hashtag #7t7n (Vielen Dank für Ihr Interesse).


Anhang und Recherchetipps zu Wahlberichterstattung 

– Alle Wahlergebnisse der Bundesrepublik Deutschland werden herausgegeben vom Bundeswahlleiter in Wiesbaden: Bundestagswahlen (PDF)

Einschub: An dieser Stelle eine fachliche Kritik an dem PDF. Ein solch wichtiges PDF ohne Strukturierung ist im 21. Jahrhundert ein schlechter Witz. Es wurde auf ein verlinktes Inhaltsverzeichnis und Querverweise verzichtet.


– Die Redaktion von tagesschau.de hat die früheren Wahlergebnisse grafisch aufbereitet.

Links aus diesem Beitrag ...

https://www.alto-analytics.com/en_US/eu-elections-public-digital-debate/ http://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/europawahl-soziale-medien-101.html https://www.tagesschau.de/inland/facebook-lagezentrum-101.html https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/social-bots-54247 https://www.bundeswahlleiter.de/bundestagswahlen/2017/ergebnisse.html https://wahl.tagesschau.de/uebersicht-der-wahlen.shtml

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