Fußballspiele, Theaterpremieren, Ausstellungen: alles abgesagt. Wann es weitergeht: unklar. Wer als freier Journalist bisher vor allem über solche Veranstaltungen berichtet hatte, sitzt in Zeiten der Corona-Krise plötzlich vor einem komplett leeren Auftragsbuch. Aber auch terminunabhängige Reporter trifft es: Sie müssen etwa Recherchereisen und ganze Geschichten auf Eis legen, weil die Gesprächspartner nicht mehr für ein persönliches Treffen zur Verfügung stehen oder Behörden und Einrichtungen geschlossen haben.
Viele Freie stellt das vor existenzielle Herausforderungen. Nimmt man das von der Künstlersozialkasse angegebene durchschnittliche Jahreseinkommen von etwa 20.000 Euro vor Steuern und Abgaben, ist nicht davon auszugehen, dass viele Freiberufler jetzt auf komfortable Rücklagen zurückgreifen können. Und: Die Rettungsmaßnahmen der Bundesregierung haben für Solo-Selbstständige bisher nicht gegriffen. Ein milliardenschweres Hilfspaket ist bisher bloß angekündigt, die entscheidenden Details sind aber noch offen.
„Es ist momentan ein Schwebezustand", sagt Oliver Eberhardt, Vorstandsmitglied des Berufsverbands Freischreiber. Von Bundesland zu Bundesland sei die Situation derzeit verschieden, zudem stünden etliche politische Entscheidungen noch aus. Bis dahin gibt es für freie Journalisten einige Optionen, um den finanziellen Druck etwas zu mindern. Allerdings: Manche davon haben einen - oder gar mehrere - Haken. Der Übermedien-Überblick.
Staatliche HilfenInfektionsschutzgesetz: Wer selbst mit dem Corona-Virus infiziert ist oder aus anderen Gründen in Quarantäne muss, hat nach Paragraph 56 des Infektionsschutzgesetzes Anspruch auf Erstattung des entfallenen Honorars. Berechnungsgrundlage ist das durchschnittliche Einkommen der vorherigen 12 Monate. Zudem werden laufende Betriebskosten übernommen. Nach sechs Wochen wird dann eine Entschädigung in Höhe des Krankengelds gezahlt.
Kredite und Liquiditätshilfen: Michael Hirschler kann seine Empörung nicht verbergen. „ Sogenannte Hilfsangebote", nennt der Referent für Freiberufler beim Deutschen Journalisten-Verband (DJV) die bisher angekündigten Maßnahmen der Bundesregierung, die auch Solo-Selbstständige durch die Corona-Krise bringen sollen. Hirschler meint die zahlreichen Darlehen und Kredithilfen, die sowohl Bund als auch Länder derzeit als Mittel gegen Liquiditätsengpässe von Unternehmen und Selbstständigen anpreisen. „Vielen freien Journalisten droht damit entweder die Schuldenfalle oder sie haben noch nicht einmal ein Anrecht darauf", sagt der Gewerkschaftsvertreter.
Hirschler ist mit seiner Kritik nicht allein. Auch Freischreiber Oliver Eberhardt kommentiert die Kreditangebote von KfW und Landesbanken eindeutig: „Das ist überhaupt nicht brauchbar." Spätere Belastungen durch Kreditrückzahlungen seien für die meisten Freien schlicht nicht zu stemmen. Manche Angebote schließen zudem junge Gründer aus, die weniger als drei Jahre selbstständig sind.
Zudem ist fraglich, ob die Banken wirklich für die Dringlichkeit der aktuellen Situation gerüstet sind. Ein Beispiel: Das Berliner Programm „Liquiditätshilfen", das laut einer Pressemitteilung des Senatsverwaltung für Wirtschaft neben kleineren und mittleren Unternehmen nun auch für Freiberufler zugänglich sein soll. Zinslose Kredite in Höhe von bis zu 500.000 Euro will die Investitionsbank Berlin in einem „vereinfachten und beschleunigten Antragsverfahren" gewähren. Allerdings: Aufgrund des Ansturms brachen die Server der IBB komplett ein, am Freitag war das Antragsformular bis in den spätem Nachmittag hinein wegen Überlastung nicht abrufbar (Stand: 17 Uhr).
Soforthilfen: Brauchbarer für Freiberufler sind sogenannte Soforthilfen, also echte Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Vorreiter ist dabei Bayern. Die Corona-Soforthilfe des Freistaats zahlt 5.000 Euro an Solo-Selbstständige, die in Liquiditätsprobleme geraten sind. Baden-Württemberg und Hamburg haben bereits ähnliche Maßnahmen beschlossen. Voraussetzung ist allerdings, dass vorhandenes Privatvermögen vorher aufgebraucht wird.
Und obwohl Lebensversicherungen und andere Altersvorsorgen davon ausgenommen sind, hält DJV-Vertreter Hirschler solche Hilfen deshalb für „vergiftete Angebote". Wer etwas gespart habe, werde so bestraft, findet er. Zudem klängen 5.000 Euro zwar erst einmal gut, gerade für Freiberufler mit Familien oder hohen Betriebskosten sei eine solche Einmalzahlung aber nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Bund will laut Medienberichten bis zu zehn Milliarden Euro für direkte Zuschüsse bereitstellen. Details stehen aber noch aus.
Arbeitslosengeld II/Hartz 4: Aber was tun, wenn es schon knapp wird, bevor Bund und Länder wirklich nachhaltige Maßnahmen auf den Weg bringen? „Wenn alles aus dem Ruder läuft, ist auch die Beantragung von Arbeitslosengeld II sinnvoll", sagt Oliver Eberhardt. Arbeitsminister Hubertus Heil hat bereits davon gesprochen, Soloselbstständigen mit starken Einkommenseinbußen den Zugang zur Grundsicherung zu erleichtern.
Ein Vorteil für Freie: Man bleibt Mitglied der Künstlersozialkasse, muss aber keine Beiträge mehr zahlen. Aber auch hier gilt: Für Freiberufler, die zuvor gute Umsätze erwirtschaftet und damit Familien ernährt haben, kann auch der Rückfall auf Hartz 4 existenzbedrohend sein.
EntlastungenSteuern: Laut Bundesfinanzministerium sollen die Finanzämter derzeit besonders unbürokratisch mit Anträgen auf Senkung der Einkommenssteuervorauszahlung oder auf Stundung ausstehender Zahlungen umgehen. Dazu reicht ein formloses Schreiben an das zuständige Amt, in dem begründet wird, warum mit einem niedrigeren Einkommen gerechnet wird. Das kann unter Umständen für eine erhebliche Entlastung sorgen.
Künstlersozialkasse: Mitglieder der Künstlersozialkasse (KSK) können ihre monatlichen Beträge senken, indem sie dort jetzt eine gesenkte Prognose des Jahreseinkommens melden. Ein entsprechendes Formular gibt es auf der Webseite der KSK. Das Ganze ist schnell gemacht und spart bares Geld - deshalb findet man diesen Hinweis derzeit häufig im Netz.
Zwei Dinge sollte man dabei aber unbedingt beachten: Weil zum einen die Beiträge am Monatsanfang immer rückwirkend abgebucht werden, würde sich die Reduzierung erstmals bei der Abbuchung im Mai bemerkbar machen. Zum anderen hat das gemeldete Jahreseinkommen einen direkten Einfluss auf das Krankengeld. Es berechnet sich aus dem angegebenen Einkommen der vergangenen zwölf Monate - in Zeiten einer unbestimmt andauernden Pandemie mit hoher Ansteckungsgefahr muss also jeder für sich entscheiden, ob ein sinnvoll ist, diese Unterstützung im Krankheitsfall freiwillig zu mindern.
Laut einer KSK-Sprecherin diskutiere man zudem intern noch, ob man zusätzliche spezifische Notfallhilfen anbieten könne. Ein eigener KSK-Notfallfonds, von dem in den vergangenen Tagen vereinzelt zu lesen war, sei zwar im Gespräch gewesen, werde aber nicht realisiert.
VG Wort: Die Verwertungsgesellschaften der Autoren bietet über ihren Sozialfonds Beihilfen für in Not geratene Mitglieder. In einer Mitteilung vom Dienstag weist die VG Wort noch einmal ausdrücklich darauf hin. Überschrift: „Unterstützung durch den Sozialfonds der VG WORT ist möglich angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Notlage".
Fraglich bleibt allerdings, ob hier nicht unnötigerweise falsche Hoffnungen gemacht werden. So ist der Fonds einerseits laut Satzung auf eine Höhe von 10 Prozent der jährlichen Einnahmen gedeckelt und wird derzeit bereits in Anspruch genommen. Zum anderen tagt das ehrenamtliche Entscheidungsgremium nur viermal im Jahr. Auch ein Anruf in der Pressestelle lässt weitere Zweifel aufkommen, ob die personell nicht gerade breit aufgestellte Verwertungsgesellschaft in Krisenzeiten wirklich der richtige Ansprechpartner für dringende Hilfen sein sollte: „Wir sind natürlich auch von der Corona-Krise betroffen und bemühen uns derzeit nach Kräften, vor allem anderen die Hauptausschüttung im Sommer zu gewährleisten", sagt eine Sprecherin.
Laufende Kosten: Wer ein Büro mietet, sollte das Gespräch mit dem Vermieter suchen. Oft stößt man hier auf Kulanz. In den sozialen Netzwerken wird bereits von Mieterlässen berichtet. Ähnliches gilt etwa für Handyverträge. Manche Mobilfunkbetreiber würden ihren Kunden jetzt relativ unkompliziert Ratenzahlung ermöglichen, sasgt Freischreiber-Vorstand Eberhardt. Ganz selbstlos agieren die Unternehmen allerdings nicht: Meist fällt dafür eine Gebühr an, lohnend sei deshalb nur ein länger angelegter Plan.
Notbetreuung: Wer wegen Kita- und Schul-Schließungen plötzlich auch noch Kleinkinder im Home-Office betreuen muss, der wird kaum die gewohnte Produktivität erreichen. Auch das kann sich als Freiberufler negativ auf das Einkommen auswirken. Journalisten in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern und Schleswig-Holstein können deshalb unter Umständen aufatmen: Diese Bundesländer haben Presse und Rundfunk als systemrelevant anerkannt. Das gilt als wichtigste Voraussetzung, um die angebotene Notbetreuung in Anspruch nehmen zu können.
Auch in Berlin gehören Journalistinnen und Journalisten zum „betriebsnotwendigen Personal der kritischen Infrastruktur und der Grundversorgung", allerdings nur, wenn sie nachweisen können, „dass sie in den Redaktionen aktuell gebraucht werden". Dann könnten Medienvertreter auch eine Notbetreuung ihrer Kinder in Kitas und Schulen beantragen, sagte der Sprecher der Berliner Senatsbildungsverwaltung, Martin Klesmann, am Donnerstag dem Evangelischen Pressedienst. Die Journalistengewerkschaft DJU in Verdi fordert aufgrund dieser föderalen Unterschiede „bundesweit einheitliche Regelungen", die „die Arbeit für Medien, insbesondere im Nachrichten- und Informationswesen und in der Krisenkommunikation für systemrelevant erklären".
SonstigesRechtsmittel: Was tun, wenn Honorare gerade besonders lange auf sich warten lassen oder bereits vereinbarte Termine abgesagt werden mussten? Sowohl Freischreiber Eberhardt als auch Gewerkschaftler Hirschler raten davon ab, derzeit den Rechtsweg zu bemühen. Solche Verfahren könnten sich oft jahrelang hinziehen. Zudem würden die betreffenden Redaktionen nach der Krise mit großer Sicherheit als erneuter Auftraggeber wegfallen. Letztlich seien auch die Verlage und Medienhäuser derzeit von den unvorhergesehenen Umwälzungen betroffen - oft seien Verzögerungen oder Absagen eben der Umständen geschuldet.
Kreativ werden: Derzeit beherrscht die Corona-Pandemie die Nachrichtenseiten. Texte zur Krise bescheren sowohl regionalen als auch überregionalen Medienhäusern sehr hohe Klickzahlen. Mit anderen Themen aber sieht es mau aus - zudem ist absehbar, dass in einigen Wochen sowohl bei Lesern als auch bei Redaktionen wieder das Bedürfnis nach frischen Themen wächst. Wer dann terminunabhängige Themen und frische Lesegeschichten anbietet, hat gute Chancen, mit seinen Angeboten auf offene Ohren bei den Redakteurinnen und Redakteuren zu stoßen.