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Konzerne zahlen lieber hunderte Millionen Abfindung: Baby-Boomer auf Abschussliste

Millionenschwere Abfindungspakete: Während Mittelstand Mitarbeiter sucht, wollen Dax-Konzerne Baby-Boomer loswerden

Baby-Boomer befinden sich in den Dax-Konzernen zunehmend auf der Abschussliste. Egal ob Volkswagen, Bayer oder SAP: Sie alle legen große Abfindungs- und Frühverrentungsprogramme auf, um tausende ältere Mitarbeiter loszuwerden.

Diese hätten nicht die erforderlichen Fähigkeiten, die in Zeiten der Digitalisierung gebraucht werden, heißt es. Und wegen ihrer hohen Gehälter schone ein Abgang auch die Kassen der Unternehmen.

Beim Chemiekonzern Bayer können Mitarbeiter ab 57 Jahren in den vorzeitigen Ruhestand gehen, das Unternehmen bezahlt sie dennoch bis zu sechs Jahre weiter. Beim Softwareriesen SAP wiederum können Mitarbeiter ab 57 in Altersteilzeit gehen. Dabei will der Konzern Abschläge so weit ausgleichen, dass die Mitarbeiter wieder fast auf ihr altes Gehalt kommen.

Hunderte Millionen Euro an Abfindung statt Weiterbeschäftigung

Deutsche Post, Telekom, Ford und Lufthansa sind weitere Beispiele für Firmen, die lieber hunderte Millionen Euro an Abfindungen zahlen, statt die teuren Baby-Boomer, zu denen vor allem die Jahrgänge Mitte der 50er bis Mitte der 60er gerechnet werden, weiter zu beschäftigen.

Doch was sich die großen Konzerne leisten, macht dem Arbeitsmarktexperten Enzo Weber zufolge gesamtwirtschaftlich keinen Sinn. "Der große Trend ist, dass die Arbeitskräfte knapp werden", sagt der Ökonom vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit. Der Arbeitsmarkt brumme - und daran werde auch die konjunkturelle Abkühlung nichts ändern. "Frühverrentung ist in der aktuellen Situation eigentlich abseitig", kritisiert Weber.

Mittelstand in Sorge

Warum es sich die Großunternehmen wie VW dennoch erlauben können: "Ein Konzern mit einer weltbekannten Marke hat weniger Probleme, junge Mitarbeiter zu finden", sagt Weber. Im Mittelstand sehe das aber anders aus.

"Wenn die Baby-Boomer uns verlassen, haben wir ein Problem", sagt etwa der Chef des freien Bildungsträgers Internationaler Bund, Thiemo Fojkar. "Auch bei uns fehlen die Fachkräfte." Das habe mit der Alterung der Bevölkerung und der starken Konkurrenz um Mitarbeiter im Bildungsbereich zu tun. Der Internationale Bund versuche ältere Mitarbeiter deshalb mit "materiellen Anreizen" und einer wertschätzenden Atmosphäre zu halten.

Wer möchte, könne auch über das Rentenalter hinaus in Teil- oder Vollzeit weiterarbeiten. "Das wird von unseren Mitarbeitern je nach Funktion gerne angenommen", sagt Fojkar, der 14.000 Mitarbeiter führt. Er selbst will noch neun Jahre arbeiten, bis er 70 ist. "Ich habe aber auch vollstes Verständnis, wenn jemand nach einem Arbeitsleben mit harter körperlicher oder psychischer Belastung schon mit 58 in Rente gehen will", sagt er.

"Wollen Erfahrungswissen unserer Mitarbeiter für die Digitalisierung einsetzen"

Auch der 1200 Mitarbeiter zählende Maschinenbauer GMT aus dem baden-württembergischen Bühl macht seinen älteren Angestellten Angebote, länger zu bleiben. "Wir machen das weniger aus Facharbeitermangel", sagt Verwaltungschef Carl Andres Schiefer. "Wir wollen das Erfahrungswissen unserer Mitarbeiter für die Digitalisierung einsetzen." Ältere Mitarbeiter wüssten beispielsweise über Probleme und Lösungen Bescheid, die noch nicht maschinenlesbar dokumentiert seien.

Deshalb sollen sie nach dem Eintritt ins Rentenalter noch ein paar Jahre dranhängen, um das "Wissen aus ihrem Kopf ins System zu bringen". Schiefer beobachtet: "Die meisten sind ganz glücklich, dass sie nicht so einen abrupten Stop haben." Allerdings arbeiten sie nur noch Teilzeit. "Keiner hat Lust, Vollgas weiterzumachen."

Weber: "Das sind hochproduktive Mitarbeiter mit wertvollen Kenntnissen"

Wenn es nach IAB-Forscher Weber geht, sollten auch die Baby-Boomer aus den Dax-Konzernen weiter arbeiten. "Das sind hochproduktive Mitarbeiter mit wertvollen Kenntnissen. Sie könnten noch mindestens zehn Jahre Nutzen stiften." Allerdings müssten sie dafür "über den Firmenrand gucken". Im Mittelstand gebe es viele attraktive Positionen, wo ihre Fähigkeiten noch gebraucht würden. Der technologische Wandel finde nicht überall gleich schnell statt.

Auch kleinere Umschulungen würden sich für Ältere noch lohnen. Und damit der Jobwechsel kein finanzieller Abstieg wird, sollte der Staat Weber zufolge Lohnzuschüsse zahlen. Schließlich profitiere er auch davon, wenn die Baby-Boomer länger arbeiten.


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