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Kampf um Flächen in Karlsruhe: Das Gewerbe hat Vorfahrt

Über vier Jahre suchte auch der Malteser Hilfsdienst nach einem neuen Standort für seine Rettungswache. Der bisherige Standort in einem Gewerbegebiet war aufgrund eines befristeten Mietvertrags nur als Interimslösung geplant, sagt der Bezirksgeschäftsführer Peter Neuhauser. Trotz aufwändiger Suche fand der Rettungsdienst keine Immobilie, bei der sich der "Bebauungsplan als auch Lage und Finanzierungsmöglichkeiten der Malteser" eigneten. In den meisten Gewerbe- und Industriegebieten schließt der Karlsruher Bebauungsplan schon lange andere als gewerbliche Nutzungen aus. Zusätzliche Einschränkungen bei den Rettungsdiensten kommen durch gesetzliche Vorgaben, die vorsehen, dass der Notfallort binnen zehn bis 15 Minuten erreicht wird.

"Die lange erfolglose Suche zeigt, wie schwierig es ist, für Sonderimmobilien geeignete Objekte zu finden", sagt Neuhauser, der froh ist, auf dem angespannten Immobilienmarkt überhaupt eine Lösung gefunden zu haben. "Um im Notfall schnell bei den Menschen zu sein, muss für den Rettungsdienst auch Platz nahe bei den Menschen sein."

Weniger Raum für Kultur und Soziales

Doch statt größer machte der Karlsruher Gemeinderat den möglichen Raum für Kultur und Soziales in der Stadt jüngst noch kleiner. In Gewerbegebieten sollen kulturelle, soziale oder gesundheitliche Zwecke nur noch in "wichtigen Ausnahmefällen" Platz finden, beschloss das Gremium Anfang 2022. Dabei böten diese geräuschunempfindlicheren Gebiete für die Musikkultur oder Rettungsdienste optimale Bedingungen.

Grundlage der Entscheidung war ein von der Wirtschaftsförderung beauftragtes Gutachten, das zum Ergebnis kam, dass die Flächen in der Stadt für gewerbliche Nutzung bis 2035 knapp würden. Das Gutachten, zu dessen Kosten die Stadtverwaltung keine Angaben machen wollte, betrachtete allein den Flächenbedarf für gewerbliche Nutzungen und ließ die anderen nun zurückgedrängten Zwecke außer Acht. Lukas Bimmerle von der Karlsruher Linksfraktion attestiert der beschlossenen Vorlage ein "veraltetes Denken, das alles dem Primat der Wirtschaft unterordnet." Er forderte stattdessen im Sinne einer sozial-ökologischen Stadt den gesellschaftlichen Nutzen in den Fokus zu stellen. Mit ihrer Haltung standen Bimmerle und seine Fraktion im Gemeinderat alleine da. Die übrigen Fraktionen aus Grünen, SPD und Karlsruher Liste stimmten der Vorlage der Verwaltung zu. CDU, FDP und Freie Wähler forderten gar zusätzlich, aber erfolglos, Gewerbegebiete auf noch unversiegelten Flächen anzusiedeln.

Wohnungsmarkt bleibt angespannt

Wie in den meisten Großstädten sind die Flächen in Karlsruhe auch zum Wohnen knapp und dadurch immer teurer. Bis 2035 fehlen der Stadt nach eigenen Angaben 14.200 Wohnungen, um den steigenden Bedarf zu decken. Die Neuvertragsmieten in der Stadt stiegen dadurch seit 2012 um rund zwei Prozentpunkte stärker als die bundesweiten Nominallöhne. Fast jeder fünfte Haushalt in Karlsruhe suche derzeit eine neue Wohnung, geht aus dem städtischen Sachstandsbericht hervor. Die durchschnittliche Dauer der Wohnungssuche belaufe sich auf knapp 15 Monate, wobei die Situation für einkommensschwache Gruppen besonders schwierig ist.

Nachdem in den letzten Jahren etwa nur die Hälfte der jeweils erforderlichen Wohnungen gebaut wurden, soll das Tempo in den kommenden Jahren erhöht werden. Doch schon in der Zielsetzung bleibt die Stadt beim Wohnen hinter dem ermittelten Bedarf zurück. Bis 2035 sollen in Karlsruhe nur 10.300 Wohnungen gebaut werden und die anderen Wohnungssuchenden auf das Umland ausweichen. Während Gemeinderat und Wirtschaftsförderung bei den Gewerbebetrieben auf Vollversorgung setzen, ist ein "moderat angespannter Wohnungsmarkt" für sie akzeptabel.

"Insbesondere bei Konkretisierung weitergehender Planungen kann die Stadt die vielfältigen Flächenbedarfe auch weiterhin decken", gibt sich die Stadtverwaltung auf Anfrage hingegen handlungsfähig. Auch für kulturelle, soziale und gesundheitliche Interessen könnten Flächen möglich gemacht werden. Bei den Betroffenen scheinen diese Möglichkeiten aber nicht anzukommen. Mit der stetig zunehmenden Flächenknappheit fürchtet Malteser Peter Neuhauser daher wachsende Probleme bei der Versorgung der Menschen. "Die Schwierigkeit, geeignete Immobilien für einen passenden Wachenstandort zu finden, erschwert die Sicherstellung des Rettungsdienstes zunehmend."

Nicht nur die Daseinsvorsorge ist eine öffentliche Aufgabe. Ohne politische Unterstützung fürchtet nicht nur Kulturmann Klaus Bluck, dass die Marktmechanismen die Städte eindimensionaler werden lassen. Seine Befürchtungen kennen viele Mieter:innen vom großstädtischen Wohnungsmarkt. "Es kann nicht sein, dass sich die einzelnen Initiativen und Vereine, jeder für sich selbst, um dieses Problem kümmern müssen, sich dabei ungewollt Konkurrenz machen und die Preise hochtreiben."

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