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Obdachlose: Zurück zur eigenen Wohnung

Nach einigen Wochen, die sie bei einer Bekannten untergekommen war, kam 2013 auch Gabriele Kos in den Tagestreff. Sie lernte Frauen in ähnlichen Situationen kennen und fand im Treff Beschäftigung, beispielsweise in der Kleiderkammer. "Hier wird man gelobt und gefördert, ich fand mein Selbstbewusstsein wieder", sagt Kos. Noch heute besucht sie den TafF, obwohl sie inzwischen selbst wieder eine Arbeit und eine Wohnung gefunden hat.

Durch die Vermittlung von Sozpädal hat auch Timo wieder eine Wohnung und Arbeit. Timo heißt eigentlich anders, will aber nicht, dass seine Geschichte an seiner Arbeitsstelle bekannt wird. Mit 18 Jahren ist er zuhause rausgeflogen und landete mehrere Monate auf der Straße in Karlsruhe. Der Mittelpunkt seines Lebens war bis dahin sein Laptop. Als es kalt und sein Rechner gestohlen wurde, suchte er Unterschlupf in wechselnden Notunterkünften der Stadt. "Computer, Strom, Internet und etwas Essen, so hätte ich mir mein Leben damals bis 50 vorstellen können", sagt Timo, der sich auf Vermittlung des Jobcenters mit Zeitarbeitjobs im Lager über Wasser hielt. Ein Wendepunkt kam vor drei Jahren mit einer Multiple Sklerose-Diagnose, die ihm einen Schwerbehindertenausweis brachte. "Das Jobcenter hatte damit einen Beweis, dass ich eine Umschulung und endlich einen Job machen konnte, auf den ich Lust hatte. Dazu bin ich wieder unter Menschen gekommen und hatte Spaß, wieder das reale Leben kennenzulernen", sagt der 29-Jährige. Im kommenden Jahr will er seine Informatiker-Ausbildung abschließen und lebt seit einem Jahr als Mieter von Sozpädal in einer eigenen Wohnung. "Die Spielsucht ist noch da, aber ich habe es im Griff", sagt Timo, der zum Zocken auf das Handy umgestiegen ist, das er mittlerweile aber einfacher zur Seite legen könne. Entsprechend wichtig sei es, die neuen MieterInnen nicht alleine zu lassen, sagt Susanne Pastor von Sozpädal. "Bei uns wohnt niemand unbetreut. Es braucht Sozialarbeit, um zu verhindern, dass Menschen wieder wohnungslos werden."

Nicht für alle Bedürftige ist noch Platz

Sozpädal sucht dringend zusätzlichen Wohnraum. "Durch Hausverkäufe haben wir in den letzten Jahren einige Wohnungen verloren. Darunter waren auch Häuser mit bis zu zehn Wohnungen von uns", sagt Sarah Bruder, Bereichsleiterin von Sozpädal. Besonders gesucht werde "Einfachstwohnraum", ergänzt Pastor. Trotz des immer umkämpfteren Wohnungsmarkts hat sie die Hoffnung nicht verloren: "Es gibt nicht nur Miethaie. Einige Vermieter vergeben aus sozialem Anspruch an uns", sagt sie. Und dennoch: "Wohnungslose stehen auf der Interessensskala der Vermieter ganz unten." Durch den immer knapperen Wohnraum in der Stadt kann auch Sozpädal längst nicht mehr alle Bedürftigen unterbringen.

Die häufigste Ursache der Wohnungslosigkeit sind Kündigungen aufgrund von Mietrückständen. Eine Besonderheit des "Karlsruher Wegs" sind die lang geübten Kommunikationskanäle, über die die MitarbeiterInnen von nahezu jeder anstehenden Zwangsräumung erfahren und mit der Fachstelle Wohnungssicherung intervenieren können. "Das ist der Fehler in anderen Städten. Mit Räumungsklagen durch öffentliche Wohnungsträger werden Menschen in den nächsten Sozialetat geschoben. Das ist irrsinnig", sagt Lenz. In Karlsruhe verzichten öffentliche Wohnungsträger ganz auf dieses Instrument. 2020 konnte die Stadt mit der Übernahme von Mietrückständen 167 Haushalte von insgesamt 640 Verfahren vor dem Wohnungsverlust bewahren. Zwar versuchen auch in Freiburg und Stuttgart die Stadtverwaltungen MieterInnen im Fall einer bevorstehenden Kündigung oder gar Zwangsräumung zu unterstützen, doch MieterInnen in städtischen Wohnungsbaugesellschaften können dort auch aufgrund von Mietrückständen gekündigt werden. Genaue Zahlen dazu liegen in den Stadtverwaltungen nicht vor.

Armutsrisiko wächst

Das Armutsrisiko, gerade für Familien, sei seit dem Ende der 2000er-Jahre deutlich gewachsen. "Zu uns kommen Menschen, da im TafF WLAN für das Home-Schooling ist, was sie zuhause nicht haben", sagt Lissi Hohnerlein von Sozpädal. Und Sozialdezernent Lenz verweist auch auf die zunehmende Zahl der Menschen in prekären Beschäftigungen (working poor). Schon eine Kündigung wegen Eigenbedarfs kann in den angespannten Wohnungsmärkten der Großstädte dazu führen, dass Menschen mangels Angebots in die Wohnungslosigkeit rutschen, warnt auch das Sozialreferat Stuttgart.

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