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Karlsruhe: Innenstadt im Umbruch

Als 1996 der erste Bürgerentscheid zur Untertunnelung der Kaiserstraße in Karlsruhe scheiterte, war der heutige Versand-Riese Amazon mit einem Umsatz von 16 Mio. US-Dollar gerade einmal zwei Jahre alt. Wenn die Kombilösung 2021 abgeschlossen sein soll, plant der Branchenprimus mit einem Umsatz von über 400 Milliarden US-Dollar. Während der langen Bau- und Planungszeit erlebte der die Innenstädte dominierende stationäre Einzelhandel einen erheblichen Umbruch, auf den die Corona-Krise wie ein Brandbeschleuniger wirkte. Die hektische Digitalisierung der letzten Monate dürfte auch die Etablierung neuer Arbeitsformen im Homeoffice um Jahre beschleunigt haben. Wenn Büros und Geschäfte ihre Flächen reduzieren müssen, wie soll dann die neue Innenstadt gestaltet werden?
Die Entwicklung wurde aktuell am Beispiel des Kaufhauskonzerns Karstadt sichtbar, der bundesweit 62 seiner 172 Warenhäuser schließt. Oberbürgermeister Frank Mentrup sorgte sich um den Erhalt der hiesigen Filiale und erklärte Karstadt für die weitere Entwicklung der Fußgängerzone als „unverzichtbar“. Letztlich ging der Kelch der Schließung an Karlsruhe vorbei, doch dürfte dies den Bedeutungsverlust des Handels in der Innenstadt bestenfalls verlangsamen. So verlässt der Elektronikmarkt Saturn seinen zentralen Standort am Europaplatz und zieht einige Meter weiter. Eine Sprecherin des Unternehmens teilte auf die Frage nach einer möglichen Flächenreduzierung mit, Saturn wolle ein „übersichtlicheres Einkaufserlebnis“ schaffen. Mit dem Rückzug des stationären Handels erlebt die Kaiserstraße aktuell einen Boom der Gastronomie. Wie im Handel sind es vor allem Konzerne und Ketten, die mit ihren systemgastronomischen Angeboten die weiterhin hohen Mieten in der Innenstadt schultern können.
Sanierungsgebiet um den Kronenplatz
Am Kronenplatz zeigt sich seit Jahren, wie begrenzt die Möglichkeiten einer Belebung der Umgebung allein durch den Handel sind. Christian Hennig von der Kulturinitiative die Anstoß e.V. beklagt eine falsche Entwicklung des Platzes seit den 1990er-Jahren. Die Initiative betreibt seit 2015 unweit des Kronenplatzes den Projektraum ßpace, in dem regelmäßige Treffen und kleinere Veranstaltungen stattfinden. Insbesondere der nördliche Teil des Platzes wirke wie eine brachliegende Stadtwüste, der wie der gesamte Kronenplatz keine Aufenthaltsqualität oder Identität biete. Im Werben für eine andere Stadtentwicklung versucht die Anstoß e.V., anliegende Initiativen, Gewebetreibende und AnwohnerInnen zu einer partizipativen, gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung zu aktivieren. Damit will die Initiative den Beteiligungsprozess der Stadt ergänzen und auf dem Kronenplatz ein Experimentierfeld für städtische Teilhabe und die Umsetzung eigener Ideen schaffen. Hier könne ein „Quartierszentrum als lebendige Schnittstelle zwischen der Haupteinkaufsstraße als Einzelhandelsstandort, der östlichen Innenstadt als Wohnquartier und der Universität als Bildungseinrichtung“ entstehen, so Hennig. Auch Dennis Fischer vom City Marketing Karlsruhe betont für den Kronenplatz: „Handel kann hier nicht die Lösung sein“ und verweist auf die Begleitung des Sanierungsgebiets durch ein Quartiersmanagement.
Eine bessere Vernetzung des KIT Campus Süd mit der Innenstadt ist auch Ziel des Leitprojekts „Sanierungsgebiet Innenstadt Ost“ im Rahmen der von OB Mentrup verantworteten Stadtentwicklung „Zukunft Innenstadt“. Im östlichen Teil der Kaiserstraße und im Dörfle sollen laut strategischer Zielsetzung „Vorfelder“ des Campus entstehen. Das KIT bestätigte auf Anfrage, in den kommenden Jahren durch Institutsneugründungen und zusätzliche Mittel aus der Exzellenzinitiative einen erhöhten Flächenbedarf zu haben. Bereits jetzt nutzt das KIT dauerhaft drei Gebäude außerhalb des Campus in der Innenstadt und weitere vorübergehend. Gerade der Bereich in direkter Nähe zum Campus sei für die für weitere Universitäts-Projekte interessant.
Ein neues entsteht aktuell am südlichen Rand des Kronenplatzes im ehemaligen Allianz-Gebäude, das dem KIT vom Land Baden-Württemberg zur Nutzung überlassen wurde. Hier entsteht im Erdgeschoss das Triangel, in dem Innovationen an der „Schnittstelle zur Gesellschaft“ entwickelt und erlebbar gemacht werden sollen. Innovations- und Gründerteams sollen hier ihren Platz finden. Der Projektleiter des Triangel, Jens Fahrenberg, wünscht sich einen Raum über das KIT hinaus, der für innovationsrelevante Veranstaltungen und Ausstellungen auch für Karlsruher Wissenschaft und Kultur offen sein soll. Mit Partnern soll das Triangel eine „Atmosphäre von Kreativität, Innovation und etwas Querdenken und Mut“ am Kronenplatz schaffen. Der Betrieb wird nach Auskunft von Fahrenberg durch das KIT und mehrere Großspenden gedeckt.
Neben der Öffnung zum Campus wurde von der Stadtverwaltung erwogen, den Kronenplatz mit der Ansiedlung mehrerer Bibliotheken zu einem „Platz der Bücher“ zu entwickeln und einen „Kontext zwischen allgemeiner Bildung und Wissenschaft“ zu schaffen. Nachdem der Umzug der Kinder- und Jugendbibliothek an den Kronenplatz vom Tisch ist (s. Interview auf s. XX), bleibt noch die Stadtbibliothek, die nach dem Willen der Stadtverwaltung als „bildungsaffine Gemeinbedarfseinrichtung“ die nötige Frequentierung des Kronenplatz bringen soll. Für deren Umbau hat der Gemeinderat 2017 fast ein Drittel der zur Neugestaltung der Innenstadt Ost insgesamt vorgesehenen Investitionen von 92 Millionen Euro eingeplant. „Dass in die Untersuchungen zum Kronenplatz auch die Überlegungen zum Neubau der Stadtbibliothek eingebunden sind, freut mich. Ob – und wenn ja, in welchem Zeitrahmen – sich das realisieren lässt, vermag ich allerdings nicht zu sagen“, so Kulturbürgermeister Albert Käuflein auf Anfrage. Ihm sei aber wichtig, dass der tatsächliche Platzbedarf der Stadtbibliothek berücksichtigt werde, was beim Bau des Neuen Ständehauses leider nicht der Fall gewesen wäre.
Wie lange sich Entscheidungen über die nötigen Renovierungen ziehen können, zeigt das Beispiel Prinz-Max-Palais. Bereits 2016 beschloss der Gemeinderat eine Sanierung. Dach, Fassade, Fenster und Technik des stadteigenen, denkmalgeschützten Gebäudes müssen dringend erneuert werden. Die Kosten werden mit 14 Millionen Euro veranschlagt. Passiert ist nichts, beklagt der Leiter des Prinz-Max-Palais Hansgeorg Schmidt-Bergmann. Eine Sanierung stehe auf seiner „persönlichen Agenda ganz oben“, beteuert Käuflein. Er verweist aber auf „einige weitere kostenintensive Baustellen“ in der Stadt, die der für die Bereitstellung der Mittel zuständige Gemeinderat im Blick haben müsse. Persönlich wünsche er sich eine Fertigstellung bis zum 100-jährigen Jubiläum der Literarischen Gesellschaft im Jahr 2024. Ingo Wellenreuther fragte jüngst beim Kulturstaatsministerium nach Bundesmitteln zur Denkmalpflege zur Sanierung des Hauses, das Ergebnis steht seiner Auskunft nach noch aus.
Chance für „innerstädtische Kulturoase“?
In „Zukunft Innenstadt“ setzt die Stadt vor allem auf die Stärkung der Zukunftsfähigkeit der Kaiserstraße als Einzelhandelsstandort, der mit „attraktiven Akzenten“ und einer größeren Angebotsvielfalt weiterentwickelt werden soll. Die Erdgeschosse der City sollen weitgehend Handel und Dienstleistungen vorbehalten sein, während darüber die Ansiedlung von Büros und punktuell Wohneinheiten gewünscht wird. Es gelte aber den geschäftigen Charakter der Innenstadt zu bewahren. Weiter geht die Initiative die Anstoß e.V. Statt einer monofunktional für den Konsum genutzten Innenstadt wünschen sie sich ein breiteres, auch kulturelles Angebot. Hier gäbe es „definitiv noch Platz nach oben“, so Emma-Lilo Keller von die Anstoß e.V. Eine Fokussierung auf den Einkauf führe zum Beispiel bei kleineren Kultureinrichtungen zu unbezahlbaren Mieten und in der Folge zu leeren Innenstädten nach den Ladenöffnungszeiten. Damit einher ginge ein entsprechend geringes Sicherheitsgefühl, wie aktuell am Europa- und Kronenplatz. Zumindest in der östlichen Innenstadt prüft die Stadtverwaltung bis Jahresende dahingehend die Möglichkeit eines Mietzuschussmodells für gewerbliche Nutzer. Fischer nennt dabei auch eine Anmietung von Flächen durch die Stadt und Weitervermietung zu günstigeren Konditionen als eine Möglichkeit, die aber durch ihren Subventionscharakter europarechtlich schwierig sei.
Eines der wenigen neuen Kulturangebote in der Innenstadt wird im Frühjahr 2021 in der Kaiserpassage eröffnet. Jazzclub und Kinemathek schaffen aktuell in den Räumen der Kurbel ein gemeinsames Kulturzentrum, in dem die Kino-Atmosphäre und Leinwand erhalten werden soll. Nach jahrelanger Suche, während derer zahlreiche Objekte an fehlenden Fluchtwegen, Schallschutz oder der Lage scheiterten, wurde der Jazzclub in der Innenstadt fündig, in der „gemeinnützige Kultureinrichtungen sonst nur schwer Fuß fassen können“, so Niklas Braun, Vorsitzender des Jazzclubs. Für kommerzielle Vermieter seien diese freien Kulturträger häufig zu wenig lukrativ, erklärt er das bislang geringe kulturelle Leben im Stadtzentrum. Kulturbürgermeister Käuflein sieht in der Innenstadt dagegen ein „unglaublich dichtes und weit gefächertes Kulturangebot“. Theater, Kinos, Clubs und Museen nennt er ebenso wie die Schlosslichtspiele oder die Fasnacht.
Der Leerstand in der Innenstadt wird in der Kaiserpassage besonders deutlich. Käuflein erhofft sich von Jazzclub und Kinemathek eine neue Belebung, für die der Gemeinderat „umfangreiche Mittel“ bereitgestellt hätte. Eine einheitliche Entwicklung und Veränderung der Kaiserpassage hält der Citymanager Fischer aufgrund der Eigentumsstruktur für zumindest nicht vollständig machbar, obwohl er dort z.B. optimale Bedingungen für eine lange geforderte Markthalle sieht. Auch Braun sieht in der Passage und dem Hof großes Potential, das sich besonders in der Corona-Zeit ohne die im Hof parkende Autos gezeigt hätte. Die „Chance für einen Imagewandel von einer Durchgangsstraße zu einer innerstädtischen Kulturoase“ sei jetzt da. Dazu bräuchte es aber das Zusammenwirken aller. Dabei gehe es weniger um Geld, als um den Willen zur Veränderung.
Einzelne Maßnahmen und Leuchttürme reichen für eine Vitalisierung der Innenstadt nicht aus, betont Braun. „Die kulturelle Belebung der Innenstadt gelingt nicht allein durch die Ansiedlung von Vereinen. Kulturelles Leben entsteht auch durch ansässige Gastronomiebetriebe, Ladengeschäfte, die Gestaltung des öffentlichen Raumes. Es ist ein – durchaus komplexes – Zusammenspiel all dieser Faktoren. Entscheidend ist, dass sie sich gut ergänzen.“ Hennig warnt im Zuge der Sanierungsmaßnahmen auch vor „einer Gefahr der Verdrängung der alteingesessenen Bewohnerschaft und einer Gentrifizierung“. Im Prozess müssten daher alle Beteiligten einbezogen werden und in einer „koproduzierten Aufwertung“ alle die Möglichkeit einer Verbesserung der eigenen Situation erhalten.
Die Strukturveränderungen der Innenstadt fordert nicht zuletzt auch die Immobilieneigentümer. Die hohen Mieten der Handelsunternehmen werden für sie langfristig nicht zu halten sein, konstatiert der Stadtforscher Thomas Krüger. Ein Leerstand in der Hoffnung auf die vorherigen Erträge berge das Risiko einer längerfristigen Abwärtsspirale, der weitere leere Flächen folgen könnten. Es brauche daher neue Konzepte und Modelle – und vor allem wohl auch Mut zur Veränderung aller Beteiligter, um die Gesellschaft nach der Fertigstellung der Kombilösung in der Innenstadt zusammenzubringen.