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KSC: Neuanfang mit Teamplayern

„Ich will den Klub wieder auf eine solide Basis bringen. Dafür soll mittel- und langfristig auch die Umwandlung in eine andere Gesellschaftsform erfolgen“, erklärte der frühere Oberbürgermeister Gerhard Seiler 2002 nach seinem Amtsantritt als „Notpräsident“ des KSC, der kurz zuvor zum ersten Mal vor einer Insolvenz stand. Dass es bis zu einer neuen Rechtsform für die Profiabteilung 17 Jahre dauerte, hätte wohl auch der passionierte Marathonläufer nicht gedacht. Doch schon kurz nach dieser Ausgliederung folgte die nächste Existenzprobe, der eine jahrelange Finanzierung auf Pump, in der Hoffnung auf eine sich immer weiter entfernende Besserung und eine zunehmende Entfremdung des Umfelds mit dem Verein vorausging.

Mit der Corona-Krise brachen die strukturellen Abhängigkeiten und kurzfristigen Planungshorizonte im Profifußball augenfällig zu Tage. Gegen gesellschaftliche Mehrheiten und Widerstände setzten die Fußballunternehmen eine Fortführung der Saison durch, um das System noch einmal am Laufen zu halten. Sportlich profitierte der Karlsruher Sport-Club mit Fortune und Kampfgeist auf der letzten Runde von der Corona-Pause. Doch hinter den Kulissen der Gremien trat durch die Beschleunigung der Einnahmeausfälle ein offener Machtkampf hervor, der an der Frage einer Insolvenz der Profiabteilung auf offener Bühne geführt wurde. In letzter Minute retteten sechs Millionen Euro des Bündnis KSC den Verein. Unternehmer aus dem Umfeld des KSC schlossen sich zusammen, um einen „dringend notwendigen Veränderungsprozess einzuleiten“. Der Oberbürgermeister und einstige Kontrahent in gerichtlichen Klagen des KSC, Frank Mentrup, begrüßte den Einstieg der „KSC-begeisterten Mittelständler“, zu denen auch die GEM als Teil des milliardenschweren Immobilenkonzerns CG gehört, die Top- und künftiger Trikotsponsor der Profiabteilung ist. Der raue Gegenwind des Bündnisses richtete sich besonders auf Präsident Ingo Wellenreuther, dem nach zehn Jahren an der Vereinsspitze die Luft ausging und der Mitte Mai zurücktrat.

Marathonlauf – mehr als Ausdauer und Talent

Das Starterfeld für seine Nachfolge ist so breit aufgestellt wie wohl noch nie in der Vereinsgeschichte. Gleich fünf KandidatInnen, bewerben sich für das höchste Amt. Alle werben für einen Neuanfang. Die größte Überraschung ist die Kandidatur von Dorotheé Springmann, die gleichfalls die erste Frau an der Vereinsspitze im bezahlten Profifußball wäre. Sie will nicht nur „weibliche Akzente“ in den Verein einbringen, sondern als langjähriger Fan vor allem das Stadionerlebnis attraktiver machen. Axel Kahn, Netzwerker und Autor des Buchs „Das Kahn-Gen“ wirbt für „eine neue DNA", die den Verein wirtschaftlich und sportlich in kleinen, realisierbaren Schritten voranbringen soll. Ein „KSC zum Anfassen“ ist das Ziel des Unternehmensberaters und KSC-Sponsors Kai Gruber, der im Amt „nicht verwalten, sondern machen“ wolle. Bereits sieben Jahre als Manager im Verein aktiv war Rolf Dohmen, der seine Erfahrung in das für ihn neue Ehrenamt einbringen und über die Nachwuchsarbeit den KSC in die 1. Liga zurückführen will. Auch für den amtierenden Vizepräsidenten Holger Siegmund-Schultze wäre es nur ein begrenzter Neubeginn, hat er doch fast vier Jahre lang „Entscheidungen mitgetragen, auch wenn ich teilweise nicht einverstanden war“. Für ihn gilt es, den bereits eingeleiteten Veränderungsprozess konsequent umzusetzen und den Verein wieder „in die Mitte der Gesellschaft“ zu führen.

Der Prozess einer Veränderung weist viele Parallelen mit einem Marathonlauf auf. Einerseits ist Ausdauer und langer Atem nötig. Doch um über die lange Distanz vorne dabei zu sein, braucht es auch gemeinsame Führungsarbeit und den Windschatten anderer. Entsprechend präsentieren sich alle Kandidaten ausdrücklich als „Teamplayer“ und versuchen sich damit wohl von der bisherigen Führung abzusetzen, die den KSC mehrfach in öffentliche Auseinandersetzungen und Gerichtsprozesse gegen Partner führte. Offene Gespräche, klare Ziele und harte Arbeit verspricht Kahn, um die „negative Außendarstellung und Grabenkämpfe“ der Vergangenheit hinter sich zu lassen. Auch Gruber will den Dialog mit dem gesamten Umfeld suchen und „zuhören“, um die entstandene Distanz zu allen Abteilungen und Gruppierungen mit Wertschätzung zu überwinden. Siegmund-Schultz will die „unterschiedlichen Ziele innerhalb des Vereins koordinieren und gemeinsame Zielvorstellungen formulieren“. Auch Dohmen betont den Dialog zur Rückgewinnung von Vertrauen bei Fans, Stadt und Region und sieht Parallelen zum Erfolgsprinzip auf dem Fußballplatz als Team. „Gemeinsam sind wir stark“ bemüht auch Springmann einen Leitsatz der Teamentwicklung, den sie mit Transparenz und als Moderatorin für den „Verein, den wir alle lieben“ nutzen will.

Die für einen erfolgreichen Marathon so wichtige Verpflegung auf der Strecke lief beim KSC die vergangenen Jahre nach dem Motto „zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel“. Die Lücken im Etat wurden immer wieder von Günther Pilarsky mit Besserungsscheinen gedeckt. Für die lange Strecke ist das aber auf Dauer zu wenig. Entsprechend stellen die Kandidaten die finanzielle Konsolidierung mit unterschiedlichen Akzenten in den Vordergrund. Um unabhängiger vom sportlichen Erfolg zu werden, will Siegmund-Schultz das Geschäftsmodell verändern, was für ihn heißt: Eigenkapital nicht länger zur Deckung der laufenden Kosten, sondern mit „kühlem Verstand“ überwiegend für sich amortisierende Investitionen einzusetzen. Gruber will vor allem die „Einnahmenseite optimieren“ und durch persönliche Ansprache als Präsident neue Gönner und Sponsoren über die Region hinaus gewinnen: „Regionale Gönner aus Leidenschaft“ und nur wegen des Geschäfts engagierte überregionale Sponsoren. Über die von allen Kandidierenden genannten Aktienverkäufe und Stadionvermarktung zur finanziellen Konsolidierung hinaus, setzt sich Kahn die Entwicklung der Marke KSC zum Ziel, die neue Chancen im Merchandising-Bereich eröffnen soll. Dazu sei es im Fußballgeschäft unabdingbar, dass sich der „sportliche Bereich zu einer Konstante“ entwickle. Neben der weiteren Gewinnung von Eigenkapital sieht Dohmen in der Modernisierung und besseren Durchlässigkeit des Nachwuchsabteilung die Chance auf die Wiedererlangung wirtschaftlichen Spielraums durch Transfererlöse. Den Nachwuchs will auch Springmann fördern und zum sportlichen Erfolg nutzen, der mehr Zuschauer, Mitglieder und Sponsoren und damit mehr Einnahmen anlocken soll.

Neben harter Arbeit braucht es beim Marathonlauf ein gewisses Talent, um vorne mit dabei zu sein. Für die Auswahl und Entwicklung der Profimannschaft beim KSC ist seit der Ausgliederung allein die Geschäftsführung Sport verantwortlich, die vom fünfköpfigen Beirat unter dem Vorsitz des Vereinspräsidenten ernannt wird. Nichtsdestotrotz wollen viele der Kandidaten auch im sportlichen Bereich Veränderungen erreichen: Fehler korrigieren und mehr Fleiß einziehen lassen. So will Gruber die Lücke einer fehlenden zweiten Mannschaft „schnellstens schließen“ und erwartet nach der Wahl von Oliver Kreuzer klare Konzepte und Planungen für die zweite Liga und eine Aufarbeitung der bisherigen Transferpolitik. Zudem wolle er den Sportverantwortlichen ein Organ aus sportlichen Beratern zur Kontrolle und Unterstützung zur Seite stellen. Auch Siegmund-Schultz gesteht ein, dass ihm professioneller sportlicher Sachverstand fehle und will Kompetenz aus dem Umfeld einbinden, die den Beirat in sportlichen Fragen beraten sollen. Das sei sowohl in bestehenden als auch in neuen Gremien denkbar. Dohmen möchte auch die U23 reaktivieren und „innovative Lösungen“ zum Beispiel im Scouting installieren, bei denen er die Vorteile der Technologieregion nutzen und das KIT als Kooperationspartner zur Entwicklung besserer Bewertungsmethoden von Spielern nennt. Im Scouting und Nachwuchsbereich will auch Springmann ansetzen, sieht den KSC aber „aktuell auf einem guten, sportlichen Weg“. Die sportliche Führung habe in der Vergangenheit nicht immer die richtigen Entscheidungen getroffen und „glücklos“ agiert, resümiert dagegen Kahn. Er wolle helfen, im Jugend- und Profibereich eine Philosophie zu etablieren, die die Bereitschaft der Spieler stärkt, noch „konstanter und professioneller“ zu arbeiten. Dazu sei auch eine stärkere Analyse passender Charaktere nötig.

Außer Kahn, der seine Wahlunterlagen eingereicht habe, um Präsident des KSC zu werden, wären alle Kandidaten auch bereit, für das Amt des Vizepräsidenten zu kandidieren. Nicht bereit dafür steht Martin Müller, der im vergangenen Jahr Wellenreuther im Kampf um das Präsidentenamt knapp unterlegen war. Er stehe dem Verein als Investor gerne beratend zur Seite, aber „ohne in das operative Geschäft einzugreifen“, sagte er auf Anfrage. Andere Vertreter des Bündnis KSC wollten sich wie auch Ingo Wellenreuther öffentlich nicht äußern.

Die Entscheidung, wer an vorderster Front loslaufen darf, fällt bei einer Online-Mitgliederversammlung am 30. Juli. Doch der Erfolg jedes Veränderungsprozesses hängt davon ab, wie es gelingt, alle mitzunehmen. Bei einem großen Marathonlauf können nicht alle gleichzeitig loslaufen, die schnellsten beginnen und erst später steigen die langsameren ins Rennen ein: Die Letzten laufen also erst los, wenn die ersten bereits fast am Ziel sind. Diese mitzunehmen, neue Grabenkämpfe zu vermeiden und den Wandel langfristig gestalten, dürfte die aufwändige, hügelige, aber unvermeidliche Wegstrecke der neuen Vereinsspitze sein. Nach dem Saisonabschluss ist der KSC zur Zwischenzeitnahme noch nicht ganz abgehängt, aber zur vorderen Gruppe ist der Rückstand schon ganz schön groß. Doch vielleicht bietet sich ausgerechnet aus der verordneten Corona-Zwangspause die Chance, persönliche Interessen und Eitelkeiten im Verein hinter sich zu lassen und nachhaltige, krisenfeste Strukturen aufzubauen statt der „höher, schneller, weiter“-Spirale des Profifußballs mit einigem Abstand zu folgen. Das wäre eine echte Ausnahmeerscheinung des Fußballgeschäfts, doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Das beweisen die Blau-Weißen (manchmal) auf dem Rasen.


Erschienen in Super INKA 2/2020

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