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Orbáns Absage an den Westen

Wegen der Corona-Pandemie musste Viktor Orbán in diesem Jahr auf die große Bühne verzichten. Statt während der alljährlichen Sommeruniversität in Băile Tușnad (Tusnádfürdö), im rumänischen Siebenbürgen, veröffentlichte Ungarns rechtsnationaler Premierminister sein politisches Grundsatzprogramm am Montag in der regierungsnahen Tageszeitung Magyar Nemzet. In seinem Essay erteilte er dem liberalen Westen eine klare Absage: "Der Westen hat aus der Sicht Zentraleuropas seine Attraktivität verloren", so Orbán. Die Lebensmodelle des liberalen, weltoffenen Westens und des christlich-konservativen Ostens seien unvereinbar miteinander. Politische Annäherungen beider Lager, wie es sie beispielsweise in Österreich und Deutschland zwischen Christdemokraten und Grünen gebe, bezeichnete der ungarische Premierminister als "Perversion".

Die unterschiedlichen Weltanschauungen würden die Europäische Union zunehmend auch wirtschaftspolitisch spalten, erklärte Orbán. Ungarn wolle sich, zusammen mit seinen Verbündeten in der Region, auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU konzentrieren. Die Mehrheit in Brüssel behindere diesen Kurs aber, weil sie unter anderem Klimaziele "bis zur Absurdität" verfolge und eine multikulturelle Gesellschaft anstrebe.

Auch die Bildungspolitik des Westens hält der ungarische Premierminister für unvereinbar mit der christlich-konservativer Staaten: "Das Ziel unserer Bildung ist, dass aus unseren Kindern Patrioten werden können, die unsere bewährten Traditionen weitergeben." Schulen sollten außerdem jene sexuelle Identität von Kindern bestätigen, die "der Schöpfer ihnen bei der Geburt verliehen hat" und Minderjährige vor "Genderideologie" und "Regenbogenpropaganda" schützen.

Orbán verschärft den Ton - und verbreitet Verschwörungstheorien

Seit Jahren propagieren Orbán und seine Fidesz-Partei, europäische Konservative hätten das Ideal eines christlichen Europas verraten. Zur Begründung zieht Orbán immer wieder dieselben Verschwörungstheorien heran. Auch in seinem aktuellen Essay behauptet er, die europäischen Institutionen dienten "George Soros und seinen Leuten", nicht den Bürgern Europas. Der US-Milliardär arbeite gemeinsam mit einer "Brüsseler Elite", "internationalen Medien" und "als zivilgesellschaftliche Organisationen getarnten NGOs" an der Zerstörung der Nationalstaaten und christlich-konservativer Regierungen. Auch die in rechtsextremen Kreisen beliebte Theorie des "Bevölkerungsaustauschs" greift Orbán einmal mehr auf: Eine "globale Elite" wolle "offene Gesellschaften mit gemischter Ethnizität durch die Beschleunigung von Migration" erreichen.

In den vergangenen Wochen hat Viktor Orbán den Ton gegenüber seinen Gegnern verschärft. Das könnte auch daran liegen, dass die Corona-Infektionszahlen in Ungarn zuletzt dramatisch angestiegen sind. "Orbán hat große Angst, aufgrund der Covid-Pandemie und der wirtschaftlichen Krise an Popularität zu verlieren", erklärt Politikwissenschaftler Péter Kréko vom Budapester Think Tank Political Capital im Gespräch mit der DW. Auch deshalb habe er in den vergangenen Monaten die Pressefreiheit weiter eingeschränkt, sich Sondervollmachten gesichert und die Finanzmittel der Opposition gekürzt, so Kréko.

Zudem haben verschiedene Fraktionen im EU-Parlament angekündigt, das neue EU-Budget inklusive Milliardenhilfen nur zu beschließen, wenn es an die Einhaltung rechtsstaatlicher Kriterien geknüpft werde. Orbán bezeichnet das in seinem Essay als "Erpressung" und kündigte an, in diesem Fall dem Haushalt nicht zuzustimmen. Politikwissenschaftler Kréko hält ein Veto Orbáns allerdings für unwahrscheinlich. Orbán sei auf schnelle finanzielle Hilfe der EU angewiesen, so Kréko. Zudem habe sich der ungarische Premierminister auf EU-Ebene entgegen seiner Drohungen meist kooperativ gezeigt.

Dennoch ist Ungarns Verhältnis zur EU langfristig beschädigt: Seit 2019 ist die Mitgliedschaft Orbáns Fidesz-Partei in der Europäischen Volkspartei suspendiert. Ein möglicher Ausschluss stand mehrfach auf der Tagesordnung, wurde aber zuletzt Anfang September aufgrund der Corona-Pandemie erneut aufgeschoben.

Unterstützung für Wiederwahl Trumps

Verbündete sucht Viktor Orbán deshalb jenseits des Atlantiks. In seinem Essay erklärt er als erster EU-Regierungschef seine Unterstützung für die Wiederwahl von US-Präsident Trump im November. Den "moralischen Imperialismus" der US-Demokraten lehne Ungarn hingegen ab. Trotz Orbáns Annäherung an Russland und China scheinen die Beziehungen zwischen Washington und Budapest auf einem Allzeithoch. So lud die Trump-Administration Ungarns Péter Szijjártó als einzigen EU-Außenminister zur Unterzeichnung des Annäherungsvertrags zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain ins Weiße Haus ein. Im Anschluss an die Zeremonie am vergangenen Dienstag schlug Szijjártó Trump sogar für den Friedensnobelpreis vor.

Orbán und Trump ähnelten sich nicht nur rhetorisch und politisch, sagt Péter Kréko, sie bräuchten sich auch gegenseitig. "Innerhalb der EU gibt es nicht viele, die Trumps Politik offen unterstützen, Orbán tut das", so Kréko. Das gelte auch andersherum. Langfristig könnte Orbáns Annäherung an Russland und China die Beziehung zu Trump allerdings zu stark belasten, sagt Kréko. Mit Blick auf die ungarische Außenpolitik spricht der Politikwissenschaftler von einem "gefährlichen und fragilen Gleichgewicht". Orbáns Kampfansage an den Westen könnte also nach hinten losgehen - selbst wenn Donald Trump die Wahl im November gewinnen sollte.

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