Felix Sassmannshausen

Freier Journalist und Politikwissenschaftler

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At the fringes of the Rule of Law

Das EU-Parlament hat Ende April den Weg für ein neues Migrations- und Asylpaket der EU frei gemacht. Ziel ist es, bis 2024 einheitliche und schnellere Verfahren an den EU-Außengrenzen zu etablieren. Kritiker:innen befürchten eine Entrechtung von Geflüchteten. Die Bundesregierung hat ihre Unterstützung für das Paket signalisiert.

Mit einer klaren Mehrheit hat das EU-Parlament am 20. April 2023 den Paketentwurf mit Verordnungen für eine schärfere EU-Migrations- und Asylpolitik beschlossen. Damit ebneten die Abgeordneten den Weg für Beratungen zwischen EU-Rat, Parlament und Kommission, bevor es voraussichtlich bis 2024 ratifiziert werden und in Kraft treten kann. Im Kern zielt das Paket darauf ab, „irreguläre Migration“ nach Europa einzudämmen, wie es im Entwurf heißt. „Der Fokus muss stärker in die Richtung gehen, dass Menschen Asyl beantragen, die am Ende anerkannt werden“, heißt es aus der SPD-Bundestagsfraktion.

Hierzu sollen mithilfe der europäischen Grenzschutzagentur Frontex Screening- und Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen etabliert werden. In diesen Verfahren sollen Geflüchtete auf der Grundlage der juristischen „Fiktion der Nichteinreise“ rechtlich so behandelt werden, als befänden sie sich nicht auf EU-Boden. Das soll verhindern, dass Geflüchtete in Form der sogenannten Sekundärmigration nach Deutschland kommen, wie es in einem internen Papier des Innenministeriums zum EU-Vorhaben heißt.

Im Verlauf sogenannter Grenzverfahren wird dann geprüft, ob sie aus „sicheren Herkunftsstaaten“ geflohen sind. In dem Fall würden sie gar nicht erst einen Asylantrag stellen können. Wenn in den Verfahren zudem nachgewiesen wird, dass die Geflüchteten ein „Verbindungselement“ zu einem „sicheren Drittstaat“ hätten, wäre ihnen ein Asylantrag ebenfalls verwehrt, wie aus dem vertraulichen Papier des Innenministeriums hervorgeht. Was eine solche Verbindung genau beinhaltet, ist nicht näher definiert. Kritiker:innen sehen hierin ein Einfallstor für willkürliche Entscheidungen.

Auch sind die „sicheren Drittstaaten“ in dem neuen EU-Paket nicht klar definiert. Aus SPD-Kreisen ist zu hören, dass es der Regierungspartei reicht, wenn ein Land die Genfer Flüchtlingskonvention einhält, auch wenn das Land die Konvention nicht ratifiziert hat. Zur Debatte steht dem internen Papier der Bundesregierung zufolge auch, dass es reicht, wenn „in einem nicht unerheblichen weitgehend autonomen Teilgebiet“ eines Landes die Genfer Flüchtlingskonvention eingehalten wird, um als sicher eingestuft zu werden.

„Im Kern findet mit dem Asyl- und Migrationspaket der EU eine weitere Externalisierung der Asylverfahren, eine Entwürdigung und Entrechtung von Geflüchteten statt“, kritisiert Karl Kopp von Pro Asyl. Er ist Leiter der Europaabteilung der Menschenrechtsorganisation und beschäftigt sich seit 1999 mit der europäischen Flüchtlingspolitik. Um Drittstaaten zu bewegen, die Abschiebung von abgelehnten Asylsuchenden zu akzeptieren, braucht es Vereinbarungen wie den Türkei-Deal mit diesen Staaten, erklärt er. Auch das sieht das neue EU Asyl- und Migrationspaket vor.

Gegen die Ablehnung ihres Asylantrags und die damit verbundene Abschiebung können Geflüchtete nach Willen der EU-Gesetzgeber:innen zwar Widerspruch einlegen. Aber dieser Widerspruch hat dem jetzigen Entwurf zufolge keine aufschiebende Wirkung. „Es kann also mit Blick auf den aktuellen Vorschlag passieren, dass jemand abgeschoben wird, obwohl das Verfahren formal noch nicht abgeschlossen ist“, heißt es aus der SPD-Bundestagsfraktion. „Wir arbeiten im Hintergrund darauf hin, das zu verhindern.“

Dass indes noch nennenswerte Verbesserungen erreicht werden können, hält Kopp von Pro Asyl für unwahrscheinlich. „Der Rat wird den Kompromiss noch verschlechtern. Dort ist Abschottung seit vielen Jahren Konsens“, sagt er. Er fordert dagegen „einen robusten und unabhängigen Überwachungsmechanismus, der nicht nur Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, sondern auch die Möglichkeit hat, sie zu ahnden.“ Doch das sieht das Vorhaben der EU nicht vor.

„Die aktuellen Pläne der EU für eine Reform des europäischen Asylsystems sind nicht mit Menschenrechten in Einklang zu bringen“, kritisiert Clara Bünger. Sie ist Mitglied des EU-Rechtsausschusses im Bundestag und arbeitet schwerpunktmäßig zu den Themen Asyl- und Migrationsrecht. „Wenn die Bundesregierung noch einen Funken Anstand hat, muss sie sich insbesondere der Asylverfahrensverordnung auf EU-Ebene klar entgegenstellen“, fordert die Linken-Politikerin.

Doch danach sieht es nicht aus. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat am 11. Mai, nach dem Flüchtlingsgipfel von Bund und Ländern, ihre Unterstützung für das EU-Migrations- und Asylpaket bekräftigt. Am 8. und 9. Juni treffen sich die EU-Justiz- und Innenminister:innen in Luxemburg, um über das neue Asyl- und Migrationspaket zu beraten. Es soll noch vor der nächsten Parlamentswahl im Jahr 2024 beschlossen werden.