Heute vor 75 Jahren - am 27. Januar 1945 - befreiten sowjetische Truppen die Häftlinge des deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau im von Nazi-Deutschland besetzten Polen. Allein in Auschwitz wurden mehr als eine Million Menschen von den Nationalsozialisten ermordet. Die meisten von ihnen waren Juden. Unter den Inhaftierten befanden sich zudem viele Polen und Russen.
Insgesamt kostete der Holocaust rund sechs Millionen Juden das Leben. Zuvor ertrugen sie unmenschliches Leid. Sie wurden von den Deutschen erschossen, in Gaskammern ermordet oder starben an den Folgen von Hunger, Krankheit und Erschöpfung.Anlässlich des Jahrestags wird am Montag an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert - auch, um ein Zeichen gegen den Antisemitismus zu setzen, der in der letzten Zeit deutlich zunimmt.
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In Auschwitz werden Gäste aus aller Welt erwartet. Unter ihnen werden Holocaust-Überlebende sowie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Israels Präsident Reuven Rivlin sein. Auch in Städten wie Berlin oder Paris finden Gedenkveranstaltungen statt.
► BILD berichtet live. „Der Versuch, etwas unter den Teppich zu kehren" Angesichts der sich auch heute wieder häufenden Fälle von Hass und Gewalt gegen Juden - auch in Deutschland - fragte BILD in seiner Sondersendung nach: Wie stark ist der Antisemitismus heute wieder?
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Wenzel Michalski ist Deutschland-Chef von Human Rights Watch. Sein Sohn musste in Berlin die Schule wechseln, nachdem er im vergangenen an der Schule gemobbt wurde.
„Ich kann nur sagen, dass es sehr schmerzhaft war", sagt Michalski. „Es ist beschämend, dass so was passiert".
Und weiter: „Dass es antisemitische Angriffe gibt, ist leider nicht mehr unnormal", sagte Michalski. Worauf es aber ankomme, ist letztlich wie die verantwortlichen Behörden oder, wie in seinem Fall, die Schulleitung darauf reagiert.Im Fall seines Sohns wurde von der Schulleitung und der Behörden falsch reagiert: „Die wollten es unter den Teppich kehren". Man habe anfangs sogar „versucht, dem Opfer des Mobbings die Schuld zu geben". Und am Ende musste das Opfer die Schule wechseln, nicht die Täter. „Es gab eine Täter-Opfer-Umkehr".
Ob er deshalb Juden raten würde, aus Deutschland auszuwandern? Michalski stellt klar: Auch in Großbritannien und den USA häuften gewalttätige, teils tödliche Angriffe auf Juden. „Das ist der Anfang einer Entwicklung, die nicht gut ausgeht."
Kritik an Philipp Amthors Äußerung zum JudenhassLevi Salomon vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA) wurde auf ein Zitat von CDU-Politiker Philipp Amthor angesprochen. Der hatte am Montag dem Fernsehsender ntv gesagt: „Klar ist auch, das darf man nicht vergessen, dass Antisemitismus natürlich vor allem in muslimisch geprägten Kulturkreisen besonders stark vertreten ist." Salomon dazu: „Ohne Zweifel gibt es muslimischen Antisemitismus. Die Flüchtlinge sind nicht so sozialisiert wie Leute in demokratischen Ländern." Allerdings sei Antisemitismus „tief in der Gesellschaft verankert", nicht nur ein importiertes Problem.
Michalski reagierte empört auf das Amthor-Zitat: „An so einem Tag, an dem wir der Vernichtung gedenken durch Nationalisten von Juden, Roma und Sinti, Polen und Russen und vielen anderen, ist das wieder ein Versuch, von der Schuld der Deutschen abzulenken."Auf den Anschlag in Halle angesprochen sagte Michalski: „Es ist gefühlt jetzt immer da." Aber wenigstens habe es einen „Ruck" in die deutsche Gesellschaft getragen, das Bewusstsein für das Problem sei jetzt da.
Vor 75 Jahren wurde das KZ Auschwitz befreit. BILD fragte den Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, was dieser Tag bedeutet.
Die Holocaust-Überlebende Sheindi Miller-Ehrenwald (90) richtete bei ihrem Besuch in der BILD-Redaktion bewegende Worte an die Welt.
Lauder: „Dieser Antizionismus ist nichts anderes als Antisemitismus"Der Präsident, Jüdischer Weltkongresses, Ronald S. Lauder, rief bei seiner Rede während der Veranstaltung zu einem tatkräftigen Einsatz gegen Antisemitismus auf: „Wir können die Geschichte nicht umschreiben, aber uns heute machtvoller einbringen. (...) Alle politischen Führer müssen heute diesen Kampf führen."
Und er stellt klar: „Israel wurde immer und immer wieder mit den gleichen Lügen angeprangert, die wir schon seit Jahrhunderten über Juden hören." (...) 163 von 202 Resolutionen der UN-Generalversammlung innerhalb der letzten sieben Jahre seien gegen Israel gewesen. „Es ist sonnenklar, dass dieser Antizionismus nichts anderes ist, als Antisemitismus."Die 96-jährige Überlebende Jeanette Spiegel war 20 Jahre alt, als sie nach Auschwitz gebracht wurde, wo sie neun Monate verbrachte. Heute lebt sie in New York und fürchtet die zunehmende antisemitische Gewalt in den USA. „Ich denke, sie ziehen die Juden an, weil wir eine so kleine Minderheit sind und es einfach ist, uns anzusprechen", sagte sie, während sie gegen die Tränen kämpfte.
„Junge Leute sollten verstehen, dass nichts sicher ist, dass einige schreckliche Dinge passieren können und sie müssen sehr vorsichtig sein. Und das, Gott bewahre, was dann mit dem jüdischen Volk geschah, sollte niemals wiederholt werden. ''„Wir möchten, dass die nächste Generation weiß, was wir durchgemacht haben, und es sollte nie wieder passieren", sagte der 91-jährige Überlebende David Marks. Er verlor 35 Verwandte, nachdem sie alle aus ihrem rumänischen Dorf nach Auschwitz gekommen waren. „Ein Diktator kommt nicht von einem Tag zum anderen", sagte Marks und sagte, dass dies in „Mikroschritten" geschieht. „Wenn wir es nicht sehen, wachst du eines Tages auf und es ist zu spät", fügte er hinzu.
Der israelische Präsident Reuven Rivlin erinnerte bei einer Pressekonferenz mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda an die starke Verbindung, die Israel mit Polen teilt. „Die ruhmreiche Geschichte der Juden in Polen, die Blüte welche die jüdische Gemeinde im Laufe der Geschichte genossen hat, und die schwierigen Ereignisse, die sich auf dieser Erde ereignet haben, verbinden das jüdische Volk und den Staat Israel untrennbar mit Polen und dem polnischen Volk", erklärte Rivlin.
Der Präsident, Jüdischer Weltkongresses, Ronald S. Lauder, sagte in der BILD-LIVE-Sendung: „Schon zu Hitlers Zeiten gab es Zeitungen wie ,Der Stürmer'. Heutzutage ist es das Internet, das die Menschen mit Hass füttert. (...) Junge Menschen sind in dieser Hinsicht dann sehr empfänglich für solche Botschaften."
Wenzel Michalski von der Non-Profit-Organisation „Human Rights Watch" stellte in der BILD-Live-Sendung fest: „Das es antisemitische Übergriffe gibt ist nicht unnormal. "
Es komme darauf an, wie Schulen und Behörden damit umgehen: „Bei dem Fall bei seinem Sohn, wurde es ,unter den Teppich gekehrt.'"
Im Namen der Republik Polen erneuere er die Verpflichtung, die Erinnerung zu pflegen und die Wahrheit darüber zu schützen, was in Auschwitz passiert sei, sagte Duda am Montag beim Gedenken in Auschwitz. Er forderte die Gäste dazu auf, vor den letzten Überlebenden und Augenzeugen die gemeinsame Verpflichtung einzugehen, „die Botschaft und die Warnung für die Menschheit, die von diesem Ort ausgehen, in die Zukunft zu tragen."
BILD überträgt die offizielle Gedenkveranstaltung zur Auschwitz-Befreiung in Echtzeit.
Zwischen 1941 und 1943 war ein Teil der Stadt von Nazideutschland abgeriegelt gewesen. Im „Ghetto Minsk" wurden damals die jüdischen Einwohner der Stadt und deportierte Juden aus Deutschland gefangen gehalten. Am 21. Oktober 1943 wurden die meisten Gefangenen ermordet.
Die im Boden verlegten kleinen Gedenktafeln erinnern an Menschen, die während des Nationalsozialismus deportiert, verfolgt und ermordet wurden.
Gerade am Gedenktag der Befreiung von Auschwitz sei es wichtig zu zeigen, dass die Opfer nicht in Vergessenheit geraten, erklärte Giffey.
Bei seinem Besuch im früheren NS-Konzentrationslager Auschwitz hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dazu aufgefordert, die Geschichte als Mahnung für die Gegenwart zu verstehen.
„Wer den Weg in die Barbarei von Auschwitz kennt, der muss den Anfängen wehren", schrieb Steinmeier am Montag ins Gästebuch der Gedenkstätte. „Das ist Teil der Verantwortung, die keinen Schlussstrich kennt." Auschwitz sei „die Summe von völkischem Denken, Rassenhass und nationaler Raserei", sagte der Bundespräsident.
„Wir alle tragen Verantwortung. Und zu dieser Verantwortung gehört auch das Gedenken", zitierte sie am Montag über ihren Instagram-Account die Worte, die sie bei ihrem Besuch im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau am 6. Dezember geäußert hatte: „Wir dürfen niemals vergessen. Einen Schlussstrich kann es nicht geben - und auch keine Relativierung." Merkel fügte hinzu: „Ob am heutigen Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust oder an jedem anderen Tag: Wir werden sie nie vergessen." Das über Instagram verbreitete Foto zeigt die Kanzlerin bei ihrem Gang durch die Gedenkstätte.
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Zahlreiche Menschen haben sich in Berlin am Mahnmal für die von den Nazis ermordeten Sinti und Roma nahe des Brandenburger Tors zusammengefunden.
„Wir dürfen nicht zulassen, dass Minderheiten diskriminiert werden. Wir müssen uns mutig dagegen stellen, wo immer wir das beobachten", erklärte die evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz auf Twitter.
Die frühere Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, hat erklärt, der Antisemitismus heute komme aus drei Richtungen:
„Die AfD ist eine Ursache des neuen Judenhasses, zusammen mit Linksextremisten und Islamisten", sagte sie der „Passauer Neuen Presse" (Montag).„Ich meine, unser Land täte gut daran, das Gedenken an diesem 27. Januar zu verstärken durch eine zweiminütige Gedenkunterbrechung, in der alles ruhen soll", sagte er.
Es sei kein Tag vergangen, an dem er nicht missachtet worden sei, sagte der Buchenwald-Überlebende und Widerstandskämpfer Günter Pappenheim, als er am Montag im Parlament von seinen Erfahrungen aus der Schulzeit im Nationalsozialismus erzählte.
„Ich wurde ausgegrenzt - und das acht Jahre lang", sagte Pappenheim, der in Schmalkalden aufwuchs und dessen Familie jüdische Wurzeln hat. Später, im Konzentrationslager Buchenwald, habe er mit den anderen Häftlingen täglich darauf gewartet, befreit zu werden. Als dieser Tag kam, habe man sich in den Armen gelegen. „Dieser Tag ist für mich unvergesslich", sagte der heute 94-Jährige.