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Wenn weniger wirklich mehr ist

Für Stephan Thuge gibt es seit Mittwoch nichts mehr zu essen. Der Theologe und Kirchenrechtler des Bistums Dresden-Meißen fastet - völlig freiwillig. Dabei verzichtet der 51-Jährige ganz bewusst auf feste Nahrung, anfangs erlaubt er sich noch einen halben Apfel am Tag, ansonsten gibt es nur nicht-alkoholische Getränke.


Der Aschermittwoch, in diesem Jahr der 10. Februar, ist nicht nur für Karnevalisten und Gläubige ein bedeutendes Datum. Er markiert traditionell den Beginn des Fastens, eine Zeit der freiwilligen und selbstbestimmten Abstinenz. Obwohl kein offizieller bundesweiter Feiertag und auch für Gläubige nicht verpflichtend, ist das Fasten derzeit groß in Mode. Egal ob klassisches Weglassen von Alkohol, Süßigkeiten oder Fleisch, Verzichten ist angesagt.

Doch lassen sich alt-eingewöhnte Laster ganz einfach über Nacht ablegen? 


Thuge, ehemaliger Referent des im Sommer 2015 von Dresden nach Berlin versetzten Bischofs Heiner Koch, fastet seit mehr als 30 Jahren. Seine Erfahrung: „Man bekommt den Kopf frei, wird ruhiger und ausgeglichener". Auch das anfangs starke Hungergefühl lege sich nach einigen Tagen von selbst. „Fasten hat eine sehr entspannende Wirkung", sagt er. „Die ersten Tage sind dabei immer am schwierigsten, auch für Erfahrene", so der Possendorfer, der eigentlich aus Zwickau stammt. Sich bis zur gefährlichen Erschöpfung selbst herauszufordern, davon rät er allerdings ab. „Nichts muss!" solle das Motto für alle sein, die sich erst langsam an das Thema heranwagen.


Denn immer mehr Menschen probieren das Weglassen von Alltäglichem aus, ob Smartphone, Auto oder Zigarette, der Effekt bleibt gleich. „Man wird sich der Zwänge des Alltags schlagartig bewusst und kann für sich selbst entscheiden, ob man dauerhaft etwas verändern möchte", so Thuge. Sogar Zeit-Fasten sei möglich, dabei streiche man zeitraubende Rituale aus dem Tagesablauf und widme sich lange vorgeschobenen Projekten.


Auf Nährstoffe wird natürlich nicht gänzlich verzichtet; Fruchtsäfte und Brühen sind wichtige Energielieferanten, die den zum Teil strengen Vorschriften nicht zuwiderlaufen. Übrigens: aus der Weisheit „Trinken bricht das Fasten nicht!" entstand im Mittelalter auch das Starkbier, das aufgrund seiner Zutaten fast als Mahlzeit durchgehen könnte und damit sicherlich einigen Mönchen das Leben rettete. „Wer das Fasten beginnt, sollte klein anfangen", rät Thuge. Gleiches gelte für das Ende der Fastenzeit, an große Mahlzeiten müsse der Körper sich dann erst wieder gewöhnen.


Mit großer körperlicher Belastung und Stress ist allerdings Vorsicht geboten, der Körper sei während des Fastens nicht allzu belastbar, sagt Thuge. „An Leistungssport ist nicht zu denken, aber für Erfahrene sind kleine Laufeinheiten kein Problem ", weiß er. Für ihn liegt der Wert des Fastens ohnehin auf einer höheren Ebene. „Es sind die Erfahrungen, die man währenddessen sammelt. Zu wissen, auf wie viele Dinge sich eigentlich verzichten lässt, das ist schon eine Bereicherung", findet er. Letztendlich folge daraus auch eine bewusstere Lebensführung, eine Besinnung auf das Wesentliche also. Einsteiger sollten zunächst in einer Gruppe beginnen, das gebe am Anfang Rückhalt.


Zwischen den vielen unterschiedlichen Variationen des Fastens und Heilfastens ist die „Buchinger Methode" weit verbreitet, welche einst vom Internisten Otto Buchinger entwickelt wurde. Dabei handelt es sich um eine reine Trinkkur. Zahlreiche Klöster und Kircheneinrichtungen in der Dresdner Umgebung bieten nach dieser Methode nun Fastenkurse oder Schulungen an. Wem das Fasten in diesem Frühjahr zu kurzfristig ist, hat in der Vorweihnachtszeit erneut die Chance. Ursprünglich war auch die Adventszeit Fastenzeit.


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