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Der Mann, der über Alles singt

In einem blauen Kleinbus fährt Frank Schöbel auf den Parkstreifen in der Mitte der Karl-Marx-Allee, links und rechts rauscht der Verkehr vorbei. Der Schlagerkönig der DDR sitzt selbst hinter dem Steuer, kommt gerade vom Friseur. Als Treffpunkt hat Schöbel, der in Mahlsdorf lebt, das Restaurant Alberts vorgeschlagen. In seinem „zweiten Wohnzimmer", wie er das Lokal neben dem Kino International nennt, geht Schöbel geradewegs zu seinem Lieblingsplatz, einer Sitzecke links vom Eingang.


Die Themen in seinen 600 Songs: Manchmal Fußball, häufig Frauen

Schöbel, ursprünglich Leipziger, bestellt einen Tee: „Minze mit ..." Der 74-Jährige denkt laut nach, manchmal macht Schöbel das so, wenn er sich nicht ganz sicher ist. Oder er fängt an, eine kurze Passage aus einem seiner Songs zu summen, damit ihm Text und Titel des Stücks wieder einfallen. Auf 600 Lieder kann Schöbel, der seit mehr als einem halben Jahrhundert auf der Bühne steht, mittlerweile zurückblicken. Mit „Wie ein Stern", „Schreib es mir in den Sand" und „Looky Looky" wurde er berühmt. Ingwer, die Zutat, die er jetzt gern mit etwas Honig zur Minze im Tee hätte, kommt erstaunlicherweise in keinem der Liedtexte vor. Dabei hat Schöbel im Laufe seiner Karriere fast alles besungen: Weihnachtsstollen und Wachhunde, manchmal Fußball und häufig Frauen.


Die Liebe zu Letzteren war immer ein schwieriges Kapitel, zwei Ehen mit den im Osten ebenfalls verehrten Schlagersängerinnen Chris Doerk und Aurora Lacasa wurden wieder geschieden. Gemeinsame Auftritte mit beiden gab es auch danach noch. Mit dem Fußball war es da einfacher, Schöbel ist seit Jahrzehnten Mitglied beim 1. FC Union. „Fast wäre ich da in den Neunzigern mal Präsident geworden", sagt Schöbel. Ihm sei das Angebot ans Herz gelegt worden, als Union nach der Wende kurz vor dem Abgrund stand. Mitglied bei den Eisernen sei er zwar noch, ins Stadion gehe er aber nur selten. Lieber spiele er selbst noch in einer Ü70-Truppe bei Eintracht Mahlsdorf. Und sonst? Sonst fühlt sich Schöbel wohl am Berliner Ostrand. Im Köpenicker Forum geht er gern einkaufen, mit den Betreibern des „Ristorante Rossini" ist er befreundet. „Ist nicht so viel los bei uns", sagt die DDR-Musiklegende.


Der trostlose Kiez an der ehemaligen Prachtstraße des Ostens gefällt ihm allerdings nicht so sehr. Vom Alberts, das die ehemalige „Mokka-Milch-Eisbar" gegenüber dem legendären Restaurant Moskau beerbte, mal abgesehen. „Solche Bauten", sagt Schöbel und zeigt in Richtung der Sozialismusrelikte am Strausberger Platz, „gibt's ja überall. Könnte auch in Rumänien stehen". Trotzdem verbindet ihn einer seiner größten Karriereerfolge mit dieser Ecke von Mitte. An den Fontänen des Strausberger Platzes spielte er 1968 in der Defa-Produktion „Heißer Sommer" die Hauptrolle, mit Chris Doerk an seiner Seite. Der Streifen avancierte zum DDR-Filmhit. Den Soundtrack zum Ferienausflug zweier trampender Schülergruppen aus dem tiefsten Sachsen an die Ostsee lieferten Gerd und Thomas Natschinski, selbstredend auch DDR-Superstars. „Heißer Sommer", das war damals ein bisschen High-School-Musical im Arbeiter-und-Bauern-Staat.


Eigene Fernsehshow zwischen Plätzchenteig und Jahresendzeitfiguren

„Ich fand den Film etwas albern. Die Musik war nicht ganz zeitgemäß, aber gut komponiert und arrangiert", erinnert sich Schöbel. Ähnlich komödiantisch mutet bisweilen seine bis heute laufende MDR-Fernsehshow „Weihnachten in Familie" an, bei der Schöbel seit 1985 jedes Jahr an Heiligabend als Weihnachtsmann verkleidet zwischen Jahresendzeitfiguren und Plätzchenteig umherschlendert und dabei singt. „Das ganze Leben ist ja Kabarett", sagt Schöbel und nippt am Tee. Seine Fans sehen das offenbar genauso. Die Sendung erreichte im DDR-Fernsehen die höchste Einschaltquote aller Zeiten, der dazugehörige Amiga-Tonträger ist mit gut 1,8 Millionen Verkäufen ebenfalls Spitzenreiter.


Schöbels treueste Anhänger halten ihm seit 55 Jahren die Stange, so lange steht Schöbel inzwischen auf der Bühne. Obwohl er sagt, dass die DDR für ihn „abgeschlossen" sei und findet, mit dem Thema „könne jetzt auch mal Ruhe sein": Sein Tourneeplan liest sich, als sei die Mauer nie gefallen. Kein einziges Konzert im ehemaligen Westen, stattdessen bis ins nächste Frühjahr hinein rund 40 Auftritte zwischen Rostock und Chemnitz - ein paar Stadtfeste, manchmal in Gemeindehäusern. Auch an diesem Mittwoch, wenn Schöbel sein Bühnenjubiläum im Berliner Admiralspalast feiert, bleibt er im ehemaligen Ostteil der Stadt.

"In Neufünfland versteht man mich", sagt Schöbel

Schöbel glaubt, das habe auch damit zu tun, dass den Westlern nach wie vor die zeitliche Einordnung seiner Songs fehle. „In Neufünfland dagegen weiß ich, dass die Leute meine Lieder verstehen", sagt er. Wenn im Westen über die großen Musiker des Ostens berichtet wird, taucht Schöbels Name zwischen Karat, den Puhdys und Silly meist nur am Rande auf. Vielleicht liegt das am Genre, vielleicht aber auch an Schöbel selbst, den das alles nicht stört und der dann einfach ein neues Album aufnimmt. Ans Aufhören denkt Schöbel jedenfalls nicht. Er sagt: „Mir macht das nach wie vor einen Riesenspaß." Irgendwie sei er ja auch eine Art „Pferd vor der Band".


Frank Schöbel muss es wissen. Pferden, anders als dem Ingwer, hat er nämlich wirklich schon Liedzeilen gewidmet. In „Was macht der Weihnachtsmann im Sommer" singt er: „Die Rute wird zum Colt, das Rentier wird zum Pferd." Und kurz darauf dann: „Das ist ja das Geheimnis, doch eins ist völlig klar, Heiligabend sind wir wieder da." Seine Fans können also beruhigt sein. Auch wenn es um den Mahlsdorfer ein ganzes Jahr still ist, spätestens zu Weihnachten wird sich Schöbel wieder melden - dann aber im Weihnachtsmannkostüm.


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