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Es lässt ihn nicht mehr los

Mohamed Wali schläft schlecht. Die Albträume, sagt er. Er wache nachts auf, zitternd, schwitzend. Dann steige er aus dem Bett, surfe im Internet, tue irgendwas, Hauptsache, Ablenkung. Es dauere ewig, bis er wieder einschlafe. Er sagt, so gehe das jede Nacht. Mohamed Wali erzählt das an dem Ort, an dem geschah, was ihm bis heute den Schlaf raubt: Barmbek, Fuhlsbüttler Straße, Edeka-Markt Müller. Wali, 52 Jahre alt, steht vor dem Geschäft, Leute mit Einkaufstüten wuseln um ihn herum durchs harte Licht der Leuchtreklamen. Seine Haare grau, sein Körper voller Spannung, auch sein Gesicht. Er hat eine Urkunde mitgebracht, außerdem zwei Medaillen, eine auf Holz für die Wand, eine in einem Kasten mit schwarzem Samtfutter. Alles von der Polizei bekommen. Zeugnisse der Ehrung, die er empfangen hat. Für seinen Mut.

Am 28. Juli 2017 nahm der Islamist Ahmad A. in dem Supermarkt, vor dem Wali steht, ein Messer aus dem Regal und stach auf Menschen ein. Ein Mann starb. Wali überwältigte den Mörder, gemeinsam mit sieben weiteren Männern. Die meisten waren Muslime, so wie Wali. Sie galten als die »Helden von Barmbek«. Anfang Dezember dieses Jahres wurde bekannt, dass einer von ihnen in Untersuchungshaft sitzt. Dem Mann wird Drogenhandel vorgeworfen, die Ermittlungen dauern an.

Die beiden Männer, Mohamed Wali und der zurzeit Inhaftierte, hatten seit 2017 keinen Kontakt. Man kann dennoch sagen, dass sie verbunden sind. Durch das, was sie sehen mussten, durch das, was sie taten, und wenn man so will: auch dadurch, dass sie nun beide gefangen sind, jeder auf seine Weise. Der eine in der Untersuchungshaftanstalt, vor allem aber in der Rolle des gefallenen Helden. Der andere in seinen Erinnerungen. Wenn es etwas gibt, das sich aus dem Fall des Helden im Gefängnis lernen lässt und auch aus der Geschichte des Helden Mohamed Wali, dann vielleicht dies: Am Wort »Held« klebt ein Preisschild.

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erschienen in DIE ZEIT 01/2021