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Reportage

Ein Retter

Am Abend vor dem Brand ging Elvis Fetic auf die Knie und betete gen Mekka. Er bat Gott darum, dass er ihn nicht in Versuchung führe und ihm die Chance gebe, Gutes zu tun. Das mache er jeden Abend so, erzählt er. Diesmal, das kann man rückblickend sagen, wurde sein Gebet auf besondere Weise erhört.

Tags darauf, es war Samstag, der 13. Juni, fuhr er mit seiner Frau in die Innenstadt zum Einkaufen. Er war ihretwegen aus dem Kosovo nach Deutschland gekommen, im Februar 2012. Die beiden wohnen in einem Plattenbau in Rothenburgsort, zwei Zimmer mit Balkon, und sind seit neun Jahren verheiratet. Gegen 13 Uhr kehrten sie zurück, erinnert sich Fetic. Sie ging zu ihren Eltern nebenan, er ging nach oben in die Wohnung, dritter Stock. Er wollte den Schwiegereltern beim Streichen helfen, zog sich um, holte die Malersachen. Als er gerade zurück ins Treppenhaus trat, hörte er erst den durchdringenden Ton eines Feueralarms, dann einen Schrei.

Fast fünf Wochen später läuft Elvis Fetic, 29 Jahre alt, durch eine Kantine in Alsterdorf. Die Hochbahn hat den neuen Betriebshof vergangenes Jahr eröffnet. Fetic trägt eine rote Krawatte zum grauen Hemd, auf der Stecktasche der Jeans ist das Hochbahn-Logo eingestickt. Seit vier Jahren ist er Busfahrer. Kurz vor der Tür zur Terrasse sitzen ein paar Kollegen und frühstücken. Als Fetic näher kommt, klatscht erst einer, dann klatschen auch die anderen: "Elvis!", rufen sie, "Elvis, du bist der Beste!" Er lacht. So etwas passiert in letzter Zeit öfter. Auf der Terrasse sagt er leise: "Manchmal nervt das."

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erschienen in DIE ZEIT 32/2020